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Raphaèle Preisinger ist eine globale Nomadin. «Ich bin ein wenig überall aufgewachsen», sagt die Tochter einer Französin und eines deutschen Diplomaten. Die Grundschulen hat sie in Bangkok und Tokio besucht, später dann das Lycée Français in San Francisco. Mit fünfzehn Jahren ist sie mit ihren Eltern nach Deutschland gezogen, genauer nach Bonn, wo sie ihr Abitur und gleichzeitig das französische «Bac» machte und danach an der dortigen Universität Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie zu studieren begann. «Europa war für mich das unbekannte Eigene», sagt die Kunsthistorikerin rückblickend.
Schon früh hat sie sich für die europäische Kulturgeschichte interessiert, aber immer aus der Aussenperspektive der Weltbürgerin. Die Erfahrungen, die sie auf drei Kontinenten gemacht hat, und der Blick auf das eigene Fremde prägen Raphaèle Preisingers wissenschaftliche Arbeit bis heute.
In ihrem Projekt «Global Economies of Salvation. Art and the Negotiation of Sanctity in the Early Modern Period» schaut die UZH-Förderungsprofessorin weit in die Vergangenheit zurück, in die Frühe Neuzeit, als die Globalisierung des Erdballs aus europäischer Perspektive ihren Anfang nahm. Nach der «Entdeckung» Amerikas durch Kolumbus steigen Spanien und Portugal im 16. Jahrhundert zu Weltmächten auf, die sich auf dem amerikanischen Kontinent, aber auch in Afrika und Asien ausbreiten. Missionare verkünden dort den christlichen Glauben und so entstehen viele neue christliche Gemeinschaften jenseits des Atlantiks, aber beispielsweise auch in Japan – weit weg von Europa, weit weg von Rom und vom Papst.
Diese globale Konstellation hat Preisinger in ihrer Forschung im Blick, die Global-, Kultur- und Kunstgeschichte vereint. Darstellungen von Heiligen spielen dabei eine zentrale Rolle. Denn die entstehenden christlichen Gemeinschaften rund um den Globus schaffen ihre eigenen «lokalen Helden», wie Preisinger sagt, ihre eigenen Heiligen, die die Werte der jeweiligen Gesellschaften verkörpern. «Sie waren zentral für die soziale Identitätsbildung vor Ort», sagt die Forscherin, «und werteten ein Gebiet innerhalb der christlichen Welt auf.»
Doch das Recht, darüber zu entscheiden, wer heilig ist oder eben nicht, lag nicht bei den ortsansässigen Kirchenvertretern und Ordensleuten, sondern beim Papst im weit entfernten Rom. Heiligsprechungen wurden nach dem Konzil von Trient (1545−1563) zunehmend streng gehandhabt: So mussten die Kandidatinnen und Kandidaten zum Beispiel nach den Reformen Urbans VIII. nicht nur Wunder und einen Ruf der Heiligkeit vorweisen können, sondern auch seit mindestens 50 Jahren verstorben sein, bevor sie heiliggesprochen werden konnten. Wer ein Interesse daran hatte, dass eine Person heiliggesprochen wurde, musste dafür – würden wir heute sagen – intensiv Werbung machen.
Und so wurde die Heiligsprechung zu einem aufwändigen Unternehmen, für das man weder an Zeit noch an Geld sparte. «Da wurde mit viel Aufwand ein regelrechter ‹Propaganda›-Apparat aufgebaut», sagt Preisinger. Kunstwerke, vor allem Gemälde und Drucke, aber auch gedruckte Viten, Lebensbeschreibungen der Heiligen in spe, die dabei in grosser Zahl und an verschiedenen Orten der Welt entstanden, spielten dabei eine zentrale Rolle. Durch sie wurden die Gläubigen zur privaten Verehrung eines potenziellen Heiligen angeregt.
Kunstwerke sollten die Heiligsprechung vorantreiben und gleichzeitig auch ein bestimmtes Bild der oder des Heiligen durchsetzen – eines, das vielleicht nicht unbedingt demjenigen der Kurie entsprach. In diesem Prozess der «Aushandlung von Heiligkeit» zwischen Rom und weit entfernten Gebieten, so Preisingers These, wurden der Status und die Identität neu christianisierter Gebiete innerhalb der christlichen Welt verhandelt.
Raphaèle Preisinger untersucht mit ihrer Forschergruppe nun diesen Kampf um Deutungsmacht und Anerkennung und analysiert, welche Funktion die zahlreichen Bilder und Texte, die die unterschiedlichen Unterstützer von Heiligsprechungskandidaten in Amerika, Asien und Europa produzierten, dabei hatten. Und Preisinger will die sozialen Netzwerke rekonstruieren, die daran beteiligt waren. Die meisten Versuche, eine Person heiligzusprechen, scheiterten übrigens schlussendlich an den strengen Regeln Roms. Doch es gab auch Erfolgsgeschichten: So im Fall der heiligen Rose von Lima, die 1671, 53 Jahre nach ihrem Tod, von Papst Clemens X. heiliggesprochen und so zur ersten Heiligen des amerikanischen Kontinents wurde.
Mit ihrem Forschungsprojekt will Preisinger, wie sie sagt, «frühe Stimmen aus den Kolonien erklingen lassen», die bislang wenig wahrgenommen wurden. Und sie will aufzeigen, dass über Artefakte, die zwischen Europa und christlichen Gemeinschaften auf der ganzen Welt zirkulierten, Machtverhältnisse ausgehandelt wurden. «Die Kunstgeschichte hat bisher vor allem das ‹offizielle›, von Rom propagierte Bild von Heiligen in Kunstwerken untersucht», betont die Wissenschaftlerin. Gerade die europäische Kunstgeschichtsforschung sei immer noch sehr europazentriert. Dem will sie eine globalgeschichtliche Perspektive entgegensetzen.
Eine wichtige Inspirationsquelle für Preisingers Forschung ist ihr Doktorvater, der renommierte deutsche Kunsthistoriker Hans Belting. Er konnte sie für die Mittelalterforschung begeistern, aber auch für sein Programm einer modernen Bildwissenschaft. Diese beschäftigt sich nicht nur mit Kunstwerken, sondern öffnet den Blick auf alle möglichen Arten von Bildern – seien es Gemälde, Gebrauchsbilder oder Darstellungen in der naturwissenschaftlichen Forschung. Diesem Ansatz ist Raphaèle Preisinger auch in ihrem aktuellen Projekt verpflichtet.
Von ihrem Vorhaben konnte sie namhafte Förderinstitutionen überzeugen: Für ihre aktuelle Forschung an der UZH wurde die Kunsthistorikerin mit einem der renommierten ERC Starting Grants der EU und gleichzeitig einem PRIMA-Beitrag des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung hervorragender Forscherinnen auf dem Weg zu einer permanenten Professur ausgezeichnet. Solche gut dotierten Grants seien wichtig für eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere, sagt Preisinger, genauso wichtig seien aber die Leidenschaft für ein Forschungsthema und forscherische Freiräume, um diesen nachzugehen. Raphaèle Preisinger hat beides. Und so ist sie ihrem Traum vom eigenen Lehrstuhl nun einen grossen Schritt nähergekommen. Sie könne sich sehr gut eine feste Professur in der Schweiz vorstellen, sagt die Weitgereiste, aber auch überall sonst auf der Welt.