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Das Historische Seminar (HS) der UZH wird in diesen Jahren 150 Jahre alt. Das mit den Jahren ist kein Scherz, sondern Programm, denn die Geburt der quellenbasierten Geschichtswissenschaft in Zürich lässt sich nicht an einem bestimmten Datum festmachen, sondern ist das Ergebnis eines Prozesses, der sich über mehrere Jahre hinzieht, von 1869 bis 1873.
Im Jahr 1869 präsentiert der deutsch-österreichische Historiker Max Bündinger der Zürcher Erziehungsdirektion einen Plan zur Reorganisation des historischen Unterrichts an der Universität. Bündinger und seine Kollegen wollen das Geschichtsstudium nach «übereinstimmenden Gesichtspunkten» organisieren und professionalisieren. Die in Zürich gelehrte Geschichtswissenschaft soll im Sinne von Leopold Ranke auf Quellen basieren. Ranke, bei dem Büdinger in Berlin studiert hatte, gehörte zu den Begründern der modernen Geschichtswissenschaft. Quellenbasiertes Forschen und Unterrichten war das grundlegende Credo des Historismus, der geschichtswissenschaftlichen Strömung, die von Ranke und Bündinger vertreten wurde.
Der Zürcher Regierungsrat reagierte positiv auf Bündingers Vorschlag. Damit konnte das Historische Seminar gegründet werden. Die Gründungsphase wurde im Juli 1873 mit der dem Seminarreglement abgeschlossen. Der Initiant Max Bündinger war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Zürich, er hatte 1872 einen Ruf nach Wien erhalten.
Die Gründungsgeschichte des HS gehört zu den Trouvaillen der Archivrecherchen des Historikers Jose Cáceres Mardones und der Historikerin Maryam Joseph für ihren Podcast. Maryam Joseph erinnert sich daran, wie sie im Staatsarchiv das entsprechende Dossier «Blatt für Blatt» durchsehen und so die Gründungsgeschichte rekonstruieren konnte. In einer Episode des Podcasts wird diese nacherzählt und auch der kurze Film «Zur Hebung der Historischen Studien» ist ihr gewidmet, der auf der Jubiläumsseite des HS aufgeschaltet ist.
Der Podcast besteht aus sieben Episoden, die Schlaglichter auf Entwicklungen am Historischen Seminar werfen. Mit Ausnahme der Gründungsgeschichte handelt es sich dabei um Ereignisse ab den 1960er-Jahren. Das liege daran, sagt Maryam Joseph, dass es aus der Zeit von 1900 bis 1950 kaum Quellen gibt: «Die Professoren haben offenbar ihre Unterlagen nicht ins Archiv gegeben, die Dokumente sind verloren gegangen oder die Archive haben sie entsorgt.» Für ihren Podcast haben Maryam Joseph und Jose Cáceres Mardones während mehr als einem Jahr im Staatsarchiv, im Archiv der UZH und des Historischen Seminars geforscht und dabei so Joseph «alles gelesen, was es gibt.»
Zu den Themen, die in den sieben Episoden behandelt werden, gehört der Kampf der Studierenden um Mitbestimmung – 1968 und danach. Er wurde mit wechselhaftem Erfolg geführt, etwa von der marxistischen «Basisgruppe Geschichte», zu der der spätere SP-Präsident Hans-Jürg Fehr und der mittlerweile emeritierte Geschichtsprofessor Jakob Tanner gehörten. Beide kommen im Podcast zu Wort. Die Basisgruppe arbeitete daran, die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu analysieren und zu ihrer «Überwindung» beizutragen. Das entsprach zwar dem linken Zeitgeist der Studierenden, kam aber bei den konservativen Professoren nicht gut an.
Ein weiterer Brennpunkt war die Auseinandersetzung um den Stellenwert der aussereuropäischen Geschichte insbesondere jener der «Dritten Welt» am HS. Diese war besonders in den 1980er-Jahren hitzig und mündete in einen Streit um die Nachfolge von Rudolf von Albertini, dem «roten Baron von Zürich», der bei den Studierenden sehr beliebt war. Die Favoriten der Studierenden waren der Deutsche Hans-Jürgen Puhle und der Zürcher Albert Wirz. Gewählt wurde schliesslich Jörg Fisch, was zu Protesten der Studierenden führte und einem Schreiben, in dem sie Fisch aufforderten, auf die Wahl zu verzichten. Was dieser verständlicherweise nicht tat.
Der grösste und dauerhafteste Missstand am HS war aus Sicht der Studierenden die Tatsache, dass es ausser der Professorin für Ur- und Frühgeschichte Margarita Primas eine einzige Professorin gab. Ehemalige Studentinnen erinnern sich im Podcast an den patriarchalen Stil, der am HS herrschte, mit «männlichen Superstars» und Studentinnen, von denen erwartet wurde, dass sie als «gute Meitschi» ohne Murren dieses und jenes erledigten. Zu kurz kamen in dieser Konstellation die Frauen und Geschlechtergeschichte.
Béatrice Ziegler versuchte in den 1980er-Jahren mit Veranstaltungen zur Frauengeschichte Gegensteuer zu geben. Die unabhängigen Historikerinnen Elisabeth Joris und Heidi Witzig publizierten 1986 die Quellensammlung «Frauengeschichte(n) ‒ Dokumente aus zwei Jahrhunderten zur Situation der Frauen in der Schweiz». Doch noch in den 1990er-Jahren scheiterten zwei vielversprechende Versuche, Frauen zu berufen – statt Ute Frevert, Eva Labouvie oder Susanna Burghartz wurden Jakob Tanner und Bernd Roeck berufen. Der grosse Sprung gelang erst 2003, als mit Nada Boškovska, Gesine Krüger und Francisca Loetz gleich drei Professorinnen gewählt wurden. Heute lehren am HS mehr Professorinnen als Professoren.
Eine Episode ist der Bologna Reform gewidmet, die 1999 angestossen wurde, sich über mehrere Runden und zwei Jahrzehnte hinzog und erst vor zwei Jahren abgeschlossen wurde. Zumindest zu Beginn war der Widerstand gegen die europaweite Vereinheitlichung des Studiums auch am HS beträchtlich. Carlo Moos, der von 2004 bis 2009 Seminarvorsteher war, erinnert sich daran, dass viel genörgelt wurde. Doch: «Machen mussten wir es trotzdem.» Zu den positiven Auswirkungen der Reform gehörte die Professionalisierung der Verwaltung. So wurde eine Geschäftsleitung installiert und ein IT-Koordinator engagiert. Bei Betroffenen wie der heutigen Professorin Monika Dommann löste Bologna auch Gegenentwürfe aus wie diese: «Ich hatte eine andere Vision. Die hiess Bolognese. Sie bestand darin, dass sich junge Leute treffen, gemeinsam Bolognese kochen, Fusel trinken und über ihr Leben diskutieren.»