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Sprachforschung

Abzapfen, was jemand denkt

Maschinen, die unsere Gedanken lesen und in gesprochene Sprache übersetzen: Was nach Science-Fiction tönt, könnte künftig durchaus möglich sein, sagt Linguist Balthasar Bickel. Forschende am NFS «Evolving Language» beschäftigen sich mit dem Thema Mind Reading – um es besser zu verstehen und um auf Gefahren hinzuweisen.
Roger Nickl
Forschende an der UZH können Satzbaupläne vor dem Sprechen eruieren.


Gedanken im Kopf von Menschen lesen, bevor sie ausgesprochen werden: Dies ist einem For­schungsteam in San Francisco gelungen. Mit Elektroden, die man direkt an die Hirnrinde legt, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Hirnaktivitäten so präzis messen, dass sich davon ableiten liess, was ein Proband für sich im Stillen gesagt hat. Die Möglichkeit ist faszinierend, etwa wenn man an Menschen denkt, die nicht sprechen können oder an schweren Sprachstörungen leiden. Sie könnten sich künftig über Maschinen ausdrücken, die ihre Gedanken lesen und in gesprochene Sprache übersetzen. Gleichzeitig ist die Perspektive, mit neurotechnologischen Mitteln auf unser Innerstes zuzugreifen, äusserst bedenklich. «Die Gedanken sind ja bekanntlich frei», sagt Sprachwissenschaftler Balthasar Bickel, «wenn wir direkt abzapfen könnten, was jemand denkt, bevor er oder sie es ausspricht, wäre das unglaublich gefährlich.» Ein Ziel des Nationalen Forschungsschwerpunkts «Evolving Language» ist es deshalb, die Forschung zum Mind Reading zur reflektieren und mitzugestalten. Im Interview erklärt NFS-Leiter Balthasar Bickel, weshalb. 

Balthasar Bickel, was wird am NFS «Evolving Language» im Zusammenhang mit Mind Reading konkret untersucht?

Balthasar Bickel: Im Moment verstehen wir noch gar nicht, was in diesem Bereich möglich ist. Wir untersuchen deshalb in verschiedenen Projekten, was im Hirn passiert, wenn jemand einen Satz plant. Das sind die paar wenigen Sekunden, bevor jemand spricht. Da ist schon unheimlich viel los im Gehirn. Das können wir immer besser messen.

Was genau kann gemessen werden?

Bickel: Unsere Kolleginnen in Genf können schon relativ genau sagen, welche Laute im Gehirn geplant sind. Wir konnten in unserem Team an der UZH kürzlich Satzbaupläne bereits etwa zwei Sekunden vor dem Sprechen abfangen. Die Schwierigkeit ist, die Planung von Bedeutung zu erfassen. In diesem Bereich sind wir momentan noch am wenigsten weit. Aber auch da gibt es immer mehr Fortschritte. Deshalb ist Gedankenlesen eben «reale» Science-Fiction. Da sind wir am Ball. Wir wollen eruieren, was möglich ist, und aufklären. Und wir wollen das Thema in die politische Diskussion bringen. Es ist noch viel zu wenig bekannt. Mich beschäftigt das sehr: Wenn von Digitalisierung die Rede ist, denken wir an Handys, Datenbanken und Zoom-Räume und wie wir diese nutzen. Das ist nichts im Vergleich zur Revolution, die sich in der Neurotechnologie anbahnt. Mit ihr kann sich die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, fundamental verändern.

Inwiefern?

Bickel: Menschliche Kommunikation beruht darauf, dass wir in der Regel nur abstrakte Hinweise darauf geben, was wir denken. Die Aufgabe eines Gesprächs ist es, zusammen herauszufinden, was wir jeweils genau meinen.

Wir sind ständig am Interpretieren dessen, was andere sagen?

Bickel:Genau, unsere Kommunikation beruht ganz fundamental auf diesem Interpretationsmechanismus, eine Art natürliches Mind Reading. Wenn wir Gedanken direkt maschinell lesen könnten, wäre das eine radikale Änderung, die evolutionär von grösster Bedeutung ist.

Was wäre die radikale Änderung?

Bickel: Das ganze Design der menschlichen Sprache würde sich ändern. Unsere Sprache funktioniert so, dass wir über die Laute, die wir äussern, nur ganz abstrakte Konzepte vermitteln. Oder über Gebärden. Alles andere muss durch einen kreativen Akt der Interpretation gedeutet werden. Es ist Aufgabe der Hörerinnen und Hörer, zu interpretieren. Der Sprecher oder die Sprecherin wird dann allenfalls korrigieren, wenn er oder sie sich missverstanden fühlt. Auf solchen Interpretationszusammenhängen basiert unsere Sprache, die Strukturen unseres Wortschatzes und unserer Grammatik. Das würde alles wegfallen, wenn wir Gedanken direkt lesen könnten.

Weil wir eben den konkreten Inhalt eines Gedankens erfassen können?

Bickel: Genau, das ist zwar Science-Fiction, aber wir nähern uns dieser Science-Fiction immer mehr an. Heute können wir zum Beispiel unter bestimmten experimentellen Bedingungen mit einem einfachen EEG abfangen, ob jemand plant, über ein Agens zu sprechen («Lisa warf den Stein») oder nicht («sie schlief»). Das galt vor zehn Jahren als unmöglich. Vielleicht wird es in Zukunft möglich sein, in Phasen vorzudringen, die der Bedeutungsplanung voran­-gehen – also an die Schnittstelle von konkretem Gedanken und abstrakter Sprachplanung, und zwar auch ausserhalb von experimentellen Bedingungen.

Philosophisch gefragt: Gibt es Gedanken jenseits der Sprache?

Bickel: Je nach Definition gibt es sicher so etwas wie aussersprachliches Denken, aber es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass dieses Denken von der Sprache, oder den Sprachen, die wir lernen, beeinflusst und geformt wird. Je mehr das Denken sprachlich geformt ist, desto eher lässt es sich mit den gleichen Methoden abfangen, mit denen wir jetzt schon Satz- und Wortpläne detektieren.

Das Aussprechen oder Schreiben wird nicht mehr nötig sein, weil wir dann nur noch von Hirn zu Hirn neuronale Muster austauschen?

Bickel: Im Prinzip ja – wir könnten an einen Punkt kommen, wo wir zumindest sprachlich geformte, oder teilweise geformte, Gedanken direkt digital übermitteln können. Eine andere mögliche Konsequenz daraus: Weil wir gezwungen sind, Laute, Schrift, Gebärden in der Kommunikation zu verwenden, führt das zu einer Linearisierung in der Sprache. Wir müssen die Dinge hintereinander bringen. Wenn wir di­gi­tal übermitteln, können wir dagegen simultan verschiedene Sätze austauschen – wie Computer, die parallel arbeiten.

Wir würden selbst zu Computern werden?

Bickel: Vielleicht. Fakt ist, dass wir momentan gar keine Ahnung davon haben, welche Konsequenzen das hätte. Vielleicht ist die künftige Entwicklung noch viel dramatischer als die, die ich jetzt skizziert habe. Vielleicht läuft alles aber auch ganz anders. Es ist schwer vorstellbar, was passiert, wenn man parallel verschiedene Sätze und ihre Inhalte gleichzeitig direkt in ein Gehirn speist, ohne dass diese Informationen durch Auge, Gehör oder einen anderen Sinn gehen. Forschung in diesem Bereich wird gemacht, ob wir nun dabei sind oder nicht. Unser Ziel ist es deshalb, selbst die Möglichkeiten zu erforschen und die Öffent­lichkeit zu diesem Thema aufzuklären. Wir wollen zeigen, was möglich und was absurde Science-Fiction ist, und insbesondere deutlich machen, wo die Gefahren liegen.