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Bilanz des abgeschlossenen UFSP «Dynamik Gesunden Alterns»

«Die WHO hat unser Modell übernommen»

Die Menschen werden immer älter. Wie können sie ihre Gesundheit und Lebensqualität im Alter erhalten? Dazu forschte der UFSP «Dynamik Gesunden Alterns» während der letzten zwölf Jahre in 22 Teilprojekten. Direktor Mike Martin zieht Bilanz.
Carole Scheidegger
Zwei ältere Frauen machen ein Selfie
Auch dank Smartphones konnte der UFSP «Dynamik Gesunden Alterns» die Aktivitäten älterer Menschen detailliert untersuchen. (Bild: Jacob Wackerhausen/istockphoto)

Mike Martin, der UFSP «Dynamik Gesunden Alterns» wollte herausfinden, wie man gesund altert. Was sind die wichtigsten Resultate?

Mike Martin: Bis anhin hat die Forschung den Blick vor allem darauf gelegt, wie Krankheiten im Alter vermieden werden können. Wir haben aber herausgefunden, dass auch Menschen mit Erkrankungen, vielleicht sogar mit mehreren Erkrankungen, hoch leistungsfähig sein können. Aus diesen Erkenntnissen ist eine neue Definition entstanden, die sogar von der WHO übernommen wurde: Gesundes Alter ist, wenn eine Person weiterhin das tun kann, was sie wertschätzt. Früher hat man untersucht, ob zum Beispiel Musik oder Sport am besten ist für das Alter. Nun haben wir erkannt, dass wir primär Entscheidungshilfen liefern sollten, damit die Menschen herausfinden, was denn die Dinge sind, die sie wertschätzen.

Welches Resultat des UFSP hat Sie persönlich am meisten überrascht?

Die Vielfältigkeit des gesunden Alterns. Die Menschen sind in dieser Phase sehr kreativ. Sie möchten auch im Alter einen sinnvollen Beitrag für die Gemeinschaft leisten und suchen nach neuen Wegen. Ebenfalls erstaunlich war für mich, wie gross der Einfluss des Kontexts ist, also zum Beispiel davon, welche Angebote in der Wohngemeinde einer Person verfügbar sind. Interventionen sollten daher vielfältig sein und individuelle Wahlmöglichkeiten bieten, um bestmögliche Effekte zu erzielen.

Mike Martin

Gesundes Altern ist, wenn eine Person weiterhin das tun kann, was sie wertschätzt.

Mike Martin
Direktor UFSP «Dynamik Gesunden Alterns»

Gab es weitere überraschende Ergebnisse?

Erstaunlich war, wie gut die Technologie akzeptiert wurde, die in einigen der UFSP-Projekten eingesetzt wurde. Wir ermittelten die Aktivitäten der Studienteilnehmenden unter anderem dank Smartphones. Diese waren 2012, als der UFSP startete, erst seit fünf Jahren auf dem Markt. Es gab zuerst Befürchtungen, dass die Studienteilnehmenden nicht bereit sein würden, solche technischen Mittel einzusetzen. Das hat sich überhaupt nicht bewahrheitet. So konnten wir gezielt sogenannte Real-World-Daten sammeln. Es ist uns gelungen, sehr unterschiedliche Längsschnittstudien zu koordinieren. Darunter sind solche mit einer Laufzeit von 20 Jahren. Die Studien umfassen insgesamt etwa 250’000 Personen und 3 Millionen Daten.

Wie hat sich die Relevanz des UFSP-Themas Gesundes Altern im Laufe der letzten zwölf Jahre verändert?

Schon rein zahlenmässig hat die Relevanz stark zugenommen: 2012 zählte die Schweiz 8 Millionen Einwohner:innen und 1,14 Millionen Personen über 65 Jahre, heute sind es 9 Millionen Einwohner:innen und 1,7 Millionen über 65. Noch entscheidender ist jedoch der gestiegene Bedarf an Differenzierung. Früher konzentrierten sich Innovationen oft auf Kostensenkungen im Gesundheitswesen, etwa durch frühzeitiges Erkennen von Demenz-Erkrankungen. In der Schweiz sind 150’000 Menschen über 65 Jahren von Demenz betroffen. Das bedeutet aber auch, dass 1,6 Millionen Menschen über 65 nicht von Demenz betroffen sind. Und selbst von den Betroffenen zeigen viele in 95 Prozent der Alltagssituationen gute Orientierung. Heute geht es darum, den gesellschaftlichen Wert der Älteren zu erkennen und zu fördern, indem ihre Fähigkeiten und Interessen differenziert wahrgenommen werden. Diese Betrachtung verhindert Ausgrenzung und fördert die Offenheit für neue Entwicklungen, was die gesellschaftliche Weiterentwicklung begünstigt.

Um die «Dynamik des gesunden Alterns» besser zu verstehen, wurden 22 Forschungsprojekte durchgeführt – mit zahlreichen positiven Resultaten.  Muss die Gesellschaft ihr negatives Bild vom Altern revidieren?

In einem unserer aktuellen Projekte forschen wir zu Alters-Stereotypisierungen. Diese bestehen sehr klar, und wir wissen auch, dass sie mit sehr hohen Kosten verbunden sind und konkrete Auswirkungen haben. Personen, die wissen, dass sie ungeachtet ihres Alters das tun können, was für sie wertvoll ist, haben eine höhere Lebenserwartung gegenüber solchen, die das nicht von sich sagen können. Und zwar von siebeneinhalb Jahren! Die Hürden sind dabei meistens nicht rechtlicher Natur, sondern gesellschaftlich oder strukturell bedingt.

Wie äussert sich die Stereotypisierung?

Ich würde eher von Übergeneralisierung sprechen: Häufig werden alle, die über 65 Jahre alt sind, in einen Topf geworfen. In der Schweiz umfasst diese Gruppe Menschen im Alter von 65 bis 115 Jahren – es besteht also eine Differenz von 50 Jahren. Es würde ja auch niemand auf die Idee kommen, dass alle 0- bis 50-Jährigen die gleichen Bedürfnisse haben. Auch wir haben im UFSP zu Beginn den Fehler gemacht, die Menschen über 65 in eine Gruppe zu stecken und so zu tun, als ob diese eine homogene Einheit bilden würden. Dabei sagt das Alter nicht viel über einen Menschen aus. Wenn ich von einer Person nur das Alter kenne, weiss ich fast nichts über sie.

Was hat der UFSP der Gesellschaft gebracht?

Er hat das Verständnis altersspezifischer Phänomene erweitert. Anstatt sich nur auf die Krankheiten zu konzentrieren, hat der UFSP eine umfassende Sicht auf das Altern entwickelt. Ausserdem haben wir eine umfangreiche, multimodale Datenbasis geschaffen. Sie ermöglicht internationale Kooperationen und fördert soziale Innovationen wie auch Wertschöpfung, was langfristig zu Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen führt.

Wie positionierte sich Ihr UFSP innerhalb der internationalen Forschungslandschaft im Bereich Gesundes Altern?

Im Sommer 2018 wurde das WHO Collaborating Center Plus (WHO-CC +) Netzwerk für Gesundes Altern gegründet. Es umfasst WHO-Kollaborationszentren und andere Institutionen, die sich direkt oder indirekt mit dem Thema Altern und Gesundheit befassen. Aufgrund des UFSP konnten wir den Lead in diesem Netzwerk übernehmen. Die Altersforschung wurde genau auf das Modell ausgerichtet, das wir in Zürich entwickelt haben. Das hat uns natürlich sehr stolz gemacht. Die Universität Zürich positioniert sich damit als Wegbereiterin einer modernen, altersintegrierenden Gesellschaft.

Heute geht es darum, den gesellschaftlichen Wert der Älteren zu erkennen und zu fördern.

Mike Martin
Direktor UFSP «Dynamik Gesunden Alterns»

Die UFSP sind interdisziplinär zusammengesetzt. Wie hat sich das in Ihrem Projekt ausgewirkt?

Es ist uns gelungen, eine produktive Interdisziplinarität zu leben. Es war nicht so, dass wir nur das gleiche Thema haben und dann doch jede Disziplin getrennt arbeitet. Diese produktive Zusammenarbeit von Psychologie, Rechtswissenschaften, Geowissenschaften, Ethik, Datenwissenschaften und Medizin hat zu neuen Möglichkeiten geführt, zum Beispiel im Bereich der Datenerhebung.

UFSP-Workshop
Intensiver und interdisziplinärer Austausch: eine UFSP-Konferenz im Jahr 2018 in der Kartause Ittingen. (Bild: zvg)

Wenn Sie auf die zwölf Jahre UFSP «Dynamik Gesunden Alterns» zurückblicken: Was war für Sie persönlich das grösste Highlight?

Dass die WHO an der Zusammenarbeit mit uns interessiert war und das Modell des gesunden Alterns übernommen hat, bildete ein grosses Highlight. Das zeigt, dass wir in diesem Bereich eine Vordenkerrolle innehaben. Und es belohnt einen Ansatz, der an der UZH generell gepflegt wird: Dass wir erst einmal nachdenken darüber, was die interessanten Fragen sind.

Wie geht es nun weiter?

Wir haben unsere Ergebnisse in das Healthy Longevity Center überführt. So können wir Forschung und Innovation kombinieren. Aktuell bauen wir ein Netzwerk auf mit Partnern aus dem öffentlichen und privaten Bereich. Dafür hat der UFSP die Grundlage gelegt, ohne ihn wären wir nie an diesen Punkt gekommen.

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