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Die Leuchtreklame am Bahnhof oder das Flutlicht der Sportanlage, der Fernsehturm oder die blinkende Weihnachtsgirlande der Nachbarin: Wenn wir die Nacht beleuchten, spüren das Menschen, Tiere und Pflanzen. Die Lichtverschmutzung nimmt weltweit jedes Jahr um zwei bis sechs Prozent zu, wahrscheinlich rascher als jede andere Form von Umweltverschmutzung, wie es in einer Publikation des Bundesamtes für Umwelt heisst.
Wie sich Lichtverschmutzung auswirkt, lässt sich heute kaum abschätzen. Was zu viel Licht in der Nacht mit uns und anderen Lebewesen macht, hängt nicht nur davon ab, wie intensiv dieses scheint, wie es sich zusammensetzt oder wie lange und wo es eingesetzt wird, sondern auch davon, wie lichtempfindlich und anpassungsfähig Organismen sind.
Fest steht: Licht in der Nacht bringt Ökosysteme aus dem Gleichgewicht. «Die Lichtverschmutzung verändert, wie Arten interagieren und sich Artengemeinschaften zusammensetzen», sagt die Ökologin Eva Knop, Privatdozentin an der Universität Zürich und Teamleiterin am Forschungszentrum Agroscope. Denn viele physiologische Vorgänge wie das Wachstum oder der Stoffwechsel sind dem natürlichen Rhythmus von Tag und Nacht angepasst.
Wenn der Dunkelheit weniger Raum bleibt, dürfte die Biodiversität abnehmen und die Homogenisierung weiter fortschreiten. Will heissen: Häufige, besonders anpassungsfähige Tier- und Pflanzenarten werden noch häufiger, seltene noch seltener. Leiden dürften vor allem jene Arten, deren Leben sich nach Sonnenuntergang abspielt. Das sind viele: Fast zwei Drittel aller wirbellosen Tiere sind in der Dämmerung oder nachts aktiv. Bei den Wirbeltieren ist es ein Drittel. Dazu gehören alle Fledermäuse und beinahe alle Amphibien. Obwohl es noch wenig gesicherte Erkenntnisse zu den Folgen künstlichen Lichts auf Flora und Fauna gibt, sind einzelne Wirkungen bekannt.
So stellte man zum Beispiel schon in den 1930er-Jahren fest, dass direkt von Strassenlaternen beschienene Äste im Frühjahr früher austreiben und im Herbst später Laub abwerfen, was sie anfälliger für Frost und Schäden macht. Ist es nachts zu hell, bleibt sehr lichtempfindlichen Fledermäusen wie etwa der Kleinen Hufeisennase weniger Zeit für die Beutesuche, Zugvögel kommen zu früh in ihrem Brutgebiet an und Ratten entwickeln Symptome einer Depression.
Künstliches Licht beeinflusst selbst Lebewesen, die ausschliesslich am Tag aktiv sind, wie Eva Knop und ihr Team nun nachweisen konnten: Werden Wiesen nachts von einer Strassenlampe beschienen, benehmen sich tagaktive Insekten anders: Wildbienen, Fliegen und Käfer bestäuben bestimmte Pflanzen wie Baldrian, Kohldistel und Einjähriges Berufkraut deutlich seltener, wenn diese künstlichem Licht ausgesetzt waren. Der violett blühende Wald-Storchschnabel hingegen bekommt nach einer Nacht im Laternenschein zwar gleich häufig Besuch, zieht aber mehr Käfer und weniger Fliegen an.
Wie beeinflusst die nächtliche Helligkeit, was Bienen und Käfer tagsüber so tun? Genau dieser Frage geht das Forschungsteam um Knop derzeit im Rahmen des Universitären Forschungsschwerpunkts «Globaler Wandel und Biodiversität» nach: «Möglich ist, dass die nächtliche Beleuchtung verändert, in welcher Zusammensetzung und welchem Rhythmus die Pflanzen tagsüber ihren Duft ausströmen», sagt die Biologin. Da dieser je nach Helligkeit zum Beispiel eher Bestäuber anlockt oder Schädlinge abwehrt, ist der Verlauf allenfalls nicht mehr optimal auf den Tag abgeglichen.
Es könnte aber auch sein, dass Herbivoren wie etwa Schnecken bei Kunstlicht mehr Blüten und Blätter anknabbern, was die Pflanze für Bestäuber weniger attraktiv macht. «Solch vermeintlich kleine Veränderungen könnten sich langfristig auf den Bestand von Wildpflanzen auswirken und eventuell auch auf den Ertrag von landwirtschaftlichen Kulturen», gibt Knop zu bedenken. Bisher fehlen dazu jedoch die Daten.
Wenn die natürliche Ordnung durch Kunstlicht durcheinandergerät, ist das nicht für alle betroffenen Lebewesen ein Nachteil. So gab es im Experiment von Knop auch Pflanzen, die profitierten: Die Wilde Möhre etwa wurde nun deutlich häufiger bestäubt, vor allem Fliegen fanden sie anziehender. Doch die Vorteile heller Nächte sind nicht immer von Dauer: Beleuchtete Garageneinfahrten und Fassaden erleichtern so mancher Spinne die Beutesuche – einige nehmen jedoch angesichts des üppigen Angebots dann so schnell an Umfang zu, dass sie ihre eigene Häutung nicht mehr überleben.
Die wenig lichtscheue Zwergfledermaus findet an Strassenlaternen zwar mehr Falter, als sie fressen kann. Wenn aber ihr Speiseplan nur noch aus diesen besteht, geht ihr bald der Nachschub an Faltern aus. Und der Singvogel im Stadtpark, der morgens schon lange vor seinen Kollegen aus dunkleren Gegenden potenzielle Partnerinnen bezirzt, zeugt zwar früher und mehr Nachwuchs, dafür kommt dieser nicht dann zur Welt, wenn auch am meisten Nahrung verfügbar wäre.
Auch wir Menschen spüren die Folgen, wenn die Nacht zunehmend zum Tag wird. «Licht mit hohem Blauanteil kann den Schlaf beeinträchtigen und Stoffwechselprozesse stören», sagt Eva Knop. Wir gehen später ins Bett, schlafen weniger tief und lang, der Körper schüttet weniger Melatonin aus. Dieses Hormon spielt nicht nur eine entscheidende Rolle für unseren Schlaf, sondern wirkt auch bei der körpereigenen Abwehr von Krebszellen mit. Ob zu viel künstliche Beleuchtung tatsächlich die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung erhöht, ist jedoch noch unklar.
Konkrete Gesetze zur Lichtverschmutzung gibt es in der Schweiz bislang keine. Leitplanken setzen das Umweltschutzgesetz und das Natur- und Heimatschutzgesetz sowie Empfehlungen des Bundesamts für Umwelt zur Vermeidung von Licht-emissionen. In den vergangenen Jahren sind jedoch zahlreiche Projekte und Richtlinien auf Initiative von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern, Gemeinden, Regionen und Organisationen wie Dark-Sky Switzerland entstanden. Eva Knop sagt dazu: «Das Bewusstsein für die Problematik hat spürbar zugenommen.»
Im Zentrum solcher Initiativen steht, die Lichtmenge sowohl zeitlich, räumlich als auch in Intensität und Farbe präziser an den tatsächlichen Bedarf anzupassen und direkte Strahlung in den Himmel zu vermeiden. So hat sich etwa die Gemeinde Fläsch GR bei der Erneuerung ihrer Stras-senbeleuchtung bewusst dafür entschieden, sensible Orte wie etwa ihren Kirchturm, der eine Kolonie gefährdeter Mausohren beherbergt, nicht zu beleuchten. Der Naturpark Gantrisch möchte als erster Sternenpark der Schweiz die Bevölkerung für den Einfluss künstlichen Lichts auf Flora und Fauna sensibilisieren und das Erlebnis natürlicher Nachtdunkelheit zurückbringen.
Auch im Kanton Zürich soll das Thema Lichtverschmutzung verbindlicher angegangen werden. Die Baudirektion hat den Auftrag erhalten, in den kommenden zwei Jahren die gesetzlichen Grundlagen auszuarbeiten und etwa im Richtplan dunkle Zonen zu definieren. Die Stadt Zürich gehörte 2004 zu den ersten in Europa, die mit einem Plan Lumière ihre Beleuchtung besser koordinieren und bewusster gestalten wollen. Solche Konzepte dienten am Anfang vor allem dem Standortmarketing. Mittlerweile haben ökologische und energetische Überlegungen mehr Gewicht erhalten. Zahlreiche weitere grosse und kleine Städte der Schweiz haben inzwischen ähnliche Leitbilder ausgearbeitet.
Dieser Artikel ist zuerst im UZH Magazin erschienen.