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Digitaltag

Die Schwester der Angst

Angst und Atmung hängen zusammen. Darüber forscht die Neurowissenschaftlerin Olivia Faull. Ihr Forschungsprojekt ist eines von vielen, die am kommenden Digitaltag vorgestellt werden.
Marita Fuchs
Wolken
Wenn die Angst kommt, stockt der Atem. (Bild: iStock)

 

Hans* hat eine Besprechung mit seinem Vorgesetzen. Er hatte gerade noch mit seinem Chef telefoniert, das Gespräch war ein wenig unangenhem gewesen, aber macht nichts – kommt vor. Er steigt die Treppe hoch, ganz oben in der vierten Etage ist der Konferenzraum. Plötzlich bekommt Hans Probleme mit dem Atmen. Er muss sein Krawatte lockern. Panische Angst durchdringt ihn. Es dauert ein paar Minuten bis er sich wieder beruhigt.

Jede zehnte Person in der Schweiz leidet unter Angststörungen, also unter Panikattacken, generalisierten Ängsten oder diversen Phobien. Sie meidet bestimmte Situationen oder zieht sich schlimmstenfalls von der Umgebung völlig zurück. Ängste gehören zum Leben: Sie schützen uns vor zu risikoreichem Handeln, aber sie blockieren uns, wenn sie überhand nehmen.

Doch wie kann man Angststörungen frühzeitig erkennen und behandeln? Bisher ist wenig über deren neuronalen Hintergründe bekannt. An der Translational Neuromodeling Unit (TNU), einer Abteilung des Instituts für Biomedizinische Technik von UZH und ETH Zürich, untersucht die Neurowissenschaftlerin Olivia Faull individuelle Angstreaktionen und ihre neuronalen Ursachen. Ihr Forschungsprojekt, das am Lehrstuhl von Professor Klass Enno Stephan angesiedelt ist, steckt noch in den Kinderschuhen, doch die Studienstruktur ist jetzt festgelegt und demnächst beginnt ihre Arbeit mit Testpersonen. Das Projekt selbst ist auf zwei Jahre angelegt und wird finanziert von der Marie-Curie-Stiftung.

Faull
Olivia Faull, Neurowissenschaftlerin

Der Neurowissenschaftlerin geht es darum, die Rolle der Atmung bei verschiedenen Arten von Angststörungen oder bei verschiedenen Personen, die unter Angst leiden, zu verstehen. Auf diese Weise soll es in Zukunft möglich sein, individuell zugeschnittene Behandlungspläne für Personen mit einer Angststörung zu erstellen.

Die Wahrnehmung körpereigener Signale wie etwa dem Atem ist je nach Individuum sehr unterschiedlich. Es gibt Personen, die achten sehr auf sich. Sie beobachten ihren Herz- und Atemryhthmus und sind schnell alarmiert, wenn sie das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt. Andere wiederrum achten gar nicht auf ihre innere Befindlichkeit. Frühere Untersuchungen legen nahe, dass Menschen mit Angststörungen ihre Atmung anders wahrnehmen als Menschen ohne Angst. Ob Frauen bewusster wahrnehmen als Männer, ist eine weitere Forschungsfrage, die die Neurowissenschaftlerin in naher Zukunft angehen möchte.

Kommunikation der Hirnareale verstehen

Olivia Faull will die neuronalen und verhaltensbedingten Reaktionen auf die Atmung untersuchen. Ob hefige, schnelle oder flache Atmung – für die Neurowissenschaftlerin ist es von Interesse, wie diejenigen Hirnareale, die für die Atmung zuständig sind, darauf reagieren. Die Funktion und die Kommunikation der Hirnareale können sich bei Menschen mit einer Angststörung verändern. «Wenn wir verstehen, wie das geschieht, können wir auch testen, wie Medikamente mit einer Anti-Angst-Rezeptur funktionieren könnten», sagt Faull. Je nach Patient könnte man dann verschiedene Behandlungspläne erstellen. Langfristiges Ziel ist es, gemeinsam mit Psychiatern Therapien für Menschen mit Angststörungen zu entwickeln.

Die Neurowissenschaftlerin will Daten von etwa 60 Personen im Alter von 18 bis 40 Jahren zusammentragen, darunter gesunde und solche mit einer leichten Angststörung. Die Hirnaktivität der Probanden wird dabei von einem Magnetresonanztomographen (MRI) aufgezeichnet. Während des Experiments werden die Probanden mal heftig, mal weniger hefig atmen. «Es ist sehr interessant, wie unterschiedlich die Probanden auf die unterschiedliche Atmung reagieren», sagt Faull. «Manche werden schnell panisch, andere sind ganz ruhig und wieder andere schlafen sogar ein.» Die MRI-Bilder der Hirnaktivitäten zeichnen das Geschehen nach. Faulls Arbeit ist ein gutes Beispiel für Forschung mit digitalen Methoden. Um besser zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert, analysiert sie Hirnscans mithilfe mathematischer Modelle.

Am Digitaltag öffnen sich die Türen der Translational Neuromodeling Unit (TNU) für Besucherinnen und Besucher. Sie können bei dieser Gelegenheit verschiedene Projekte des Instituts kennenlernen. Faull selbst wird mit Interessierten kleine Atemtests durchführen, die aufzeigen, wie bewusst man sich seiner Atmung ist. Andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des TNU werden ihre Forschungsgebiete vorstellen, die verschiedene psychiatrische Forschungsfelder umfassen: so etwa Schizophrenie, Autismus, Depressionen und Glücksspielsucht.