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Veranstaltungsreihe zu den 80ziger Jahren

«Jung kaputt spart Altersheime»

Zwischen Jugendunruhen und «Fred vom Jupiter»: Die Zeit um 1980 war von Protesten, dadaistischen Texten und der eigenwilligen Musik der Neuen Deutschen Welle geprägt. Eine von Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn initiierte Veranstaltungsreihe versucht, den damaligen Zeitgeist zu ergründen.
Roger Nickl
Zeit des kreativen Untergangs: Plattencover aus den 80ziger Jahren.

 

1980 brannte Zürich: Jugendliche protestierten für ein Autonomes Jugendzentrum. Die Zürcher Jugendunruhen zeichneten sich durch gewalttätige Strassenschlachten zwischen Demonstrierenden und der Polizei aus. Sie entfachten aber auch eine grosse Kreativität, die sich in eigenwillig gestalteten Szene-Magazinen, subversiven Kunstaktionen und der Musik von Bands wie «Grauzone» oder «TNT» ausdrückte.

Zur gleichen Zeit überrollte die Neue Deutsche Welle Deutschland, Österreich und Teile der Schweiz, die mit Songs zwischen hartem Punk und kitschigem Schlager und zuweilen skurrilen deutschen Texten den Soundtrack der Zeit gab – Andreas Dorau und die Marinas besangen «Fred vom Jupiter», die Band Ideal rief die Eiszeit aus, Trio zelebrierte mit «Da Da Da» eine neue Form von Dadaismus. In einer von Philipp Theisohn initiierten Veranstaltungsreihe «Jung kaputt spart Altersheime. Die Welt um 1980 verstehen» blicken Referenten am Deutschen Seminar auf die (Sub-)Kultur und Gesellschaft von vor vierzig Jahren zurück und versuchen, den damaligen Zeitgeist zu analysieren.

Philipp Theisohn
Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn

 

Philipp Theisohn, die von Ihnen lancierte Veranstaltungsreihe trägt den seltsamen Titel «Jung kaputt spart Altersheime», woher stammt er?

Philipp Theisohn: Das ist ein Songtitel der grossartigen Band «Bärchen und die Milchbubis» (1979-1983). Für unsere Veranstaltungsreihe suchte ich nach einem Titel, der sowohl auffällt als auch so etwas wie den Zeitgeist um 1980 prägnant zum Ausdruck bringt.

Was ist interessant an der Zeit um 1980?

Im stimmigen Song «Letzte Generation» der Punkband Spux aus dem Jahr 1983 gibt es die Zeile: «Die letzte grosse Wut auf dieser Erde». Das trifft es ganz gut. Grundsätzlich ist die Zeit um 1980 eine Zeit des kreativen Untergangs. Die Angst vor dem Atomkrieg geht um, Ökologie wird wieder ein grosses Thema. Thatcher kommt 1979 an die Macht, Reagan 1981. Aus Zürcher Perspektive ist 1980 natürlich noch aus anderen Gründen ein echter Einschnitt, wenn man an die Jugendunruhen denkt, über die sich ja eine ganze Generation bis heute definiert.

Wie deuten Sie die Zürcher Jugendunruhen von 1980 aus heutiger Perspektive?

Die Zürcher Jugendbewegung von 1980 verfolgte gesellschaftspolitische Ziele, die in anderen Ländern durch die 68er-Bewegung weitgehend erreicht worden waren. Freilich funktionierte die Revolte der Achtziger anders als die Revolten der Sechziger- und Siebzigerjahre. 1980 steht auch für eine konsequente Brechung und die Überaffirmation des revolutionären Pathos. In Deutschland war es eine Revolte ohne echte Utopien, vielmehr die Entleerung von Utopien, was gerade die Generationen der Vorjahrzehnte provozieren musste, «Wir bauen eine neue Stadt» von Palais Schaumburg ist eine typische 80er-Utopie – nämlich ein Kinderlied, in dem nur gebaut, Steine und Sand getauscht werden. Aber in der Stadt selbst geschieht gar nichts mehr.

Die Zürcher Jugend wollte 1980 dagegen ein Autonomes Jugendzentrum, war das keine echte Utopie?

Ja, die Schweizer Jugendlichen wollten Freiraum; den aber schon mit dem Begriff der «Utopie» zu belegen, halte ich für voreilig. Was sich aber konstatieren lässt: Wenn man sich den vielleicht zornigsten Song der Schweizer Musikgeschichte, nämlich «Züri brännt» von TNT anschaut, merkt man, dass selbst dort noch an ein «gutes Leben», an eine Gesellschaft, die anders und besser funktioniert, geglaubt wird. Diese Haltung findet man in der deutschen Subkultur um 1980 kaum mehr. Dort schliesst die Revolte immer auch die Revolte gegen die sozialen Entwürfe der 70er, den «alternativen Lebensstil» und das Hippietum samt seiner Naturgläubigkeit mit ein. Man spielt mit diesem Vermächtnis bestenfalls ironisch.

Plattencover von Sängerin Nina Hagen und der Schweizer Band Grauzone.

 

Die 80er waren Revolutionäre, die nicht mehr an die Revolution glauben?

Genau, die 80er-Generation verhielt sich gegenüber dem System, gegen das sie antrat, zwangsläufig sehr ambivalent. Ambivalenz wird zur eigentlichen revolutionären Haltung, Offenheit und Ablehnung gegenüber allem gleichzeitig. Die Affirmation von Dingen, die man zugleich für nichtssagend hielt, war zuweilen sehr ausgeprägt. «Ich hab so Lust auf Industrie» – wer so einen Text schreibt und hysterisch performt, wie Joachim Witt das getan hat, der sagt eigentlich, dass er seine – pardon: unsere –­ Umwelt schrecklich findet. Und das tut er ganz lustvoll. Zentral für 1980, ob in Deutschland oder der Schweiz, ist diese Ambivalenz im Auftreten. Man geriert sich zwar als Revolutionär, weiss aber eigentlich genau, dass man Teil des Systems ist und man es nicht überwinden, aber auf die Spitze treiben kann. Diese Haltung unterscheidet diese Generation ganz wesentlich von den 68ern.

Was zeichnete die NDW-Kultur ästhetisch aus?

Die Neue Deutsche Welle lässt die Tore ganz weit offen: stilistisch musikalisch, aber auch von den Aussagen her. Sie reicht vom seichtesten Schlager bis zu düsterem Underground-Getrommel. Sie betrachtet den Alltag poetisch, also: die Waren, das kleinbürgerliche Leben, die Haushaltsgeräte – und versucht diese Poesie der Wirklichkeit abzuringen und in eine ästhetische Form zu bringen. Man kann also über den Alltag einer Katze singen wie Andreas Dorau oder über ein Reisebügeleisen wie Foyer des arts.

Was verbindet uns heute mit 1980?

Ich habe den Eindruck, dass uns vor allem noch viel trennt. Was uns jedoch vielleicht verbindet, ist – Stichwort Klima, weltpolitische Lage – eine Es-geht-zu-Ende-Haltung. Endzeitstimmung hatten wir damals, Endzeitstimmung haben wir heute. Da gäbe es schon noch einen Link zu 1980, auch wenn augenblicklich noch sehr viel politische Romantik betrieben wird. Ich bin aber zuversichtlich, dass die junge Generation unserer Tage auch die Lust am Wahnsinn wieder entdecken wird. Und wir müssen sie dabei tatkräftig unterstützen.

Was bietet nun Ihre siebenteilige Veranstaltungsreihe?

Wir haben versucht, ein möglichst breites Spektrum der 80er-Kultur abzudecken und auch dementsprechend prominente Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland eingeladen. Es wird zum einen klassische Lektüren von NDW-Songs und -Bands geben. Wir wollen aber auch ganz bewusst die Alltagskultur abbilden, weil sich diese Zeit nur dadurch verstehen lässt – zum Beispiel durch den Einzug des Heimcomputers und des Privatfernsehens, durch Karottenjeans und ärmellose T-Shirts, durch die Faszination für Musikvideos und durch Kunst.

Man kann kaum einen Faden aufgreifen, ohne ein ganzes Knäuel in der Hand zu haben: Geschlechterdiskurs, kalter Krieg, AIDS, Aerobic, Heroin, Waldsterben, Kosmetik, das ganze Programm. Wichtig scheint mir, dass 1980 erst einmal das Tor für viele Denkstile und Selbstentwürfe weit aufmachte, von denen manche heute extrem bürgerlich, manche extrem subversiv und böse wirken. Auch wenn sie das damals gar nicht zu sein schienen. Wir wollen mit unserer Vorlesungsreihe soviel wie möglich davon zur Sprache bringen.