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Auf dem Arbeitsmarkt gibt es noch immer eine starke Geschlechtertrennung, obwohl sich die berufliche Stellung der Geschlechter in den letzten 50 Jahren angeglichen hat. So sind zum Beispiel viele Pflegeberufe weiblich dominiert, während viele Handwerksberufe vor allem von Männern ausgeübt werden. Bisher wurde dies wie folgt erklärt: 1. Männer haben Vorteile, in besser bezahlte Berufe zu kommen; 2. Die Berufswahl folgt genderstereotypen Fähigkeiten – Männer arbeiten zum Beispiel in mathematischen oder technischen Berufen, während Frauen in sozialen oder feinmotorischen Berufen arbeiten; 3. Die Arbeitsteilung bei heterosexuellen Paaren führt oft dazu, dass Frauen eher Berufe wählen, in denen flexible oder reduzierte Arbeitszeiten möglich sind.
Allerdings gibt es viele Beispiele für geschlechtertypische Berufe, deren Zusammensetzung nicht mit diesen Faktoren erklärt werden kann. Andere Berufe wie zum Beispiel Lehrer oder Apotheker ändern ihre Geschlechterzusammensetzung mit der Zeit, obwohl sich der Beruf kaum verändert. Auch gibt es innerhalb von Berufen geschlechtsspezifische Spezialisierungen, die sich nicht einfach erklären lassen: So arbeiten in der Radiologie eher Männer und in der Dermatologie eher Frauen. In der Genderforschung gibt es daher die Theorie, dass Männer selektiv Berufe und Spezialisierungen verlassen, die von mehr Frauen neu aufgenommen werden.
Per Block, Professor für Soziologie an der Universität Zürich, hat die Theorie mithilfe neuer Methoden aus der Netzwerkforschung empirisch überprüft. Der Arbeitsmarkt wird dabei als ein Netzwerk verstanden, in dem Arbeitnehmende mit ihren Berufswechseln verschiedene Berufe verbinden. Dadurch kann analysiert werden, ob Männer selektiv Berufe verlassen, die sich feminisieren. Dies geschieht unter Berücksichtigung der verschiedenen Berufsmerkmale, die Männer und Frauen in verschiedene Berufe kanalisieren. Die empirischen Daten der Studie stammen aus Grossbritannien; der dortige Arbeitsmarkt hat Gemeinsamkeiten sowohl mit vielen europäischen, aber auch mit nordamerikanischen Staaten.
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Männer mit geringerer Wahrscheinlichkeit in Berufen bleiben, in die mehr Frauen wechseln. Die Studie vergleicht zum Beispiel zwei hypothetische Berufe, die in allen Berufsmerkmalen identisch sind und sich nur darin unterscheiden, dass in einem 25 Prozent und im anderen 75 Prozent Frauen arbeiten. «Die Analyse zeigt, dass Männer mit doppelter Wahrscheinlichkeit den sich feminisierenden Beruf verlassen», sagt Prof. Block. Die Auswirkung dieses Verhalten wird in einer Simulationsstudie erforscht, in der Frauen und Männer sich nicht vom Geschlecht der anderen Arbeitnehmer in Berufen beeinflussen lassen. Würden tatsächlich nur berufsspezifische Attribute (wie Lohn, Flexibilität, oder Charakteristiken der Tätigkeit) die Berufswechsel beeinflussen, sagt die Simulationsstudie eine Abnahme der Geschlechtertrennung in Berufen um 19-28 Prozent voraus.
Die Forschungsarbeit folgert, dass Geschlechtertrennung nicht nur von geschlechtstypischen Berufsattributen verursacht wird, sondern auch von Männern (und Frauen), die sich bewusst oder unbewusst gegen eine Durchmischung wehren. Die Wahrnehmung von Berufen ist möglicherweise also auch eine Konsequenz der Geschlechterzusammensetzung statt nur ihre Ursache. Per Block gibt ein Beispiel: «Der Pflegeberuf wird eher mit stereotyp weiblichen Attributen beschrieben: sozial, empathisch, kümmernd. Wären die meisten Pflegepersonen Männer, würden wir den Beruf vielleicht ganz anders wahrnehmen, zum Beispiel als verantwortungsbewusst, durchsetzungsstark oder körperlich anstrengend.»
Per Block. Understanding the self-organization of occupational sex segregation with mobility networks. Social Networks. 30. December 2022. Doi: 10.1016/j.socnet.2022.12.004