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Gesellschaftliche Entwicklungen verlaufen manchmal so rasant, dass das Nachdenken darüber kaum mit ihnen Schritt halten kann. «Der Kokainkonsum hat sich in der Schweiz in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Über die Langzeitfolgen wissen wir aber so gut wie nichts», sagt Boris Quednow.
Wissenschaftliches Neuland betritt auch der Jurist Bernhard Rütsche: «Das Recht weist im Bereich der Biomedizin, im Besonderen der Fortpflanzungsmedizin und Gendiagnostik, grosse Lücken auf». Die Gesetzgebung wurde vom immensen Regelungsbedarf neuer biomedizinischer Verfahren regelrecht überrollt.
Sowohl Quednow als auch Rütsche reagierten als erste auf Fragen, auf die die Öffentlichkeit dringend Antworten braucht. Beide wurden dafür mit einer Förderungsprofessur belohnt, die sie im Sommer an der Universität Zürich antreten werden.
Aber wie forscht es sich, wenn die erhofften Daten schlagzeilenträchtig und die Resultate nicht nur von der Fachgemeinschaft mit Spannung erwartet werden? «Publiziere ich über kognitive Störungen bei Schizophrenie-Patienten, geschieht nichts», so Quednow. «Erscheint aber ein kleiner Artikel über Ecstasy, habe ich sogleich drei Journalisten in der Leitung.»
Auf die Wahl seiner Forschungsvorhaben hat das Medieninteresse aber keinen Einfluss. «Ich stamme aus einer Ärztefamilie, die Wirkung von Medikamenten hat mich immer schon fasziniert».
Der Psychologe promovierte über MDMA («Ecstasy») und die durch die Party-Droge verursachten kognitiven Leistungsdefizite. Zum Kokain wechselte er, weil die Datenlage im Vergleich zu Ecstasy weitaus dürftiger ist. Auch sind die plastischen Veränderungen des Gehirns und jene der Persönlichkeit – eine Neigung zu Egozentrik, Emotionsarmut und kurzsichtigem Entscheidungsverhalten – bei Kokainkonsum vermutlich weitaus nachhaltiger als bisher angenommen.
Quednow warnt denn auch vor dem leichtfertigen Umgang mit Kokain. Die liberale Drogenpolitik der Schweiz und die überdurchschnittliche Offenheit der Konsumenten prädestinierten die Psychiatrische Universitätsklinik (PUK) zum Forschungsstandort. In einer Longitudinalstudie, die auf mehrere Jahre angesetzt ist, will der 37-Jährige nun erstmals für die Schweiz verlässliche Daten zu den Folgen von gelegentlichem und regelmässigem Kokainkonsum erarbeiten.
Entscheidungsgrundlagen für brisante und hoch komplexe Sachfragen erhofft sich die Öffentlichkeit auch von Bernhard Rütsche. «Die Adressaten meiner Forschung haben häufig ein starkes Vorverständnis, ausserdem bewege ich mich in einem moralisch aufgeladenen Bereich», skizziert der 38-Jährige das Spannungsfeld, in dem er sich als Forscher bewegt.
Direkte Einflussnahme habe er nie erfahren, das Thema verlange aber in hohem Masse Unparteilichkeit und Abstraktionsvermögen von persönlichen Normen. Die Fortschritte in der Fortpflanzungsmedizin, der Transplantationsmedizin, der Humanforschung und der Gendiagnostik werfen moralisch-ethische Fragen auf, die stark weltanschaulich, religiös und historisch geprägt sind.
Daher bemüht sich Rütsche im Rahmen seiner Förderungsprofessur darum, die massgeblichen Prinzipien herauszuarbeiten, die das Biomedizinrecht in eine kohärente Ordnung bringen können. Ein solches Prinzip könnte etwa lauten, dass die Natur der menschlichen Spezies, wie sie sich im Genom verkörpert, ein schützenswertes Gut sei.
Zu erwägen gilt es dann, ob ein Prinzip auf universalen Grundlagen beruht oder auf partikularen oder kulturellen Wertauffassungen – der eigentliche Angelpunkt des Projekts. Rütsche stützt sich dabei auf eine eiserne Methodik, die sich bereits im Rahmen seiner Habilitationsarbeit zu den Rechten von Ungeborenen bewährt hat.
Die Förderungsprofessur bezeichnet der dreifache Vater als «riesige Chance», sich ganz der Forschung zu widmen und Mängel des geltenden Rechts aufzudecken. Die Wahl der UZH als Gastinstitution war schnell getroffen: Das Rechtswissenschaftliche Institut baut zurzeit einen interdisziplinären Forschungsschwerpunkt im Biomedizinrecht mit einem Doktorandenlehrgang auf.
Das bedeutet geballte Kompetenz. Denn es eilt ja: Vier Jahre stehen den Förderungsprofessoren zur Verfügung, um zwei Jahre kann im Erfolgsfall verlängert werden. Und auch die gesellschaftlichen Entwicklungen bleiben nicht stehen.