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Kaum ein ethnologisches Thema hat in den letzten Jahren eine grössere Öffentlichkeit erreicht als die sogenannten Benin-Bronzen: 1897 aus dem Königtum Benin geraubt, befinden sich die kunstvoll gearbeiteten Artefakte heute in Museen und Sammlungen weltweit. Wissenschaftler:innen, Museumsfachleute und Journalist:innen diskutieren kontrovers und zum Teil polemisch die Frage, was mit ihnen geschehen soll. Eher selten zu hören sind Stimmen von Personen mit einem persönlichen Bezug zu diesem Kulturerbe.
Auch in der Sammlung des Völkerkundemuseums der Universität Zürich (UZH) befinden sich 18 Objekte aus dem Königtum Benin; 14 davon wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit geraubt, wie die Forschung der Benin Initiative Schweiz (BIS) zeigte.
Erworben hat sie die einstige «Sammlung für Völkerkunde der Universität Zürich» im Jahr 1940 von der damaligen Schweizerischen Volksbank. Diese hatte sie zuvor beim Zürcher Kunstsammler Han Coray beschlagnahmt, der 1931 Konkurs anmelden musste. Coray hatte die Skulpturen, Reliefplatten sowie weitere Objekte Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Kunstmarkt gekauft, als afrikanische Artefakte unter europäischen Intellektuellen, Künstler:innen und Sammler:innen begehrte Kunstwerke waren.
Seit 20 Jahren nicht mehr öffentlich gezeigt, werden die Objekte des Völkerkundemuseums der UZH in «Benin verpflichtet» erstmals wieder ausgestellt und ihre problematische, nicht lückenlos geklärte Provenienz thematisiert. Die Artefakte werden in Vitrinen präsentiert, die von zwei Seiten einsehbar sind, und so unterschiedliche Aspekte thematisieren. Eine Reliefplatte etwa trägt auf der Rückseite die Inventarnummer des Sammlers Coray und verweist damit auf die Praktiken europäischer Kunstliebhaber. Auf der anderen Seite der Vitrine erklärt der nigerianische Benin-Historiker Patrick Oronsaye die eigentliche Bedeutung des Objekts, das einst nicht als Kunstwerk, sondern als visuelles Archiv des Königtums hergestellt wurde.
Die Geschichte der Objekte ist eng mit der Geschichte des Königtums Benin verknüpft: In der keine Schrift nutzenden Kultur wurden wichtige Ereignisse in Ama, Reliefplatten, festgehalten. Mit ihrer Plünderung wurde auch das Geschichtsarchiv des Königtums auseinandergerissen. In der Ausstellung werden zwei solche Platten präsentiert – und gezeigt, wie sie in Benin gepflegt wurden, damit die Bronze glänzt: mit Salz, Asche und Limette.
Die Bronzegiesser-Gilde gibt es in Benin City, heutige Hauptstadt des Bundestaats Edo State, nach wie vor. Der Bronzegiesser Phil Omodamwen hat im Auftrag des Museums eine historische Glocke nachgebildet und weitere Exponate erstellt, die die verschiedenen Arbeitsschritte illustrieren – Objekte, die sich in Zukunft rechtmässig im Besitz des Völkerkundemuseums befinden.
Doch wie soll man mit den geraubten Schätzen in der eigenen Sammlung umgehen? «In der Ausstellung befragen wir dazu die Gemeinschaften, deren Meinung uns wichtig ist: nigerianische Fachleute und Menschen aus Nigeria in der Schweizer Diaspora», erklärt Kurator Alexis Malefakis. Der Edo United Club of Switzerland begleitete die Entwicklung der Ausstellung kritisch; zwei Vertreter erläutern in Videoprojektionen, welchen Wert die Objekte für sie haben und wie sie sich den Umgang mit ihrem Kulturerbe vorstellen.
Die Zusammenarbeit mit der African Students Association of Zurich ASAZ von Universität und ETH Zürich bringt zudem die Perspektive junger Afroschweizer:innen ein. «Die Eröffnung der Ausstellung ist ein erster, wichtiger Schritt», sagt Kuratorin und Provenienzforscherin Alice Hertzog. «Während der Laufzeit erhoffen wir uns weitere Begegnungen und Gespräche.» Im Ausstellungsraum befindet sich daher auch eine freie Fläche für Veranstaltungen.
Die Frage nach dem Umgang mit Raubgut beschäftigt Wissenschaft und Kulturbetrieb. Die Direktor:innen der ethnologischen Museen im deutschsprachigen Raum publizierten 2019 die «Heidelberger Stellungnahme» und 2024 die «Zürcher Erklärung». Mehrere Museen haben Objekte aus Benin bereits an Nigeria zurückgegeben – physisch oder in Form einer Übertragung der Eigentumsrechte.
Die Benin Initiative Schweiz hat, unterstützt vom Bundesamt für Kultur (BAK), die Provenienz von Benin-Objekten in der Schweiz zusammen mit nigerianischen Institutionen erforscht. Das Völkerkundemuseum der UZH hat die «Joint Declaration» der Benin Initiative Schweiz mitverfasst, welche die Forderungen zur Rückgabe der Objekte unterstützt. Als Eigentümerin der Benin-Objekte befassen sich nun die Universität Zürich und letztlich der Kanton mit nächsten Schritten. Museumsdirektorin Mareile Flitsch spricht von einen Paradigmenwechsel: «Ethnologische Museen sind heute gefordert, vergangene Weltbilder und Haltungen zu überdenken. Unsere Sammlungen bieten einzigartige Chancen für Begegnungen mit ihren Urheber:innen und deren Nachkommen. Diese gemeinsame Auseinandersetzung verändert das Sammeln, Erforschen und Präsentieren der Objekte.»