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UZH News: Herr Martin, am Workshop «Aging, Health and Technology» diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über das gesunde Altern und die Frage, mit welchen Technologien es unterstützt werden kann. Warum macht es Sinn, dass Japan und die Schweiz in der Alters- und Gesundheitsforschung kooperieren?
Mike Martin: Japan und die Schweiz gehören – neben Singapur – zu den drei Ländern mit der höchsten Lebenserwartung. Japan ist der Schweiz allerdings bezüglich der demographischen Alterung zehn Jahre voraus: In Japan beträgt der Anteil der über 65-Jährigen heute 29 Prozent. In der Schweiz liegt er bei 18 Prozent, dürfte sich aber in zehn Jahren dem Anteil in Japan angleichen. Umso interessanter ist es, im Bereich der Altersforschung mit Japan zu kooperieren. Die Voraussetzungen dazu sind auch deshalb gut, weil beide Länder wissenschaftlich stark sind in den Bereichen Ingenieurwesen, Sozialwissenschaften und Medizin. All diese Fächer müssen zusammenspielen bei der Forschung zum Thema Alter, Gesundheit und Technologie.
Werden in Japan moderne Technologien im Gesundheitswesen mehr genutzt als in der Schweiz?
Ja, das ist mein Eindruck. Ein Beispiel ist «Paro», der in Japan entwickelte Roboter in der Form einer Robbe, mit flauschigem Fell. Er wird in der Betreuung von Menschen mit Demenz schon seit Jahren therapeutisch eingesetzt. Er soll Patientinnen und Patienten Anlass zu Gesprächen geben und gelöster machen.
Mihoko Otake, Professorin für Ingenieurwesen und Ko-Organisatorin unseres Workshops, hat selbst ein anderes interessantes Beispiel entwickelt: Einen Sozialroboter, der in Japan in Gemeinschaftszentren genutzt wird – als Moderator von Gruppengesprächen. Er filmt die Anwesenden und analysiert, wer wieviel spricht und lächelt. Spricht jemand länger als vorgängig definiert, unterbricht er die Person und gibt das Wort jemandem, der noch nichts gesagt hat. Er unterstützt also soziale Kommunikationsprozesse.
Ist ein solcher Einsatz von Technologie sinnvoll?
Darüber lässt sich diskutieren, und diesbezüglich bestehen sicher auch kulturell unterschiedliche Vorstellungen. Aber es ist zweifellos so, dass Technologien den Alltag älterer Menschen erleichtern können, beispielsweise ihre Mobilität und Kommunikation. Das wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus. Gleichzeitig sind moderne Technologien hilfreich, um die Gesundheit und ihre Erhaltung im Alter überhaupt erst zu erforschen.
Inwiefern?
Wir stehen in der Gesundheitsforschung an einem Wendepunkt. Bisher fand diese vor allem im Labor statt – Probanden füllten zum Beispiel einen Fragebogen aus, ihre Blutwerte wurden gemessen oder ihre Fitness getestet. Oft wurde dabei nur ein Aspekt der Gesundheit beachtet. Nötig ist aber eine Gesamtsicht auf den Menschen und seine Gesundheit. Nur auf dieser Basis lässt sich die Frage beantworten, wie Menschen länger gesund bleiben können.
Moderne Technologien erleichtern es, diese Gesamtsicht zu erlangen. Mit Smartphones und tragbaren Sensoren können Menschen in ihrem Alltag selber Daten erfassen: Wieviel bewege ich mich? Wieviel soziale Interaktion habe ich? Es gibt heute Apps, die im Laufe des Tages regelmässig Sprachaufnahmen durch das Smartphone aktivieren. So lässt sich erheben, wie oft sich jemand in einem Gespräch befindet. Das ist eine Möglichkeit, soziale Interaktion zu quantifizieren.
Über die Qualität ist damit aber noch nichts gesagt.
Das stimmt. Die Gesamtsicht auf den Menschen und seine Gesundheit erhöht die Komplexität. Wir müssen aufpassen, nicht in eine blinde Datensammelwut zu fallen. Je mehr Aspekte des Lebens integriert werden, desto anspruchsvoller wird die Interpretation der Daten. Wenn wir dabei auch noch das Altern in Japan und der Schweiz vergleichen wollen, stellt uns der interkulturelle Vergleich vor zusätzliche Herausforderungen: Welche Bedeutung hat soziale Interaktion im jeweiligen Kontext? Bedeutet Schweigen in Japan dasselbe wie in der Schweiz? Auf der Suche nach der Gesamtsicht ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Fachbereichen wie Medizin und Sozialwissenschaften unerlässlich.
Die Technologie erhöht die Komplexität der Forschung. Aber ohne Technologie ist die Komplexität des Menschen nicht zu erfassen?
Ja. Die modernen Technologien eröffnen der Forschung neue Möglichkeiten, die wir nutzen sollten. Gleichzeitig waren sich die Teilnehmenden am Workshop einig: Das Potenzial ist gross, solche Technologien auch in den Dienste der Gesundheit speziell im Alter zu stellen. Das wird bisher fast nur bei kranken Menschen genutzt. Die viel grössere Gruppe der gesunden älteren Menschen würde aber ebenfalls davon profitieren – um ihre Lebensqualität erhalten zu können.
Unser Workshop diente auch dazu, sich gegenseitig über solche Technologien zu informieren und diese zwischen der Schweiz und Japan auszutauschen. In den nächsten Wochen wird sich zeigen, welche konkreten gemeinsamen Projekte sich aus den Gesprächen am Workshop in Tokio ergeben.
Mike Martin ist Professor für Gerontopsychologie, Direktor des Zentrums für Gerontologie und Mitbegründer des Universitären Forschungsschwerpunktes «Dynamik gesunden Alterns» der Universität Zürich.