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Mumienforschung

In Eingeweiden lesen

Der Evolutionsmediziner Frank Rühli leistet bei der Erforschung von mumifizierten Eingeweiden Pionierarbeit. Kürzlich hat er als Erster Kanopenkrüge aus der Sammlung des Ägyptischen Museums in Kairo interdisziplinär untersucht.
Nathalie Huber
Einblick in einen geöffneten Kanopenkrug aus der 12. Dynastie. Der Deckel in Form eines Schakalkopfs deutet auf Darm als Inhalt.
Einblick in einen geöffneten Kanopenkrug aus der 12. Dynastie. Der Deckel in Form eines Schakalkopfs deutet auf Darm als Inhalt. (Inv. N° CG 4400, Mittleres Reich, Fundort Sakkara). (Bild: Patrick Eppenberger)

 

Mehrere Dutzend Kanopenkrüge lagern im Untergeschoss des Ägyptischen Museums in Kairo am Tahrir-Platz. In den aparten Vasen aus Stein, Keramik, Ton oder Holz wurden bei der Mumifizierung die inneren Organe aufbewahrt. Indem die alten Ägypter Leber, Lunge, Magen und Darm aus dem Leichnam entfernten, konnten sie die Verwesung des Körpers besser unterbinden. Zugleich wollten sie diese einbalsamierten Eingeweide – genauso wie die Hauptmumie – für das Leben im Jenseits aufbewahren.  

Kanopenkrüge wurden lange nur aus kunsthistorischer Perspektive betrachtet. Frank Rühli und sein Team gehören zu den Ersten, die sich mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung ihres Inhalts auseinandersetzen. Im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten «Canopic Jar Projects» untersuchte der Mumienforscher bis anhin rund 200 Kanopenkrüge aus altägyptischen Museumssammlungen weltweit – vom Alten Reich bis zur Spätzeit.

Wichtiges Puzzleteil

Diesen Sommer erhielt Rühli nun Zugang zu zwanzig Kanopenkrügen aus dem Fundus in Kairo. Rund drei Jahre hat der Evolutionärmediziner auf die Bewilligung gewartet, um die Eingeweidegefässe als Erster interdisziplinär erforschen zu dürfen. In der Regel, so Rühli, gebe man einheimischen Forschenden den Vorrang. Die Gefässe aus dem Ägyptischen Museum sind ein wertvolles Puzzleteil in seinem Gesamtprojekt. Sie stammen unter anderem aus der Zeit des Mittleren Reichs (2137–1781 v.Chr.) – einer Epoche, aus der Rühli bisher kaum Kanopenkrüge untersucht hatte. 

Bei der Untersuchung der Vasen ging das Team um den Mumienforscher jeweils folgendermassen vor: Ägyptologe Michael Habicht interpretierte die Inschrift der Kanopen. Diese beschrieb in der Regel den Urneninhalt und gab Hinweise auf den Zeitpunkt der Mumifizierung. Patrick Eppenberger, Paläopathologe mit radiologischer Erfahrung, röntgte die Gefässe. Dadurch konnte er die Organe vor dem Öffnen der Urne sichtbar machen und dreidimensional charakterisieren. Für die nachgelagerte histologische und genetische Untersuchung entnahmen die Forschenden auch Proben von den Eingeweiden.

Strapaziöse Umstände

Die Arbeitsumstände im Ägyptischen Museum in Kairo erforderten mitunter viel Geduld. Jedes Betreten eines Raumes mit Röntgengerät musste vor Ort mit Stempel und Unterschrift bewilligt werden – täglich von neuem. Die Forschenden arbeiteten bei Temperaturen von bis zu 45 Grad Celsius, teilweise ohne Tageslicht und mit instabilem Stromnetz. Die schwankende Netzfrequenz schädigte wiederum die Röntgenröhre des portablen Geräts. Um die Röntgentomographie-Anlage überhaupt nach Ägypten einführen zu können, verbrachte Rühli zwei Tage am Zoll und brauchte die Unterstützung der Schweizer Botschaft in Kairo. 

Die bisherige Untersuchung der rund 200 Kanopenkrüge ergibt: Viele davon sind leer oder enthalten nicht die der Beschriftung oder dem designierten Deckel entsprechenden Organe. Der Deckel in der Ausführung eines menschlichen Kopfs weist auf eine Leber hin – Pavian, Schakal und Falken verweisen auf Lunge, Darm und Magen. Ausserdem: Die Kanopen enthalten teilweise nur Fragmente der Eingeweide. «Dies widerspricht der bisher unbestrittenen Theorie, dass Kanopenkrüge ganze Organe enthalten», sagt Rühli.

Unterschiedliche Mumifizierung

Eine weitere spannende Erkenntnis ergab sich aus der chemisch-toxikologischen Analyse, die die Forscher gemeinsam mit dem Institut für Rechtsmedizin an der UZH durchführten: Die Eingeweide wurden anders konserviert als der restliche Körper. Das Forscherteam entdeckte in den inneren Organen Substanzen, die man bei Mumien noch nicht gesehen hatte – beispielsweise Salicylsäure, die im Entzündungshemmer Aspirin enthalten ist. Nutzten bereits die alten Ägypter den Stoff therapeutisch? Möglich wäre es, doch Rühli räumt ein, dass man bei der Interpretation vorsichtig sein müsse. Viele der rund 5000 Substanzkomponenten seien auch durch Kontamination mit der Umwelt entstanden. «Wir wissen noch zu wenig darüber, welche Substanzen wofür genutzt wurden. Die Mumifizierung ist bis heute ein Mysterium.»

Eine Pionierleistung erbringt das Team um Frank Rühli mit DNA-Analysen zu den mumifizierten Eingeweiden. Üblicherweise werden für die genetische Untersuchung menschlicher Überbleibsel die Zähne oder Knochenmaterial aus der Schädelbasis verwendet, denn dort sind die Makromoleküle gut konserviert. Rühli kann nun zeigen, dass die DNA-Extraktion prinzipiell auch bei Gewebe von inneren Organen möglich ist. Zurzeit analysiert er gemeinsam mit Paläogenetikerin Verena Schünemann die Ergebnisse der Genomsequenzierungen.

Zusätzliches Erkundungsgebiet

Rühli erhofft sich durch die Kanopen-Forschung neue Erkenntnisse zur Evolution heute relevanter Krankheiten. Die evolutionärmedizinische Untersuchung der Eingeweide ergänzt seine bisherige Mumienforschung wesentlich. Gewisse Krankheiten erschliessen sich nur über den Zugang zu inneren Organen. «Um herauszufinden, ob Menschen in der Antike beispielsweise an Hepatitis litten, sind Gewebe- und DNA-Proben ihrer Lebern sehr hilfreich», sagt Rühli.

Er will seine Forschung zu Mumien und deren Kanopenkrügen ausdehnen. Dazu plant er ein grösseres Projekt, das die Lebensumstände und Gesundheit der Menschen im gesamten Niltal während der Antike ergründet. Rühli setzt sich auch für den Wissenstransfer und Austausch mit den Forschenden vor Ort ein. Im Rahmen eines Projekts mit der UNESCO schulte er in Ägypten Kuratorinnen und Kuratoren, Restauratoren, Archäologiestudierende sowie Museumsfachleute im Umgang mit Mumien und Kanopenkrügen. «Es ist mir wichtig, dass ich auch etwas zurückgeben kann», erklärt Rühli.

 

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