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Herzstillstand

Oft sind vererbbare Krankheiten mit im Spiel, wenn jüngere Menschen den plötzlichen Herztod sterben. Genetische Analysen können weiteres Leid in den betroffenen Familien verhindern, wie eine Studie am Institut für Rechtsmedizin gezeigt hat.
Stefan Stöcklin
Daenische Nationalmannschaft
Der Captain der dänischen Fussball-Nationalmannschaft, Christian Eriksen, brach 2021 während eines Spiels gegen Finnland zusammen. Mit Herzmassage und Elektroschocks konnte er reanimiert werden. (Bild: AFP, Keystone)

Der plötzliche Herztod setzt dem Leben ein jähes Ende. Warnsignale gibt es meist nicht. So fühlte sich die 36-jährige Frau – nennen wir sie N. – nur etwas unwohl und beschloss, sich zur Entspannung ein warmes Bad zu gönnen. Kurz darauf hörte ihr Herz auf zu schlagen. Die Reanimation durch ihren Freund und danach durch die Sanität konnte sie nicht retten – wenige Tage später verstarb N. an schweren Hirnschäden aufgrund des Sauerstoffmangels. Auch der 40-jährige M. machte sich keine Sorgen, als er seine übliche Joggingrunde drehen wollte. Seit Jahren hielt sich der Mann mit Bewegung fit. Und doch brach er auf einem Spazierweg tödlich zusammen.

Der unerwartete Tod jüngerer Menschen ist ein traumatisches Ereignis. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich das Leid vorzustellen, die solche Todesfälle für die Angehörigen verursachen. «Wir müssen alles tun, um solche tödlichen Erkrankungen zu vermeiden», sagt Genetikerin Cordula Haas vom Institut für Rechtsmedizin der UZH. Sie hat zusammen mit Jacqueline Neubauer, dem Kardiologen Ardan Saguner vom USZ und weiteren Fachpersonen sowie der Zürcher Staatsanwaltschaft ein Pilotprojekt abgeschlossen, um solche Todesfälle genauer zu untersuchen.

«Wir haben die Fälle von plötzlichem Herztod analysiert, um allenfalls direkten Familienangehörigen eine Beratung zu empfehlen», sagt Haas. Denn die Genetik spielt beim plötzlichen Herztod von jüngeren Menschen eine wichtige Rolle, wie Jacqueline Neubauer in einer vorhergehenden Studie gezeigt hat. Deshalb ist es wichtig, relevante Genmutationen bei den Verstorbenen zu suchen. Sind diese identifiziert, können die Forscherinnen und Forscher bei direkten Verwandten danach suchen und allenfalls weitere Todesfälle verhindern.

Kollabierender Fussballstar

Spätestens seit dem Fall des Fussballspielers Christian Eriksen ist das Thema einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Viele dürften das Bild noch vor Augen haben: Während der Europameisterschaft 2021 bricht der dänische Captain im Spiel gegen Finnland zusammen. Umringt von seinen Teammitgliedern und vor den Augen der halben Welt wird er vom Teamarzt reanimiert. Eine sofort eingeleitete Herzmassage und Elektroschocks vom Defibrillator holen den 29-jährigen Spieler zurück. Wäre er beim Joggen einsam im Wald zusammengebrochen, so hätte er dies wohl kaum überlebt. Heute spielt Eriksen sogar wieder Fussball.

Die genauen medizinischen Ursachen seines Falls sind öffentlich nicht bekannt. Kardiologe Ardan Saguner geht aber davon aus, dass er von einer genetisch oder durch eine Infektion bedingten Rhythmusstörung betroffen war. Waren Genmutationen im Spiel, so würde der Spezialist für Herzrhythmusstörungen vom USZ auf eine sogenannte Ionenkanal-Erkrankung oder Kardiomyopathie tippen.

Bei diesen Erkrankungen wird die elektrische Erregungsleitung des Herzmuskels behindert und das Organ aus dem Takt gebracht. Folgen sind gefährliche Rhythmusstörungen oder das berüchtigte Kammerflimmern, das heisst eine unkoordinierte Erregung der Herzmuskelzellen, die eine korrekte Kontraktion des Herzens verhindern. Mit elektrischen Schocks können diese Störungen gestoppt werden.

Vernarbter Herzmuskel

Äusserlich ist die genetische Erkrankung nicht erkennbar und kann sogar bei den intensiven medizinischen Untersuchungen von Profisportlern übersehen werden. Unterdessen wurde Christian Eriksen ein Defibrillator implantiert, der die Herzaktivität überwacht und die Erregungsleitung bei Bedarf synchronisiert. Dank dem Gerät steht der Fussballstar seit kurzem wieder auf dem Spielfeld, allerdings nicht in der italienischen Liga, sondern in der englischen Premier League.

Die Ionenkanal-Störungen gehören zu der einen grossen Gruppe vererbbarer Herzerkrankungen, die Herzmuskelstörungen oder Kardio-myopathien zur zweiten. Sie äussern sich in äusserlich erkennbaren Veränderungen des Herzmuskels wie beispielsweise einer Verdickung. Verschiedene Formen dieser Störungen sind bekannt. Die ACM (Arrhythmogene Cardiomyopathie) betrifft häufig junge Sportler und führt zum Verlust von Herzmuskelzellen und deren Ersatz durch Binde- und Fettgewebe. «Der Herzmuskel zeigt Vernarbungen», sagt Saguner und weist darauf hin, dass die Krankheit durch ein einziges oder mehrere veränderte Gene ausgelöst werden kann. Die Effekte der Genmutationen reichen von leichten Symptomen bis zu Kammerflimmern und Herztod.

Es sind die versteckten Krankheiten dieser beiden Gruppen, die Cordula Haas mit ihrem Team unter die Lupe nahm. Für die Pilotstudie überprüften die Expertinnen und Experten unerwartete Todesfälle junger Menschen bis 45 Jahre zwischen 2018 und 2020 am IRM. Suizide, Drogenvergiftungen, Asthmaanfälle oder erworbene Herzinfarkte wurden beiseitegelassen. Am Schluss blieben zehn Fälle, darunter die Verstorbene im Bad und der Jogger. Bei ihnen fahndeten die Spezialisten der Institute für Rechtsmedizin und Medizinische Molekulargenetik nach fehlerhaften Genen.

«Die Spurensuche gleicht einer Detektivarbeit, denn die genetische Ausgangslage ist ausserordentlich komplex», betont Jacqueline Neubauer, die sich auf die molekulargenetische Autopsie Verstorbener spezialisiert hat. Nicht weniger als 400 Gene sind unterdessen bekannt, die mit diesen Herzkrankheiten assoziiert sind, und laufend kommen neue hinzu.

Viel Expertenwissen und aufwendige Interpretationen der Genomanalysen sind notwendig. Am Schluss zeigten sich bei fünf Todesfällen, das heisst 50 Prozent der Verstorbenen, krankhafte Genvarianten. Im Fall der 36-jährigen Frau fanden sich zwei mutierte Gene, beim 40-jährigen Mann eine verdächtige Variante. In beiden Fällen war eine Herzmuskelstörung vom Typ ACM die auslösende Todesursache.

Trauerarbeit erleichtern

Nun war der Weg frei, die Angehörigen zu kontaktieren und eine kardiologisch-genetische Beratung anzubieten. In der Familie der verstorbenen Frau offenbarten die Untersuchungen mehrere gefährdete Personen, darunter einen Sohn und mehrere Geschwister. Zwei von ihnen wurde unterdessen ein Defibrillator implantiert, andere erhalten Medikamente. Kardiologe Ardan Saguner, der die betroffenen Familien betreut, sagt: «Wir konnten medizinisch sinnvolle Massnahmen ergreifen und haben dadurch das Risiko weiterer Herzstillstände deutlich reduziert.»

Nicht immer brauche es einen implantierbaren Defibrillator, in den meisten Fällen reichen Medikamente oder Änderungen des Lebensstils, zum Beispiel der Verzicht auf Leistungssport. Natürlich haben die Angehörigen auch ein Recht auf Nichtwissen, betont Ardan Saguner. «Niemand muss die kardiologischen oder genetischen Untersuchungen durchführen lassen», sagt der Mediziner.

Wie die Erfahrung aber gezeigt habe, würden die Untersuchungen geschätzt – ebenso wie die vertieften Abklärungen bei den Verstorbenen. Es erleichtere eben die Trauerarbeit, wenn man die Todesursache des geliebten Menschen kenne, sagt Saguner.

Die Verantwortlichen ziehen denn auch klare Schlüsse aus der Pilotstudie: «Genanalysen sollten bei einem Herzstillstand jüngerer Menschen zum Standard werden, wenn andere Krankheiten ausgeschlossen werden können», sagt Cordula Haas. Denn bis jetzt ist dies meist nicht der Fall. In der Rechtsmedizin geht es darum, die Todesursache festzustellen und eine Fremdeinwirkung auszuschliessen. Für die Staatsanwaltschaft spielt es aber keine Rolle, ob der Herzstillstand aufgrund eines Infarkts, das heisst einer erworbenen Erkrankung, oder eines vererbten Gendefekts eingetreten ist. «Aber wie wir gezeigt haben, macht dies für die Angehörigen einen grossen Unterschied», sagt Haas.

Die bisherige Praxis ist nicht zuletzt das Resultat ungedeckter Kosten. Krankenkassen zahlen genetische Analysen eines Verstorbenen nicht. Deshalb werden die recht teuren Genanalysen meist nicht durchgeführt, obwohl sie von den Medizinern eigentlich empfohlen werden. Immerhin – dank der Pilotstudie ändert sich diese Praxis in Zürich gerade. Fälle von plötzlichem Herztod werden nun routinemässig genetisch abgeklärt, wenn Verdacht auf eine vererbbare Krankheit besteht. Der Aufwand lohnt sich bestimmt, denkt man an das Leid, das dadurch verhindert werden kann.