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Die Demokratie als Idee und Ideal, das war lange Zeit eine Erfolgsgeschichte. Heute steht sie massiv unter Druck. So ist in der Türkei zum Beispiel die Pressefreiheit bedroht oder die Befugnisse von Gericht und Parlament sind in Grossbritannien beschnitten: «Kaum ein Tag vergeht ohne Hiobs-Botschaft.» Das sagte Christoph Riedweg, Professor für Klassische Philologie an der UZH, an der Einführungsveranstaltung der Ringvorlesung «Demokratie, Demagogie und Populismus in der Antike und heute».
Diese interdisziplinäre Vorlesungsreihe des Zentrums für Altertumswissenschaften Zürich (ZAZH) befasst sich mit den Themen Demokratie, Demagogie und Populismus aus unterschiedlichen Perspektiven und versucht, aktuelle politischen Entwicklungen durch den Rückgriff auf die Antike besser verständlich zu machen. Denn die Auseinandersetzung mit der Antike schärfe den Blick auf die heutige Welt, sagte Riedweg.
Am Eröffnungspodium zur Frage «Quo vadis, Demokratie?» diskutierte Riedweg zusammen mit Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss und Flavia Kleiner, Co-Präsidentin der Operation Libero. Der Operation Libero wird ein entscheidender Beitrag zur Ablehnung der Durchsetzungsinitiative 2016 zugeschrieben.
Die Frage, wohin die Demokratie unterwegs sei, verknüpften die beiden Gäste zunächst mit einem persönlichen Rückblick. Die 1940 geborene Ruth Dreifuss rief dabei die demokratischen Errungenschaften seit dem zweiten Weltkrieg in Erinnerung, darunter die Deklaration der Menschenrechte, das Ende der Kolonialisierung, die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und die internationale Zusammenarbeit. Nach dieser langen Phase des Demokratiezuwachses und der verstärkten internationalen Zusammenarbeit verortet sie in vielen Ländern einen Rückzug auf das Nationale. Dabei könnten Nationen wichtige aktuelle Herausforderungen im Bereich der Migration oder des Klimas nicht alleine lösen, so Dreifuss.
Sie wies auch darauf hin, dass die Demokratie oft auf Wahlen reduziert werde, obwohl diese nur ein Element des Gesamtpakets Demokratie darstellten. «Wir müssen sehr aufmerksam sein, wenn eines dieser Elemente in Frage gestellt wird», sagte Dreifuss und nannte den Kauf von Zeitungen durch Politiker als Beispiel einer problematischen Entwicklung.
Auch Kleiner mahnte: «Brücken baut man über lange Zeit, aber zerschlagen sind sie schnell». Sie blickte auf die Zeit seit der Gründung der Operation Libero 2014 zurück und erwähnte Erfolge der Bewegung im Kampf gegen Rechtspopulismus sowie eine positive Stimmung in der Schweiz nach den nationalen Wahlen 2019, wo mehr Frauen und progressive Kräfte ins Parlament einzogen. Sie sprach aber auch gegenteilige Entwicklungen an, wie die Wahl Donald Trumps und populistische Bewegungen in Polen, Ungarn und Italien. «Dieses kurze politische Leben bietet so viel Stoff für heute Abend, leider», so Kleiner.
Doch wie gefährlich ist der Populismus für die Demokratie? Dreifuss erklärte, dass eine Demokratie nicht nur kippen könne, wenn Populisten in der Lage seien, Truppen zu mobilisieren. Auch könnten über Wahlen demokratische Strukturen von innen Schritt für Schritt ausgehöhlt werden. «Heute erleben wir dieses zweite Phänomen», so Dreifuss. Kleiner bezeichnete sodann ein stillschweigendes Ausbreiten populistischer Diskurse als sehr gefährlich. Als Beispiel nannte sie die AfD in Deutschland, die auf nationaler Ebene zwar noch nicht viele Sitze habe, aber mit ihrer diskursiven Übermacht den Diskurs anderer Parteien präge.
Während Dreifuss die wachsende wirtschaftliche Ungleichheit und den ungleichen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen als Gefahr für die Demokratie bezeichnete, zeigte sich Kleiner mit Blick auf die USA besorgt über eine zunehmend verhärtete Diskussionskultur, in der die andere Partei nicht mehr respektiert würde. Dreifuss fügte an, dass man mit politischen Gegnern so hart wie möglich verhandeln müsse, aber nie mehr verlangen dürfe, als das Gegenüber geben könne: «Sonst machen wir aus dem Gegner einen Feind.»
Aber: Mit Menschen, die Nazi-Gedankengut verbreiteten, dürfe man nie politisieren, mahnte Dreifuss. Und Kleiner zeichnete das griffige Bild der Verfassung als Teppich, auf dem sich die Gesprächspartner treffen. Wer nicht auf diesem Teppich sitzen wolle, also die Verfassung als Grundkonsens nicht respektiere, könne nicht mitdiskutieren. «Es muss uns bewusst sein, wie wichtig dieser Grundkonsens für unser Zusammenleben ist», so Kleiner.