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Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass aufgrund von Pandemien, Naturkatastrophen, bewaffneten Konflikten und Kriegen weltweit immer mehr Bevölkerungsgruppen humanitäre Hilfe benötigen. Um auf die Bedürfnisse der weltweit betroffenen Gemeinschaften einzugehen, setzen internationale Organisationen zunehmend neue Technologien ein. Beispiele sind geografische Informationssysteme, künstliche Intelligenz, Biometrie, Blockchains und unbemannte Luftfahrzeuge – gemeinhin als Drohnen bekannt. Drohnen stellen die erste Welle der Robotertechnologie dar, die im humanitären Sektor eingesetzt wird. Sie zeichnen sich dabei durch die beeindruckende Fähigkeit aus, humanitäre Aktionen zu beschleunigen und Hilfeleistungen zu optimieren.
Heute werden immer mehr Drohnen im humanitären Bereich für Such- und Rettungseinsätze, die Kartierung verwüsteter Regionen und zerstörter Strassen sowie Versorgungslieferungen in Notsituationen und entlegene Gebiete eingesetzt. Zu den Beispielen für den erfolgreichen Einsatz von Drohnen gehören das Erdbeben in Haiti (Schadensanalyse) 2010, der Hurrikan Sandy in den USA (Epidemieprävention) 2012, der Taifun Haiyan auf den Philippinen (Rettungslogistik) 2013, der Ausbruch von Ebola in Westafrika (medizinische Versorgungslieferungen) 2014, das Erdbeben in Nepal (Krisenkartierung) 2015 und die COVID-Pandemie (Impfstofflieferung) 2020. Während Drohnen zunächst Schlagzeilen wegen ihrer militärischen Anwendungsmöglichkeiten machten, werden sie nun als eine lebensrettende Technologie betrachtet, die über ein enormes Potenzial verfügt, Innovationskraft für humanitäre Arbeit zu nutzen.
Verbunden mit der Begeisterung ist jedoch auch eine gewisse Unsicherheit. Obwohl neue Technologien einzigartige Lösungen für den humanitären Bereich mit sich bringen, stehen technologische Innovationen oft in Konflikt mit moralischen Werten, Normen und Überzeugungen. Im humanitären Kontext kann der Einsatz neuer Technologien das Gebot «Do No Harm» auf eine harte Probe stellen, Fragen bezüglich der Souveränität aufwerfen und eine negative Auswirkung auf gefährdete Bevölkerungsgruppen haben. Auf breiterer Ebene kann Innovation Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren stören, die Ungleichheit zwischen denjenigen mit und ohne Zugang erhöhen und unerwünschte negative Auswirkungen mit sich bringen, die vor allem Schutzbedürftige unverhältnismässig stark betreffen.
Hier ist anzumerken, dass sich der humanitäre Einsatz von Drohnen stark von ihrem zivilen oder gewerblichen Einsatz in z. B. der Präzisionslandwirtschaft, Industrieinspektion, Freizeit-Fotografie oder Filmproduktion unterscheidet. Aspekte wie die potenzielle böswillige Nutzung der Technologie, die Wahrung der Privatsphäre schutzbedürftiger Menschen sowie die Sicherheit und der Schutz vertraulicher Daten sind entscheidend dafür, ob der Einsatz von Drohnen in der humanitären Hilfe angemessen ist.
Da das Konzept der humanitären Innovation relativ neu ist, müssen ausserdem Fragen bezüglich der Wirtschaftlichkeit und des Nutzen-Risiko-Verhältnisses geklärt werden. Beispielsweise liefern Drohnen im Vergleich zu Satellitenbildern Luftbilder mit einer höheren Auflösung, und die höhere Bildschärfe wirft Fragen bezüglich der Privatsphäre auf. Ein ethisches Problem tritt auch deshalb auf, weil humanitäre Daten gestohlen oder überwacht werden könnten, was ein Risiko für einzelne Personen darstellen und die humanitäre Neutralität gefährden könnte. Dies stellt die Rechtmässigkeit der weit verbreiteten (Fehl-)Annahme, dass gesellschaftliche Probleme durch technische Lösungen behoben werden können, infrage. Eine kritische Reflexion bezüglich des Gleichgewichts zwischen technischen Lösungen und ihren gesetzlichen und ethischen Auswirkungen ist daher angebracht.
Digitale Technologien gelten oft als wirkungsvolle Mittel, um nachhaltige Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals) zu erreichen. Diese Technologien haben das Potenzial, der humanitären Arbeit neue Möglichkeiten zu erschliessen, beispielsweise um Hilfsmassnahmen noch wirksamer auszuführen. Dennoch ist es absolut zentral, humanitäre Grundsätze zu wahren, die Dynamik und Komplexität der technologisch kontrollierten menschlichen Welt zu verstehen und einen verantwortungsbewussten Einsatz der Technologien zu gewährleisten.
Humanitäre Organisationen, die beginnen, solche Innovationsprogramme umzusetzen, sind also mit diversen ethischen Herausforderungen konfrontiert. Forschende der Digital Society Initiative (DSI) der Universität Zürich haben deshalb mit verschiedenen Partnern zusammengearbeitet, um zur Klärung von Art, Umfang und Beschaffenheit dieser Herausforderungen beizutragen. Stets mit dem Ziel, die Kluft zwischen «guten» und «ethischen Drohnen zu schliessen».
Eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten von 2018 bis 2021 war dabei die Entwicklung des Framework for the Ethics Assessment of Humanitarian Drones(FEAHD) für das Ethik-Assessment von humanitären Drohnen – parallel zu einer Reihe von unterstützenden Governance-Instrumenten. Das FEAHD wurde in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen durch einen faktengestützten Bottom-up-Ansatz entwickelt, an dem sowohl Fachexperten als auch Laien beteiligt waren. Aufgrund des grossen Interesses der humanitären Gemeinschaft für ethische Governance wurde 2022 ein DIZH-Innovationsfonds geschaffen, um das FEAHD mithilfe des interaktiven digitalen Tools E-HUD weiter zu standardisieren. Damit leisten Forschende der DSI einen zentralen Beitrag bei dieser «letzten Meile» und unterstützen humanitäre Organisationen dabei, ethische Werte in Innovationspraktiken zu integrieren.
Dieser Text ist Teil der Reihe «DSI Insights» auf «Inside IT»