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In den 1450er-Jahren druckte Johannes Gutenberg in Mainz 180 Bibeln und läutete damit das Zeitalter der Massenkommunikation ein. Auflagen, Seitenzahlen und Reichweiten stiegen bald steil an und zeugten vom Schub, den die Erfindung der Druckmaschine für den Austausch von Informationen bedeutete. Doch die neuen Möglichkeiten der Verbreitung gehorchten Regeln, die älter sind als die neuen Technologien. «Viele Strategien der Vermittlung entwickelten sich schon viel früher und wirken bis in die Gegenwart nach», sagt die Historikerin Martina Stercken. So habe beispielsweise der frühe Buchdruck Layouts benutzt, die im Verlaufe des Mittelalters entwickelt worden waren.
Martina Stercken ist eine der treibenden Kräfte hinter dem Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) «Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen. Historische Perspektiven», wo sie in der Direktion für die Koordination der interdisziplinären Forschung zuständig ist. Der NFS beschäftigt sich mit der Geschichtlichkeit von Medien und Medialität. Anhand unterschiedlicher Materialien geht er der Frage nach, wie sich in diesen Zeiträumen Prozesse der Kommunikation, der Wahrnehmung und der Imagination vollziehen und wie sie beobachtet werden können.
Veranschaulichen lässt sich das gut anhand von «Kartographien politischer Räume», einem von zwanzig NFS-Projekten aus der Phase von 2009 bis 2013. Es zeigt auf, wie Herrschaftsträger im Mittelalter Karten nicht nur zur Orientierung nutzten. «Sie setzten sie ein, um ihre Ansprüche auf Herrschaft im Raum zu inszenieren», sagt Stercken.
Der katalanische Weltatlas von 1375, eine Mischung von Welt- und Hafenkarte, bedient sich eines schon recht komplexen Zeichensystems zur Darstellung von Reichen seiner Zeit. Flaggen markieren Landstriche und Städte als Herrschaftsgebiete. Der Weltatlas gibt auch einen Eindruck des Wissensstands über Gebiete in fremden Kulturen. So unterscheidet sich das Oberhaupt eines Grossreichs in Afrika praktisch nur in der Hautfarbe von westlichen Herrschern. Seine Darstellung überträgt mit der Krone und dem Szepter die westeuropäischen Embleme der Macht, etwas anderes war für die Kartenhersteller wohl gar nicht vorstellbar. Lokale Kartierungen sind einfacher angelegt, doch sie erfüllten – in der Regel zusammen mit Schriftgut – ihre Funktionen ebenso gut. Das zeigt eine Karte von 1450, die schwierige Besitzverhältnisse um das Kloster Honau am Oberrhein dokumentiert.
Mit kartographischen Darstellungen wurde auch eidgenössische Identität geformt. Die erste Karte der Eidgenossenschaft fertigte der Mönch Albrecht von Bonstetten 1479 als Teil einer lateinischen Handschrift an. Er stellte die damals acht eidgenössischen Städte und Talschaften erstmals als Entität dar. Als Grundlage benutzte Bonstetten das Darstellungsschema der mittelalterlichen Weltkarten, das aus den einschlägigen Lehrbüchern der Zeit bekannt war.
Die übliche Kreisform symbolisiert nun aber nicht die Welt, sondern die Eidgenossenschaft. Und im Zentrum steht bei Bonstetten nicht die heilige Stadt Jerusalem, sondern – die Rigi. «Bonstetten stellt die Eidgenossenschaft damit als ideale Einheit dar und verleiht ihr heilsgeschichtliche Begründung», so Martina Stercken. Das Werk sollte vor allem nach aussen wirken. Adressaten waren in erster Linie europäische Herrscher, darunter der französische König. Erst später entstand eine deutschsprachige Fassung für die Eidgenossen.
Solche historische Dimensionen von Vermittlung werden nun deutlich gemacht. Der interdisziplinäre Zugang habe den Blickwinkel der kartographischen Forschung geweitet, sagt Stercken: «Früher stand die Frage der Präzision im Zentrum, wie sie vor allem mit den topografischen Karten seit dem 19. Jahrhunderts gewährleistet ist. Dem älterem Material haftete der Makel der Unzulänglichkeit an.» Subkutane Botschaften, wie sie der Mönch Albrecht von Bonstetten transportierte, blieben eher unentdeckt. Und auch die Texte voller historischer Details, die während Jahrhunderten auf vielen Karten platziert waren, galten lange als unnötiges, ja gar störendes Beiwerk.
In der Zusammenarbeit konnten die am NFS beteiligten Disziplinen voneinander profitieren: das Projekt zu den Karten zum Beispiel von kunsthistorischen Überlegungen zur Bildlichkeit und zu den Mechanismen des Zeigens oder von literaturwissenschaftlichen Beobachtungen zum vielschichtigen Verhältnis von Texten und Bildern. Noch wichtiger aber war, dass sich ein gemeinsamer Blick auf qualitative Aspekte von Vermittlung entwickelt hat, der über die Grenzen der Disziplinen hinausgeht. So lässt sich die Arbeit des NFS als historisches Gewissen der Beschäftigung mit Medialität verstehen.
In der nächsten, bis 2017 laufenden Phase umfasst der NCCR Mediality.Historical Perspectives 18 Projekte in der germanistischen Literatur- und Sprachwissenschaft, der Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte, Filmwissenschaft, Nordistik und Rechtswissenschaft. Ausgelotet werden die Grenzen des Medialen. Damit wird eine qualitative Dimension des Medialen analysiert, die in den quantitativ bestimmten aktuellen Diskursen um Medien in der Regel zu kurz kommt.