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Der entscheidende Anstoss kam von den Präriewühlmäusen: Eine Studie mit den kleinen Nagern machte den Psychologen Markus Heinrichs vor rund zehn Jahren auf das Hormon Oxytocin aufmerksam. Laut der Studie zeigen Präriewühlmäuse, die über eine hohe Dichte an Rezeptoren für Oxytocin im Gehirn verfügen, mehr soziale Bindung und kümmern sich intensiver um ihren Nachwuchs. Bei einer anderen Wühlmausart mit deutlich weniger Rezeptoren ist das fürsorgliche Verhalten hingegen kaum ausgeprägt.
Damit hatte Heinrichs gefunden, was ihn schon lange interessierte: Einen Ansatzpunkt, um die neurobiologischen Grundlagen sozialen Verhaltens zu erforschen. Mit seinem Anliegen, entsprechende Zusammenhänge auch beim Menschen zu untersuchen, stiess er jedoch zunächst auf wenig Verständnis. «Als Psychologe und Psychotherapeut mit Interesse für biologische Forschung stand ich zwischen zwei völlig getrennten Welten.» Er wollte sich jedoch nicht für eine wissenschaftliche Richtung entscheiden müssen. «Mich hat immer schon beides interessiert», sagt er. «Und ich sehe nicht ein, weshalb man Therapieforschung nicht mit naturwissenschaftlichen Ansätzen betreiben sollte, wenn dies für Patienten erfolgversprechend ist.» Folgerichtig trägt seine Gruppe den Titel «SNF-Professur Klinische Psychologie und Psychobiologie».
Einige Erfolge kann Heinrichs mit seiner Forschung inzwischen vorweisen: Zusammen mit den Wirtschaftswissenschaftlern Michael Kosfeld und Ernst Fehr von der Universität Zürich konnte er in einem 2005 in der Zeitschrift «Nature» publizierten Artikel zeigen, dass Oxytocin tatsächlich das soziale Verhalten von Menschen beeinflusst. Insbesondere erhöht das Hormon das Vertrauen in andere Menschen. Zudem unterstützt Oxytocin empathische Fähigkeiten und vermindert Angst bei Menschen, die unter sozialer Phobie leiden, wie Heinrichs in weiteren Studien herausfand. Für diese Pionierarbeiten wurde ihm gemeinsam mit Michael Kosfeld im Frühjahr dieses Jahres der Pfizer-Forschungspreis für Klinische Neurowissenschaften verliehen.
Als biologisch orientierter Forscher ist Heinrichs mit seinem Forschungsansatz in der Psychologie vom Aussenseiter zum Pionier geworden. Mit grossem Enthusiasmus orientiert er regelmässig Kolleginnen und Kollegen auf Kongressen und in Workshops über sein Fachgebiet. Auch wenn er dort nicht mehr als «der junge Exote mit dem lustigen Frauenhormon» – so Heinrichs – auftritt, ist über die Einbeziehung neurobiologischer Mechanismen in der Psychotherapie noch immer wenig bekannt. Information ist Heinrichs deshalb ein wichtiges Anliegen. Dies nicht nur unter Wissenschaftlern und Klinikern, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit.
Vor allem klinisch arbeitende Kollegen und Therapeuten seien inzwischen durchaus offen für neue Ansätze in der psychotherapeutischen Forschung. «Die Forschung zur sozialen Relevanz von Neuropeptiden wie Oxytocin ist zunächst Grundlagenforschung. Sie hat aber klar zum Ziel, Therapien zu unterstützen, bei denen wir in den vergangenen Jahren mit psychotherapeutischen Ansätzen allein nicht mehr weitergekommen sind.» So kann Oxytocin die Therapie von Patienten mit sozialer Phobie – der dritthäufigsten psychischen Störung – unterstützen. Hier kann Heinrichs aus seinen vorangegangenen Nationalfondsstudien bereits vielversprechende Ergebnisse berichten.
Dass Oxytocin sogar die Fähigkeit verbessert, aus dem Gesichtsausdruck eines Gegenübers auf seinen Gemütszustand zu schliessen, lässt Heinrichs in aktuellen Studien hoffen, dass das Hormon auch bei der Therapie von Autismus-Patienten unterstützend eingesetzt werden kann.
So ermutigend die bisherigen Ergebnisse sind, Heinrichs warnt vor falschen und naiven Vorstellungen. «Oxytocin ist bei sozial relevanten psychischen Störungen kein Medikament im herkömmlichen Sinne. Es wäre naiv zu glauben, dass man allein durch die Verabreichung eines Hormons beispielsweise Autismus therapieren kann.» Aber Oxytocin könnte eventuell als «Türöffner» für Verhaltenstherapien dienen, indem es bei Patienten die Fähigkeit verbesssert, soziale Ängste zu reduzieren und damit kompetenter Kontakt zu einem Gegenüber aufzunehmen.
Es geht Heinrichs deshalb nicht darum, Psychotherapie durch Hormone zu ersetzen. Dies muss er auch immer wieder Kritikern seines Ansatzes erläutern, die ihm vorwerfen, komplexe Vorgänge im Gehirn auf simple monokausale Reaktionen zu reduzieren.
Dank der Förderungsprofessur des SNF kann Heinrichs nun mit einer erweiterten Forschergruppe die Psychobiologie sozialer Beziehungsfähigkeit eingehender erforschen. Vier Teilprojekte – aufgeteilt zwischen Grundlagen- und klinischer Forschung – sollen u.a. untersuchen, welche Effekte beispielsweise Oxytocin und sein «Gegenspieler» Vasopressin auf das soziale bzw. anti-soziale Verhalten haben. Dies soll – in Erweiterung früherer Studien –nicht nur an gesunden Menschen, sondern auch an Patienten untersucht werden, die unter verschiedenen psychischen Störungen mit sozialen Defiziten leiden.
In einem weiteren Teilprojekt sollen mit bildgebenden Verfahren die hormonellen Steuerungsprozesse im Gehirn bei Patienten mit sozialer Phobie untersucht werden. In einem klinisch orientierten Teil schliesslich, will Heinrichs neue therapeutische Ansätze für Krankheiten wie das Asperger-Syndrom (eine mildere Form von Autismus) oder die soziale Phobie entwickeln und evaluieren.
Damit hat sich Heinrichs, wie er selber sagt, viel vorgenommen: «Für das ganze Team wird es ein anspruchvolles Programm in den nächsten vier Jahren.» Doch dank zusätzlicher Unterstützung durch den Universitären Forschungsschwerpunkt «Grundlagen des menschlichen Sozialverhaltens» der Universität Zürich konnte er inzwischen ein grösseres Forschungsteam zusammenstellen als es mit einer SNF-Professur allein möglich wäre.
Voller Forscherdrang brachte Heinrichs – keine 24 Stunden, nachdem er den Bescheid vom Nationalfonds erhalten hatte – seine Projekte in Gang: «Ich wollte sogleich loslegen. Vier Jahre intensiv zu forschen, das ist das Beste, was einem Forscher passieren kann.»