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«Kein einfaches, aber ein gewichtiges Thema wollen wir angehen», sagte Psychiater Prof. Daniel Hell als Leiter des neuen Weiterbildungsangebotes «Master of Advanced Studies in Intervention and Prevention of Sexual Violence» (MPS) bei der Präsentation am Mittwoch an der Universität Zürich.
Gemäss Studien sei jede vierte Frau und jeder achte Mann schon von sexueller Gewalt betroffen gewesen, wurde an der Veranstaltung gesagt. Trotzdem ist sexuelle Gewalt gemäss Hell in der psychiatrischen Fachliteratur wie auch der medizinischen Aus- und Weiterbildung bisher zuwenig beachtet worden. «Fachpersonen, die sich mit sexueller Gewalt beschäftigen, müssen über einen umfassenden Wissens- und Erfahrungsschatz verfügen und sich sowohl mit der Seite der Opfer wie auch der Täter auseinandersetzen», so Hell. Dies müsse interdisziplinär geschehen, um das Zusammenspiel von medizinischen, psychologischen, juristischen und sozialpädagogischen Fragen und Massnahmen abdecken zu können.
Genau dies ist das Ziel der neuen zweijährigen Weiterbildung. Rund 100 Dozierende aus Wissenschaft und Praxis werden in vier Modulen die Häufigkeit und Folgen sexueller Gewalt, die Beratung und Therapie der Opfer, die Behandlung der Täter wie auch die Rolle der Fachleute selber thematisieren. Zentral wird auch sein, dass die Teilnehmenden selber ihr bisheriges Wissen einbringen. Als Voraussetzung für die Teilnahme wird neben einem Hochschulabschluss eine mindestens zweijährige Berufserfahrung mit der Thematik der sexuellen Gewalt verlangt.
Monica Kunz wird als Dozentin im Studiengang ihre Erfahrungen als Leiterin der Fachstelle Häusliche Gewalt bei der Kantonspolizei Thurgau einbringen. Mit Blick auf sexuelle Gewalt gegen Kinder sprach sie vom «grössten Risikofaktor für eine gestörte Entwicklung». Die Prävention habe bisher insbesondere darauf abgezielt, das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken. In Zukunft müsse die Prävention vermehrt auch die «Täterstrategien» einbeziehen. Vom neuen Angebot der Universität Zürich erhofft sie sich, «dass es dazu beiträgt, sexuelle Gewalt zu minimieren und zu stoppen».
Seitens des Psychologischen Institutes der Universität Zürich wird Prof. Ulrike Ehlert ihr Fachwissen in den MPS einbringen. Erkenntnisse aus der Psychotraumatologie seien nötig, um sowohl Täter- wie Opferseite zu verstehen. Studien zeigten, dass 55 Prozent der sexuell missbrauchten Frauen unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Gleichzeitig seien auch Täter in ihrer Kindheit zum Teil selber missbraucht worden waren.
Mit welchen juristischen Mitteln sexueller Gewalt begegnet werden kann, erläuterte Prof. Brigitte Tag vom Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich. Sowohl im Familienrecht und Medizinrecht seien entsprechende Rechtsnormen zu finden. Im Vordergrund stehe aber das Strafrecht mit den Delikten gegen die sexuelle Integrität. Auch wenn der Staat seit 2004 von Amtes wegen gegen häusliche Gewalt einschreiten müsse, sei «trotzdem nur die Spitze des Eisberges bekannt». Eine Möglichkeit, von sexueller Gewalt überhaupt zu erfahren, ist für die Strafbehörden der Weg über Ärztinnen und Psychologen. Diese können von ihrer vorgesetzten Behörde, im Falle des Kantons Zürich die Gesundheitsdirektion, von der Schweigepflicht befreit werden, um die Behörden zu informieren.
Neben der interdisziplinären Vernetzung will der neue MPS auch mit anderen Universitäten zusammenarbeiten. «Mehrere europäische und aussereuropäische Hochschulen haben ihre Kooperationsbereitschaft bekundet», sagte Dr. Werner Tschan als Direktor des neuen Weiterbildungsprogramms.
Als Partnerin in der Schweiz konnte die Universität Basel gewonnen werden. Prof. Volker Dittmann, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Basel, wird die forensische Psychiatrie in den Lehrgang einbringen. Er stellt fest, dass die aktuelle öffentliche Diskussion auf sexuelle Wiederholungstäter fokussiert ist. Bei der Prävention dürften aber die «Einmaltäter» nicht vergessen werden. Prävention im bestem Sinne sei zudem, wenn wie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel Therapiegruppen auch für Personen bestehen, die gefährdet sind, sexuell gewalttätig zu werden und Hilfe aufsuchen, bevor es zu einem Übergriff kommt.