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Wie sich das menschliche Gehirn über die Lebensspanne verändert, die sogenannte Hirnplastizität, damit befasst sich Lutz Jäncke, UZH-Professor für Neuropsychologie, seit vielen Jahren. Sein Fokus richtet sich dabei darauf, wie Musik auf das Gehirn wirkt. Vor Kurzem hat er mit seinem Team ein umfangreiches Forschungsprojekt des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) abgeschlossen. Dabei setzten sich die Wissenschaftlerinnen und -schaftler mit den neuroanatomischen und neurophysiologischen Netzwerken von Musikerinnen und Musikern auseinander.
Im Rahmen der aktuellsten Studie analysierte das Team um Jäncke die Hirnstrukturen von 50 Nicht-Musikern sowie 103 Profimusikern, Musikstudentinnen und -studenten oder gut ausgebildeten Hobbymusikern mit einer Vielzahl von neurowissenschaftlichen Methoden. Zur Anwendung kamen u.a. anatomische Untersuchungen mit der strukturellen Magnetresonanztomographie sowie Messungen der Hirnaktivität in Ruhe und währendem die Probanden verschiedene musikrelevante Aufgaben lösten. Ein wesentliches Merkmal der Studie ist die grosse Stichprobe von 153 Musikerinnen bzw. Nicht-Musikern. «Ein Problem vieler Bildgebungsstudien ist, dass die Stichproben oft sehr klein sind, sodass nicht immer ausgeschlossen werden kann, dass man zufällige Befunde berichtet», so Jäncke.
Die bildgebenden Untersuchungen zeigten, dass bei Musikern die Hörareale beider Gehirnhälften stärker anatomisch und funktionell miteinander verbunden sind als bei Nicht-Musikern. Ebenso ist der Hörkortex bei Musikern stärker mit anderen Hirnbereichen verbunden – etwa jenen, die für die Verarbeitung und Kontrolle von Gedächtnisinhalten zuständig sind. «Durch das Musizieren sind die Hirnareale von Musikerinnen und Musikern stärker synchronisiert als bei Laien», sagt Jäncke. Die eingeübte Koordination zwischen Hören und Motorik beim Musizieren, beispielsweise Saiten zupfen beim Gitarre spielen, wirke sich positiv auf die Hirnplastizität aus. Dies zeigt sich laut Jäncke beispielsweise auch bei Gedächtnistests, wo Musiker bessere Werte erzielen als Nicht-Musiker.
Die Studienergebnisse belegen auch, dass die für Musiker spezifischen neuronalen Netzwerkeigenschaften stark mit dem Alter zusammenhängen: Je früher jemand lernt ein Instrument zu spielen, desto stärker ausgeprägt sind diese musikspezifischen neuronalen Verbindungen. «Diese Netzwerke werden offenbar bereits in früher Kindheit angelegt», hält Jäncke fest. «Wer früh mit dem Musiktraining beginnt und talentiert ist, der kann viel erreichen. Dies zeigt sich etwa bei herausragenden klassischen Musikern. Viele von ihnen haben im frühen Kindesalter mit dem Musizieren begonnen».
Des Weiteren untersuchten die Forschenden, wie sich die Fähigkeit des absoluten Gehörs auf die neuronalen Netzwerke auswirkt. Wer absolut hört, der erkennt jeden Ton auf Anhieb ohne Vergleichston. Diese Fähigkeit wird häufig einer genetisch bedingten Ausformung der Hörareale und des Frontalkortex sowie deren Verbindung zugeschrieben. Relativ hörende Musikerinnen und Musiker dagegen sind auf die Wahrnehmung für Tonintervalle spezialisiert – eine Fähigkeit, die sich durch intensives Musiktraining entwickelt.
In ihrem Experiment teilten die Wissenschaftler die Musiker in zwei Gruppen ein: 52 verfügten über das absolute Gehör, 51 nicht. Das Ergebnis: Die Hirnstrukturen der absolut und relativ hörenden Musiker unterschieden sich nicht sonderlich stark. «Dieses Ergebnis hat uns überrascht. Denn frühere Untersuchungen mit kleineren Stichproben legten deutlichere Unterschiede zwischen absolut und relativ hörenden Musikerinnen und Musikern nahe», sagt Jäncke.
In weiteren Studien des SNF-Projektes offenbarte sich allerdings ein moderater Zusammenhang zwischen der Leistung, Töne absolut zu erkennen und den anatomischen Verbindungen vom primären und sekundären Hörkortex zu anderen Hirngebieten. «Die mit dem Hörkortex verbundenen Hirngebiete kontrollieren interessanterweise verschiedene Gedächtnisfunktionen», so Jäncke. Unterschiede zwischen absolut und relativ hörenden Musikern zeigten sich auch in der Netzwerkaktivierung, also dann, wenn sie akustische Reize wie Töne oder Melodien verarbeiteten.
Zusammenfassend hält Jäncke fest: «Unsere Forschung zeigt, wie stark individuelle Lernerfahrungen unser Gehirn anatomisch und funktionell beeinflussen. Dies mag erklären, warum sich unser Gehirn so individuell ausprägt.»
Und inwiefern kann Musizieren auch in mittleren Jahren und im Alter die Gehirnstruktur positiv verändern und dem altersbedingten Abbau bestimmter Hirngebiete entgegenwirken? «Neuere Untersuchungen anderer Labore konnten bereits belegen, dass Musizieren bis ins hohe Alter durchaus das Gehirn anatomisch und neurophysiologisch günstig beeinflusst», schliesst Jäncke.