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Wenn Ueli Grossniklaus Vorträge in Schulen hält, nimmt er manchmal Bilder von dürren Wurzeln und unansehnlichen Früchten mit. Sie zeigen biologische Vorfahren unserer heutigen Gemüse, auch wenn sie diesen kaum ähneln. Doch aus der kargen Wurzel der Wilden Möhre wurden über die Jahrtausende hinweg die saftigen orangen Rüebli gezüchtet, die heute auf unseren Tellern landen.
Ähnlich ist die Geschichte des Mais. Der Urur-ahne unseres heutigen Mais heisst Teosinte und besteht aus steinharten kleinen schwarzen Körnern. «Diese zu essen, wäre unseren Vorfahren vor Tausenden von Jahren wohl kaum in den Sinn gekommen», sagt Ueli Grossniklaus, der an der UZH die Genetik von Pflanzen erforscht und Co-Direktor des Universitären Forschungsschwerpunkts «Evolution in Aktion» ist.
Hätte nicht der Zufall mitgespielt. Heute nimmt man an, dass Teosinte-Samen in grauer Vorzeit zu nahe am Feuer gelegen und in der Gluthitze schliesslich aufgepoppt sind. So stand also das Popcorn am Anfang unseres Mais, der heute zusammen mit Reis, Weizen und Soja die weltweit wichtigste Nutzpflanze ist. Denn erst der Popcorn-Effekt machte klar, dass die Teosinte-Samen essbar sind und es sich lohnt, in deren Optimierung zu investieren. So wurden aus den steinharten Teosinte-Samen im Verlauf der Agrargeschichte allmählich die uns bekannten süssen Maiskörner.
«Alle unsere heutigen Gemüse sind das Produkt langwieriger Züchtungsprozesse», sagt Pflanzenbiologe Grossniklaus, «der Mensch hat immer schon die Qualitäten von Pflanzen ausgewählt, die ihm am nützlichsten sind, und diese weiterentwickelt.» So werden auch heute noch Kultur- mit Wildpflanzen und verwandten Arten gekreuzt, um gewünschte Eigenschaften zu erhalten.
Oder das Erbgut von Kulturpflanzen wird bei der Mutationszüchtung radiokativ bestrahlt oder mit Chemikalien behandelt, um zufällige genetische Veränderungen zu erzeugen. Aus diesen zufälligen Genveränderungen (Mutationen) werden dann die gewünschten selektioniert und weiter optimiert. Der Weizen, aus dem unsere Pasta gemacht wird, ist auf diesem Weg entstanden, aber auch die Pink Grapefruit und Zehntausende anderer Pflanzensorten.
Diese gängigen Züchtungsverfahren brauchen enorm viel Zeit, denn es entstehen dabei auch viele unerwünschte Mutationen, die man durch aufwändige Rückkreuzungen erst wieder loswerden muss. Eine neue Methode der Pflanzenzucht ist die Genom-Editierung mit der Genschere Crispr/Cas9, die im letzten Jahrzehnt unerahnte Perspektiven eröffnet hat.
Mit Hilfe der Gen-Editierung liesse sich die Pflanzenzucht enorm beschleunigen, ist Ueli Grossniklaus überzeugt, damit könnten schnell und präzise resistentere, nachhaltigere und den lokalen klimatischen Verhältnissen angepasstere Sorten entwickelt werden. Denn mit der Genschere lassen sich einzelne Gene gezielt umschreiben. Die gewünschten Eigenschaften von Nutzpflanzen entstehen so fast ohne unerwünschte Veränderungen. «Und», sagt Ueli Grossniklaus, «sie lassen sich von Resultaten der klassischen Züchtungensmethoden letztlich nicht mehr unterscheiden.»
Doch der Anbau von Genom-editierten Pflanzen ist in der Schweiz verboten. Er ist mit einem Moratorium belegt, das das Parlament im letzten Jahr um weitere vier Jahre bis 2025 verlängert hat. Bis 2024 soll der Bundesrat aber abklären, ob bestimmte Genom-editierte Pflanzen allenfalls davon ausgenommen und deren Anbau erlaubt werden soll. «Ich bin skeptisch, ob das gelingen wird», sagt Ueli Grossniklaus. Denn gentechnische Verfahren werden von vielen immer noch als risikoreiche, künstliche Eingriffe in die Natur wahrgenommen. In der Politik gelten sie nach wie vor als nicht mehrheitsfähig.
Ganz im Gegensatz zur Forschung. Unter Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern besteht ein breiter Konsens darüber, dass der Nutzen von gentechnisch veränderten Pflanzen gross und die damit verbundenen möglichen Gefahren klein sind. So konnte etwa das Nationale Forschungsprogramm 59 «Nutzen und Risiken der Freisetzung genetisch veränderter Pflanzen» keine technologiespezifischen Risiken nachweisen.
Allerdings hat das nicht viel an der Skepsis in der Politik geändert. «Geht es um den Klimawandel, beziehen sich beispielsweise die Grünen immer wieder auf die Resultate von wissenschaftlichen Studien», sagt Pflanzenbiologe Grossniklaus, «geht es dagegen um die grüne Gentechnik, wollen sie davon nichts wissen.»
Im Gegensatz dazu scheint sich in der Bevölkerung ein Meinungsumschwung abzuzeichnen. Hinweise dafür geben Studien, die die ETH-Forscherin Angela Bearth gemacht hat. Sie deuten darauf hin, dass die Akzeptanz gegenüber Genom-editierten Kulturpflanzen bei Konsumentinnen und Konsumenten vermutlich höher ist als bisher angenommen.
Dass sich die Meinungen in der Bevölkerung allmählich verändern, kann sich auch Anna Deplazes Zemp vorstellen, die am Universitären Forschungsschwerpunkt «Global Change and Biodiversity» der UZH beteiligt ist. «Angesichts aktueller Themen wie des Klimawandels und der Getreidekrise, die der Krieg in der Ukraine ausgelöst hat, könnte sich das schnell ändern», sagt Deplazes Zemp, «man kommt gezwungenermassen vom Gedanken weg, dass sich Naturschutz und Technik gegenseitig ausschliessen in Zeiten der schnell ändernden Herausforderungen für die Nahrungssicherheit.»
Wir könnten es uns mit Blick auf die Zukunft auch gar nicht leisten, die Möglichkeiten der Biotechnologie zu ignorieren, sagt Deplazes Zemp. Mit der Genom-Editierung könnten etwa lokal besser angepasste, resisentere Pfanzensorten gezüchtet werden, die nicht nur zu einer nachhaltigeren und produktiveren, sondern auch biodiverseren Landwirtschaft in der Schweiz und weltweit beitragen.
«Die Genom-Editierung und der Respekt vor der Natur schliessen sich für mich nicht aus», sagt die Umweltethikerin, «falsch wäre allerdings der Gedanke, dass wir einfach so weitermachen können und mit Hilfe der Technik alle Probleme lösen.» Die Biotechnologie könne zwar eine nachhaltigere Zukunft unterstützen, das allein reiche aber nicht, wir müssten auch unser Konsumverhalten grundlegend ändern.
Auch Matthias Wüthrich kann sich vorstellen, dass sich unsere Einstellung der grünen Gentechnik gegenüber wandelt. Wüthrich ist Theologe und beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit unserem Verhältnis zu Technik und Natur. «Wir haben diese beiden Bereiche schon längst amalgamiert», sagt er, «die Frage ist einzig, an welcher Stelle im Gewöhnungsspektrum wir uns zurzeit befinden, das heisst, was wir noch als natürlich und akzeptabel empfinden und was nicht.»
Diese Grenze zwischen Natur und menschgemachter Technik ist fluid. Sie ist das Resultat von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen und wird sich mit zunehmendem Einfluss der Technik auf unser Leben auch immer wieder verschieben, ist der Forscher überzeugt. «Ich vermute, wir werden Natürlichkeit in zwanzig Jahren ganz anders verstehen», sagt Wüthrich, «weil wir dann ein ganz anders Empfinden für ‹die Natur› haben werden.»
Gut möglich, dass wir dann Genom-editierte Getreide und Gemüse als selbstverständlich und natürlich ansehen werden. Momentan steht Matthias Wüthrich einer konkreten Anwendung der Genschere Crispr/Cas9 in der Landwirtschaft allerdings noch skeptisch gegenüber. Solange nicht gründlicher geklärt sei, dass diese Technologie keine Folgeschäden generiert, sei sie für ihn noch «ausser Reichweite», sagt der Theologe.
Ein wichtiger Grund für das schlechte Image der grünen Gentechnik ist für Anna Deplazes Zemp, dass sie in erster Linie für die profitorientierte Anwendung multinationaler Agrokonzerne bekannt ist. Unternehmen wie Monsanto und Syngenta werden für ihre Monopolstellung auf dem Saatgutmarkt kritisiert und dafür, dass sie Bauern in Entwicklungsländern von sich abhängig machen und zudem wenig zur nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft beitragen. «Die restriktiven Regulierungen in der grünen Gentechnik spielen diesen Unternehmen in die Hände», sagt Ueli Grossniklaus, «denn nur diese verfügen über das Kapital, um die hohen Kosten eines Zulassungsverfahrens für neu entwickeltes, genetisch verändertes Saatgut zu tragen.»
Würden dagegen Genom-editierte Pflanzen künftig als klassische Züchtungen gelten und ihr Anbau erlaubt werden, könnte sich das ändern. «Dann würden schlagartig viele Startup-Firmen entstehen», ist Grossniklaus überzeugt, «das gäbe einen riesigen Innova-tionsschub und würde die Technologie demokratisieren.» Dieser Schub sei auch bitter nötig. Denn die Nachfrage für genveränderte Pflanzen sei heute schon enorm, um die Landwirtschaft weltweit nachhaltiger und produktiver zu machen.