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Auf der Computermesse «Cebit» in Hannover zeigten Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin, dass Gedankenübertragung keine Zukunftsmusik mehr ist: Ein Proband bediente einen Flipperkasten, ohne seine Hände zu benutzen.
Was wie Zauberei wirkt und an den Löffelverbieger Uri Geller erinnert, basiert auf neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen: Elektroden messen an der Schädeloberfläche die Hirnströme, die durch die Aktivität von hundert Milliarden Nervenzellen entstehen. Dann genügt allein die Vorstellung, den linken Arm zu bewegen, und schon lässt sich mit Hilfe einer Elektrodenkappe ein Flipperkasten bedienen. Etwas Ähnliches gelang auch US-Forschern von der Arizona State University. Sie konnten in einem Experiment mit Affen zeigen, dass es möglich ist, einen Cursor nur durch Gehirnaktivität zu steuern, indem Mini-Elektroden, die fest in das Gehirn eingesetzt wurden, die Aktivität hervorrufen.
Solche Meldungen aus der Medizin, der Physik oder der Informatik, in denen Gedanken Maschinen steuern oder künstliche Gliedmassen bewegen können, sind heute keine Seltenheit mehr. An der Tagung des slavischen Seminars, die am 21./22. Januar an der Universität Zürich stattfindet, geht es jedoch nicht nur um die technischen Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. Es geht vor allem um die Faszination der Gedankenübertragung in Literatur und Kunst.
Phantastisches Potenzial
Die Vorstellung der rein gedanklichen Übertragung von Gefühlen und Ideen – ohne technische Hilfsmittel – wird durch neue technischen Entwicklungen hinterfragt, quasi entzaubert. Und doch hat die Idee der «reinen» Gedankenübertragung die wissenschaftliche und literarische Phantastik des letzten Jahrhunderts stark geprägt – und prägt sie auch weiterhin.
Auf der Tagung werden verschiedene Aspekte der Forschung zur Gedankenübertragung beleuchtet. «Konkret geht es vor allem um das medientheoretische und fiktionale Potenzial sowie das wissenschaftlich und politisch Imaginäre», sagt Sylvia Sasse. Die Professorin für Slavische Literaturwissenschaft hat zusammen mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Wladimir Velminski die Veranstaltung organisiert und Wissenschaftler und Künstler eingeladen, sich mit dem Phänomen der Gedankenübertragung auseinanderzusetzen.
Gespräch mit Hugo Ball
«Gedankenübertragung war schon immer mit unterschiedlichen Künsten verbunden, die deren visuelle, akustische und performative Darstellungsweisen nutzen. Und umgekehrt arbeitete das fiktionale Potenzial der Gedankenübertragung auch den Künsten zu. Es provozierte neue künstlerische Verfahren und die Verwendung ungewöhnlicher medialer Techniken», sagt Sasse.
Um dieses Miteinander zu zeigen, hat Sasse unter anderem die russische Künstlerin und Schriftstellerin Julia Kissina eingeladen, eine Vertreterin der Moskauer Konzeptualisten. Kissina entwickelte das Verfahren der «performativen Fotografie» und führte eine Reihe von künstlerischen Aktionen durch. Sie wird auf der Tagung anhand von Videoaufzeichnungen zeigen, wie sie in spiritistisch-parodistischen Séancen Gespräche mit toten Künstlern geführt hat, unter anderem vor ein paar Jahren auch in Zürich mit Hugo Ball (1886 – 1927), dem Begründer der Dada-Bewegung.
Ebenfalls eingeladen ist der deutsche Komponist und Theaterregisseur Julian Klein. Er stellt eine Installation für vernetzte Gehirn-Spieler vor, mit der Gehirnvorgänge in Klang übersetzt werden.
Tolstois Idee der «Psychischen Infektion»
Sylvia Sasse selbst wird von ihrem eigenen Forschungsprojekt berichten, in dem es um die Konkurrenz von Sprach- und Gedankenübertragung um 1900 geht. Sie hat untersucht, wie unterschiedliche Visionen von Gedanken- und Sprachübertragung die künstlerische Praxis bestimmten, so zum Beispiel bei den russischen Schriftstellern Lew Tolstoi und Maxim Gorki.