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Ist die Schweiz ein in ihrer Neutralität gefangenes Land? Diese Frage, die Friedrich Dürrenmatt einst stellte, ist von ungebrochener Aktualität. Die schweizerische Neutralität wird von etwa 90 Prozent Bevölkerung befürwortet. Wie jedoch das heute noch geltende Haager Neutralitätsabkommen aus dem Jahre 1907 aussenpolitisch umgesetzt wird und was genau Schweizerinnen und Schweizer darunter verstehen, war Thema des gestrigen Symposiums. Auf Einladung des Instituts für Völkerrecht der UZH äusserten sich dazu Bundespräsidentin Micheline Calmy Rey sowie aussenpolitische Experten.
Ist ein Staat neutral, verzichtet er auf die Teilnahme an bewaffneten Konflikten und auf militärische Unterstützung von Kriegführenden. Dieses Verbot der indirekten Waffenhilfe betrifft etwa den Transit und Überflug durch fremde Truppen oder einseitige Waffenlieferungen an eine Konfliktpartei. Das Neutralitätsrecht nennt jene Regeln des Völkerrechts, die zwischen dem neutralen und den kriegführenden Staaten gelten. Diese allgemeinen Regeln des Haager Neutralitätsabkommens von 1907 gelten noch heute und dienen als Richtschnur der jetzigen Politik, führte Bundespräsidentin Calmy-Rey aus. Bei militärischen und nichtmilitärischen Sanktionen der UNO wird das Neutralitätsrecht nicht angewandt. Militärische UNO-Sanktionen könne die Schweiz unterstützen, etwa indem sie ausländischen Streitkräften ihr Hohheitsgebiet überlässt oder sich an Friedenseinsätzen beteiligt.
Neutralität enthalte eine Friedensbotschaft, führte die Magistratin weiter aus, denn sie gewährleiste, dass die Schweiz niemanden angreife. Damit qualifiziere sie sich im Ausland als «ehrliche Maklerin» bei Konflikten und könne so eine aktive Aussenpolitik betreiben, die sich für Frieden und Sicherheit einsetze. Neutralität dürfe kein Hindernis für eine partizipative Politik sein, denn nur eine aussenpolitisch aktive und solidarische Schweiz könne beim Aufbau von Sicherheitsstrukturen der Welt beitragen. Deshalb plädiere sie auch für den Beitritt der Schweiz in den UN-Sicherheitsrat. Der Beitritt der Schweiz ist erst im Jahre 2020 möglich, gewährt dann aber den bereits heute kräftig zahlenden Schweizern ein Mitspracherecht.
Den Kopf in den Sand zu stecken und sich hinter die eigenen Grenzen zurückzuziehen, könne sich die Schweiz nicht leisten, weil die Welt immer mehr zusammenrücke, sagte Calmy Rey. In Zukunft werde es vermehrt Konflikte geben, die mit dem Kampf um die knappen Ressourcen auf der Welt zu tun hätten.
Die hohe Akzeptanz der Neutralität in der Schweizer Bevölkerung – etwa 90 Prozent der Schweizer Bevölkerung will, dass die Schweiz neutral bleibt – bestärke sie in der Überzeugung, dass die grosse Mehrheit die Neutralität als Möglichkeit versteht, sich solidarisch bei Konflikten einzusetzen.
Professor Karl W. Haltiner von der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der ETHZ führt jährlich Befragungen zu aussen- und sicherheitspolitischen Einstellungen von Stimmbürgern in allen Landesteilen durch. Er belegte anhand von Statistiken, dass die Einstellung der Schweizer zur Neutralität trotz grundsätzlicher 90-prozentiger Zustimmung nicht widerspruchsfrei sei. Bei genauerem Nachfragen werde die sicherheitspolitische Bedeutung der Neutralität weniger stark bewertet: So gehen beispielsweise gemäss der Jahresstudie «Sicherheit 2007» 66 Prozent der Befragten davon aus, dass die Neutralität eines Landes für Terroristen bei der Beurteilung möglicher Anschlagsziele kein relevanter Faktor ist.
Insgesamt könne man aus einer aktuellen Befragung die Tendenz zu einer «Drittelgenossenschaft» herauslesen: 30 Prozent der Befragten halten an einer traditionellen Ausrichtung der Neutralität fest, sie sind beispielsweise UNO-kritisch eingestellt. Etwa 29 Prozent sind für eine rasche Öffnung und den Beitritt der Schweiz zur EU und zur NATO. 41 Prozent hingegen befürworten eine weiche Öffnung, sie wünschen eine Annäherung an die EU und stehen der UNO positiv gegenüber.
Professor Laurent Goetschel von «swisspeace» wies in seinem Beitrag darauf hin, dass die Neutralität der Schweiz nicht nur uneigennützig sei. Mittels guter Kontakte in der Welt könne die Schweiz ihren Einfluss steigern und das könne auch zu guten Wirtschaftsbeziehungen führen. Seiner Erfahrung nach wirke die Beteiligung der Schweiz an Missionen im Ausland wie ein Gütesiegel. Deshalb müsse man sich auch gut überlegen, an welchen Missionen die Schweiz sich beteiligen wolle.
Zum Abschluss der Vorträge bestand die Möglichkeit, mit der Bundespräsidentin und den Experten zu diskutieren. Dies wurde vom Publikum leider nicht wahrgenommen.