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Männer hier, Frauen da? Ist diese Gegenüberstellung heute noch angebracht, wo über transgendergerechte Toiletten und zusätzliche Geschlechterkategorien in Identitätskarten diskutiert wird? Die biologische Kategorie Mann-Frau zu denken, kann trotzdem sinnvoll sein, wie sich am vergangenen Freitag am Symposium «Sex and Gender in Medicine» an der UZH zeigte. Denn es gibt klar messbare Unterschiede zwischen Männern und Frauen, wenn es um die Gesundheit geht.
Am Symposium waren dazu eindrückliche Beispiele zu hören: Frauen sterben häufiger an Herzkrankheiten, erhalten aber seltener rehabilitative Massnahmen. Frauen benötigen von gewissen Medikamenten nur die halbe Dosis – worauf keine Packungsbeilage hinweist. Männer nehmen seltener an Vorsorgeuntersuchungen teil und achten weniger auf eine gesunde Ernährung. Die Diagnose Blasenkrebs wird bei Frauen häufig verspätet gestellt, weil man bei ihnen vor allem an eine Blasenentzündung denkt. Die Liste kann fast beliebig verlängert werden.
Die Gendermedizin schaut aber durchaus genauer hin, als nur zwischen Mann und Frau zu unterscheiden. Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Endokrinologie an der Medizinischen Universität Wien, präsentierte in ihrem Referat ein biologisches Sex-Spektrum mit neun Abstufungen zwischen männlich und weiblich.
Zusätzlich gilt es neben dem biologischen Geschlecht («Sex») auch die soziale Kategorie «Gender» zu berücksichtigen, bei der es um Aspekte wie Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen geht. Erfassen lassen sich diese etwa mit dem Instrument «Genderscore», wie Vera Regitz-Zagrosek erläuterte, Gründerin des Instituts für Gendermedizin an der Charité in Berlin und derzeit UZH-Gastprofessorin. Der Genderscore erfragt rund 50 Aspekte, etwa zu Identität, Verhalten und sozialen Beziehungen. Daraus resultiert ein Wert zwischen 0 (männlich) und 100 (weiblich) – also ein Kontinuum anstelle einer Dichotomie.
Regitz-Zagrosek berichtete von einer Studie, bei welcher der Genderscore angewandt wurde, um die Unterschiede im Überleben nach einem Herzinfarkt zu untersuchen. Dabei zeigte sich, dass es stärker vom Gender als vom biologischen Geschlecht abhing: Wer sich männlicher einstufte, hatte grössere Überlebenschancen. Warum, ist bisher unbekannt.
Dass der Faktor «Gender» mituntersucht wird, ist eher die Ausnahme. Die meisten Studien der Gendermedizin beziehen sich bisher auf Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern. Dabei starten Männer und Frauen schon bei der Geburt mit unterschiedlichen Voraussetzungen ins Leben, wie David Nadal – emeritierter Professor des Universitäts-Kinderspitals Zürich – erläuterte. Immer mehr Studien zeigten, dass eher die Knaben als das «schwache» Geschlecht zu betrachten seien. So sei etwa bei Knaben die Kindersterblichkeit höher und sie litten häufiger an angeborenen Fehlbildungen und Atemwegserkrankungen.
Lutz Jäncke, Neuropsychologie-Professor an der UZH, setzte in seinem Referat einen Kontrapunkt, indem er davor warnte, Geschlechterunterschiede zu stark zu betonen. Er verwies auf gewisse neuropsychologische Studien und pseudowissenschaftliche Publikationen – Stichwort «Frauen können nicht einparken, Männer nicht zuhören». Die behaupteten Unterschiede erweisen sich bei genauerem Hinschauen nicht selten als statistische Artefakte: «Mit grösseren Stichproben verschwinden die Unterschiede zwischen Männern und Frauen oft.»
Umso wichtiger sei es, genau zu identifizieren, welche Faktoren für vermeintliche Geschlechterdifferenzen verantwortlich seien, so Jäncke. Gendermedizinerin Vera Regitz-Zagrosek erwiderte, es müsse selbstverständlich sein, die wichtigsten anderen Faktoren – etwa das Alter – zu kontrollieren, bevor man von Geschlechterunterschieden spreche.
Die Gendermedizin ist eine junge, noch wenig etablierte Disziplin. Entsprechend gross ist der Forschungsbedarf. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Zürich beteiligen sich in unterschiedlicher Form daran, die Wissenslücken zu füllen, wie die Beispiele von drei weiteren Referentinnen und Referenten des Symposiums zeigten.
Thorsten Buch, Professor am Institut für Labortierkunde der UZH, berichtete von der Situation bei Tierversuchen, wo oft nur männliche oder umgekehrt weibliche Tiere verwendet werden. In vielen Studien sei das Geschlecht der Versuchstiere nicht einmal erwähnt. «Es ist unethisch, in Tierversuchen nur ein Geschlecht zu berücksichtigen», sagte Buch. Ein ausgeglichenes Verhältnis sei zum Beispiel nötig, um zu verhindern, dass Medikamente später wegen unentdeckter Nebenwirkungen zurückgezogen werden müssen. Die Zahl der Versuchstiere müsse deswegen nicht verdoppelt werden, wie Thorsten Buch in seiner Forschung anhand von Modellrechnungen zeigen konnte.
Catherine Gebhard, Professorin an der Klinik für Nuklearmedizin des Universitätsspitals Zürich und am Zentrum für Molekulare Kardiologie der UZH, forscht unter anderem zur Interaktion von Herz und Gehirn bei Herzkrankheiten. Eine Frage, die sie speziell interessiert: Sind Frauenherzen gestresster als Männerherzen? Sie konnte in ihrer Forschung zeigen, dass bei Männern und Frauen mit Herzkrankheiten unterschiedliche Hirnareale stärker aktiviert sind. Bei Frauen betrifft das insbesondere die Amygdala – ein Teil des Gehirns, der emotionale Reaktionen steuert, das sogenannte Angstzentrum.
Erstmals konnte somit ein neurobiologischer Mechanismus gefunden werden, der zeigt, dass sich Frauen mit Herzerkrankungen in einer Art Dauerstress und chronischem Angstzustand befinden. «Massnahmen zur Stressreduktion bei Frauen mit Herzerkrankungen sollten deshalb bei der Behandlung eine zentrale Rolle spielen», sagte Gebhard. In ihrer weiteren Forschung will sie herausfinden, wie sich Angstzentrum und Herz gegenseitig beeinflussen und wie die Gesundheit der Frauen besser geschützt werden kann.
Die Gastwissenschaftlerin Maria Teresa Ferretti forscht am Institut für Regenerative Medizin der UZH und hat das «Women's Brain Project» ins Leben gerufen, um auf Geschlechterunterschiede bei Hirnkrankheiten aufmerksam zu machen. Ferretti untersucht vor allem geschlechtsspezifische Aspekte der Demenz. Zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen, zeigte Ferretti auf. Ein Drittel des Risikos, Alzheimer zu entwickeln, lasse sich beeinflussen. «Bei vielen dieser Risikofaktoren unterscheiden sich Männer und Frauen», sagte Ferretti. So leiden zum Beispiel Frauen häufiger an Depressionen, rauchen aber seltener als Männer.
Zudem gibt es überraschende, bisher ungeklärte Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die weiter erforscht werden sollten. So hat sich Migräne als Risikofaktor für Demenz entpuppt – allerdings nur bei Frauen.
Die Referierenden am Symposium waren sich einig: Ziel soll eine personalisierte Medizin sein, die jeden Menschen individuell betrachtet und behandelt. Sex und Gender seien wichtige Aspekte dieser Personalisierung. Geschlechterunterschiede zu berücksichtigen könne bisweilen überlebenswichtig sein. Und das Wissen darüber kann im besten Fall für neue Therapien genutzt werden. So verfügen Frauen über gewisse Schutzfaktoren gegen Krebserkrankungen, die sich vielleicht in Zukunft auch für den Schutz der Männer nutzen lassen.
Wichtig sei es, so das Fazit des Symposiums, das bisherige Wissen zu bündeln und in die Lehre und die medizinische Versorgung zu tragen. «Und es braucht weitere Studien, für die wir uns auch international und mit der Industrie vernetzen sollten», sagte Beatrice Beck Schimmer, Direktorin Universitäre Medizin Zürich an der UZH.