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Seit der Invasion der Ukraine durch russische Truppen im Februar 2022 dominiert der Konflikt die Schlagzeilen und hat die Corona-Pandemie als meistbeachtetes Thema abgelöst. In den ersten Tagen nach der Invasion enthielten bis zu 45 Prozent aller Medienbeiträge einen Bezug zum Ukrainekrieg. Die Beachtung nimmt über die Zeit ab und pendelt sich im Mai 2022 bei 20 Prozent der Gesamtberichterstattung ein – nach wie vor ein sehr hoher Wert. Das zeigt die Studie des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich, das die Medienberichterstattung zum Ukrainekrieg zwischen Januar und Mai 2022 anhand von automatisierten und manuellen Inhaltsanalysen untersuchte. Analysiert wurden 13 Onlinemedien aus der Deutschschweiz und der Romandie.
«Grosse kriegerische Auseinandersetzungen führen zu einem steigenden Bedürfnis nach Information und Orientierung. Medien spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie operieren jedoch unter erschwerten Bedingungen, etwa weil der Zugang zu Informationen schwieriger ist, oder weil die Medien teilweise der Zensur unterworfen sind», sagt Linards Udris, Studienleiter und stellvertretender Forschungsleiter des fög. Vor diesem Hintergrund sei die Frage nach der Qualität der Berichterstattung von besonderem Interesse, so Udris.
In ihrer Berichterstattung über den Ukrainekrieg beleuchten Schweizer Medien unterschiedliche Schwerpunkte. In Boulevard- und Pendlermedien macht die aktualitätsbezogene Berichterstattung zum Kriegsgeschehen (39%) den grössten Anteil aus. Dieser Anteil ist deutlich höher als auf den Websites der Abonnementsmedien oder des öffentlichen Rundfunks (jeweils 25%). In Abonnementsmedien (41%) und dem öffentlichen Rundfunk (42%) stehen hingegen die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des Krieges stärker im Zentrum als in Boulevard- und Pendlermedien (25%). Eine automatisierte Analyse zur geographischen Vielfalt der Kriegsberichterstattung zeigt zudem eine starke Aufmerksamkeitskonzentration auf die Ukraine (20%), Russland (13%) und andere Länder insbesondere des Westens. Andere, indirekt betroffene Regionen des globalen Südens, die vor einer drohenden Hungersnot stehen, werden vernachlässigt.
Untersucht wurde auch, inwiefern Medien Hintergrundinformationen zum Ukrainekrieg liefern. Dabei zeigt sich, dass die analysierten Onlinemedien insgesamt einen relativ hohen Anteil an einordnenden Beiträgen aufweisen (25%). Dieser ist deutlich höher als bei der themenunabhängigen Gesamtberichterstattung im Jahr 2021 (14%). Einen besonders hohen Beitrag zur Einordnung liefern die Abonnementsmedien (41%), deren Einordnungsleistung im Vergleich zur Gesamtberichterstattung 17 Prozentpunkte höher ist. Aber auch Boulevard- und Pendlermedien vermitteln mehr Hintergründe beim Thema Ukrainekrieg (11% gegenüber 7% bei der Gesamtberichterstattung).
Bilder nehmen eine zentrale Funktion in der Darstellung von Krieg in den Medien ein. In der untersuchten Berichterstattung sind kaum problematische Darstellungen von Toten und Verletzten zu finden. Nur 4 Prozent der Kriegsberichterstattung zeigen Bilder von Verletzten oder Toten. Alle Darstellungen von Toten waren dabei anonymisiert, das heisst, die Gesichter waren nicht zu sehen oder waren verpixelt bzw. die Körper waren abdeckt oder ebenfalls verpixelt. «Insgesamt war der Umgang mit Bildern von Verletzten und Toten aus medienethischer Perspektive korrekt», sagt Udris.
Alle Medientypen waren zum Teil sehr abhängig von Nachrichtenagenturen oder externen Quellen. Die Auslandsberichterstattung von Boulevard- und Pendlermedien beruht zu 62 Prozent auf Agenturmeldungen (Abonnementsmedien: 10%, öffentlicher Rundfunk: 32%). Diese Medien haben in der Regel auch kein eigenes Korrespondenten-Netzwerk, anders als Abonnementsmedien und der öffentliche Rundfunk, deren Beiträge zu 32 bzw. 18 Prozent von Auslandkorrespondenten stammen. Neben Nachrichtenagenturen sind journalistische Medien (21%) und Social Media (16%) – allen voran Twitter – zentrale externe Quellen für Beiträge. Wichtig bei allen Medientypen sind ebenfalls staatlich-militärische Quellen, die in 31 Prozent der Beiträge verwendet werden. «Gerade durch die Abhängigkeit von solchen externen Quellen besteht das Risiko, dass Narrative von Kriegsparteien unkritisch übernommen werden», betont Linards Udris.