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Der Informationsjournalismus verliert an gesellschaftlicher Reichweite. Die Gruppe der «News-Deprivierten», für die ein unterdurchschnittlicher News-Konsum typisch ist, wächst seit einigen Jahren kontinuierlich. Sie liegt 2022 mit einem Anteil von 38 Prozent in der Schweizer Bevölkerung auf einem neuen Höchststand und ist besonders bei jungen Erwachsenen stark vertreten.
Das Smartphone ist für junge Erwachsene eine wichtige Quelle für verschiedene Arten von Informationen. Doch darüber, wie häufig sie ihr Mobiltelefon zu Newszwecken nutzen, war bisher noch wenig bekannt. Das fög hat deshalb die mobile Mediennutzung von über 300 Studienteilnehmenden zwischen 19 und 24 Jahren mit einem Mobile Tracking detailliert erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmenden durchschnittlich nur gerade sieben Minuten pro Tag News konsumierten. Der Befund bestätigt die seit einigen Jahren bereits in Umfragen ermittelte News-Deprivation bei jungen Erwachsenen. Während junge Männer täglich durchschnittlich elf Minuten News konsumieren, liegt die mobile Nutzungsdauer bei Frauen bei fünf Minuten pro Tag.
Dies hat Folgen: «Welche Medien eine Person nutzt und wie oft, hat einen Einfluss auf ihre Teilnahme am politischen Geschehen», sagt Medien-Experte und fög-Direktor Mark Eisenegger. Besonders hoch ist die Stimmbeteiligung (70%) bei Menschen, die traditionelle Schweizer Medienangebote wie Zeitungen, Radio- oder TV-Nachrichten nutzen – zwar nicht intensiv, aber regelmässig. Signifikant tiefer ist sie bei den News-Deprivierten (30%), die im Vergleich zu anderen Gruppen mit Nachrichten unterversorgt sind. Typisch für diese Gruppe ist auch ein geringeres Interesse an Politik und ein tieferes Vertrauen in die Regierung. News-Deprivierte bleiben der Politik jedoch nicht komplett fern, sondern lassen sich für einzelne Abstimmungen mobilisieren.
Die Befunde des Jahrbuchs zeigen, dass die Qualität der Schweizer Medien insgesamt leicht zugenommen hat. Die Medien ordnen seit Beginn der Corona-Pandemie stärker ein und berichten vermehrt über Hard News, vor allem über Schweizer Politik. Mit dem Fokus auf Politik und dem Rückgang an Human-Interest-Themen steigt die Relevanz. Allerdings bewirkt der starke Fokus auf die Pandemie auch Defizite bei der Vielfalt. Bei der Medienberichterstattung zum Ukraine-Krieg lässt sich eine relativ hohe Qualität beobachten, wie das fög in einer vorab publizierten Studie feststellte.
In einer Vertiefungsstudie zur Qualität der Wirtschaftsberichterstattung zeigt sich, dass betriebswirtschaftliche, unternehmensbezogenen Beiträge hier den grössten Anteil ausmachen (2021: 68%). Berichte zu gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen haben in den letzten Jahren hingegen an Bedeutung verloren. «Der Wirtschaftsjournalismus verliert dadurch seine Funktion als Frühwarnsystem, das z. B. Wirtschaftsblasen oder Rezessionen frühzeitig thematisiert», so Eisenegger. Zudem sind Frauen in Beiträgen zu Wirtschaftsthemen im Vergleich zu Männern deutlich unterrepräsentiert (2021: 23% Frauenanteil). Immerhin: Der Anteil an Frauen in der Wirtschaftsberichterstattung ist im Vergleich zu anderen Themenbereichen wie Politik, Sport und Kultur seit 2015 am stärksten gewachsen.
In der Schweiz hat das Interesse an Nachrichten abgenommen, wenn auch moderater als in anderen Ländern. 2022 geben noch 50 Prozent der Befragten an, sich stark oder sehr stark für Nachrichten zu interessieren (2021: 57%). Die Zahlungsbereitschaft stagniert auf tiefem Niveau. Nur 18 Prozent geben an, im vergangenen Jahr für Online-Nachrichten bezahlt zu haben (2021: 17%). Dass auch das gesellschaftliche Umfeld zunehmend schwieriger wird für den Journalismus, zeigt der hohe Anteil an Schweizer Medienschaffenden (87%), die bereits Einflussnahmen erlebt haben (siehe vorab publizierte Studie).
Der Journalismus ist unter Druck. Nicht nur die Finanzierung bleibt schwierig, besonders nach der Ablehnung des Mediengesetzes durch das Stimmvolk. Auch die Reichweite und gesellschaftliche Akzeptanz journalistischer Medien nimmt ab, mit negativen Folgen für die Demokratie. Was also tun? «Die Medienkompetenz an Schulen muss stärker gefördert und die demokratische Relevanz der Medien besser vermittelt werden», ist Eisenegger überzeugt. Auch brauche es im Journalismus mehr Wissen darüber, wie qualitativ hochstehende Inhalte über digitale Kanäle ein Publikum erreichen. «Dazu ist eine engere Kooperation zwischen Medienunternehmen und Wissenschaft sinnvoll.» Nicht zuletzt sind laut dem Medienwissenschaftler neue politische Vorlagen zur Finanzierung der Medien und angrenzender Institutionen nötig.
Das Jahrbuch 2022 sowie die Vertiefungsstudien sind auf www.foeg.uzh.ch erhältlich.