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KI und Jobs

Nicht weniger Arbeit, aber andere

Künstliche Intelligenz verändert unsere Arbeitswelt. Sie wird uns nicht überflüssig machen, prognostiziert der Informatiker Abraham Bernstein. Aber es wird neue Formen der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine geben, die uns neue, interessante Perspektiven eröffnen.
Interview: Thomas Gull
Abraham Bernstein
«Ich möchte Technologien entwickeln, die Menschen befähigen, spannende Arbeiten zu erledigen.», sagt Abraham Bernstein, Professor für Informatik und Direktor der Digital Society Initiative der UZH.

Abraham Bernstein, wie wird KI unsere Arbeitswelt verändern?

Abraham Bernstein: Wir erleben eine neue Automatisierungswelle. In der industriel­len Revolution wurden mechanische Arbeiten von Maschinen übernommen. Jetzt sind es kognitive Tätigkeiten wie etwa das Durchsehen von Bewerbungen, das Über­prüfen von Abrechnungen oder die Analyse eines Bildes. Das heisst, neu werden Büro­ar­bei­ten automatisiert, für die wir bis anhin den Kopf gebrauchten. Damit ver­ändert sich auch die Arbeit der Menschen, die diese digitalen Werkzeuge benutzen. Wie zum Beispiel die Einführung der Kreissäge die Arbeit des Schreiners verändert hat, ver­ändern jetzt Algorithmen unseren Büroalltag, indem wir gewisse Aufgaben an die Maschine delegieren.

Ist das nicht etwas beschönigend formuliert? Werden wir nicht überflüssig, wenn Algorithmen Büroarbeit erledigen?

Bernstein: Weshalb sollten wir überflüssig werden? Arbeit war noch nie statisch. Um 1800 war der Grossteil der Schweizer Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt. Heute ist dieser Anteil verschwindend klein. Oder: Mehr als die Hälfte der Schweizer­innen und Schweizer, die eine Lehre absolviert haben, arbeiten nicht mehr im Beruf, den sie erlernt haben. Das heisst, wir Arbeitnehmer passen uns laufend an die sich verändernden Umstände an. 

KI ist also kein Jobkiller?

Bernstein: Ich glaube, wir müssen das etwas entdramatisieren. Es gibt zwei grosse Theorien dazu, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert. Die eine besagt, dass die neuen Technologien gewisse Dinge übernehmen und sich damit unsere Arbeit verändert und in neue Gebiete verlagert. Das bedeutet: Wir haben nicht we­ni­ger Arbeit, sondern andere. Die zweite, dystopische Theorie besagt: Die Maschine über­nimmt unsere Arbeit und wir sind nachher arbeitslos. Das schürt natürlich Ängste.

Was sagen Sie dazu?

Bernstein: Als Informatiker bin ich Optimist. In absehbarer Zukunft wird sicherlich vieles von dem, was wir heute tun, von der Maschine übernommen. Aber wir Men­schen sind kreativ und wandlungsfähig; für uns wird es andere Tätigkeiten ge­ben. Die Frage, die sich aus meiner Sicht stellt, ist: In welche Bereiche werden wir uns weiter­entwickeln und wie wird sich die Zusammenarbeit mit der KI in Zukunft gestalten?

Wie verändert die Arbeitsteilung mit der Maschine unseren Arbeitsalltag?

Bernstein: Wir werden Routinetätigkeiten vermehrt abgeben und dafür mehr Zeit für anderes haben. Wenn ich an das universitäre Umfeld denke, so können wir anneh­men, dass die Faktenvermittlung zunehmend automatisiert wird, etwa über E-Learn­ing-Plattformen. In den Vorlesungen und Seminaren haben wird dann mehr Zeit für Reflexion und Diskussionen. Das heisst: Die Universität wird sich darauf zurück­be­sinnen, was sie einmal war – ein Ort, wo diskutiert wird und wo man sich mit der Materie kritisch auseinandersetzt. 

Wie sieht Ihre Prognose zur Zukunft aus?

Bernstein: Langfristig hatte jede Automatisierungswelle zu mehr, einfach anderer Arbeit geführt. Es gibt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, die voraussagt, dass die Digitalisierung in Deutschland nicht zu weniger, sondern zu mehr Arbeitsstellen führt. Vermutlich gilt das auch für die Schweiz. Wir müssen uns vor allem über den Übergang in die zukünftige Arbeitswelt Gedanken machen. 

Haben Sie eine Idee?

Bernstein: In unserer Forschung arbeiten wir daran, komplexe Aufgaben so zu orga­nisieren, dass sie auch von weniger gut qualifizierten Personen erledigt werden kön­nen. Wir erreichen dies durch eine Verbindung von menschlicher und künstlicher In­tel­ligenz. So haben wir uns in einer Studie überlegt, wie man statistische Arbeit bewäl­ti­gen kann mit Leuten, die keine Statistiker sind.

Wie können diese in hochkomplexe Analysen eingebunden werden?

Bernstein: Das ist ein interessanter Ansatz. Bisher ging man eher davon aus, dass es eine Zweiteilung der Arbeitnehmenden geben wird: auf der einen Seite die gut qualifi­zierten, die in der schönen neuen digitalen Welt interessante, gut bezahle Arbeit haben werden; auf der anderen jene, die nicht mithalten können und damit überflüssig werden oder für die nur noch schlecht bezahlte Jobs übrigbleiben. Sie zeigen jetzt eine dritte Möglichkeit auf, nämlich Arbeitsprozesse so anzupassen, dass sie von weniger Qualifizierten ausgeführt werden können.

Löst das unsere Probleme?

Bernstein: Da müssten Sie einen Ökonomen fragen. Was ich tun möchte, ist Techno­logien entwickeln, die Menschen befähi­gen. Wir sollten mit Hilfe von Maschinen span­nende Arbeiten erledigen können. Mit der Digitalisierung verändern sich Arbeits­organi­sation und Arbeitsteilung – wir haben jetzt einen neuen Mitarbeiter: die Maschine. Sie hat Fähigkeiten, die ich nicht habe, zusammen können wir Dinge tun, die ich allein nicht kann.

Was kann die Maschine besser, was wir?

Bernstein: Sie hat endlos Geduld und die Fähigkeit, riesige Datenmengen zu ver­arbeiten und darin Strukturen zu erkennen. So kann sie sehr gut und zuverlässig Muster erkennen und vergleichen. Etwa Röntgenbilder anschauen und interpretieren. Wenn die Maschine unsicher ist, entscheidet aber nach wie vor der Mensch. 

Was kann der Mensch in die Zusammenarbeit mit der Maschine einbringen?

Bernstein: Der Mensch hat eine gewisse Kreativität, die man heute bei Maschinen noch nicht findet. Wobei einige meiner Kolleginnen und Kollegen sagen, es sei nur eine Frage der Zeit, bis auch Maschinen kreativ sind. Das werden wir sehen. Es gibt bereits Bots, die Zeitungsartikel schreiben, etwa indem sie Geschäftsberichte analy­sieren. Bloomberg und andere Firmen verwenden solche Instrumente. Bei der direkten Interaktion mit anderen Menschen hingegen haben wir noch klare Vorteile, etwa wenn es darum geht, empathische Beziehungen aufzubauen.

Doch auch daran wird gearbeitet, etwa indem Telefonroboter menschliche Stimmen imitieren.

Bernstein: In Bereichen wie einfachen Call-­Center- Tätigkeiten wird es wohl ein Gerangel zwischen Mensch und Maschine geben, doch im Moment ist bei zwischen­menschlichen Interaktionen der Mensch eindeutig im Vorteil.

Wo sehen Sie die grossen Chancen beim Einsatz von KI?

Bernstein: Wir haben einiges davon bereits diskutiert: Die Reduktion der Routine­arbeit, mehr Abwechslung, vielleicht die Möglichkeit, sich in Tätigkeitsfelder, zu ent­wickeln, in denen man von der Maschine unterstützt wird, oder neue Dinge zu lernen mit Hilfe der Maschine – da sehe ich enorme Chancen.

Muss sich der Mensch fitter machen, um mit den Maschinen mitzuhalten? Oder geht es auch umgekehrt, wie Sie vorgeschlagen haben, dass die Maschine dem Menschen unter die Arme greift?

Bernstein: Der Mensch wird sich sicher fit machen müssen. Ich vergleiche das gerne mit dem Kopfrechnen. Das muss man trotz des Taschenrechners immer noch können, aber nicht auf zehn Stellen hinter dem Komma. Wir müssen uns fragen: Welche unserer Fähigkeiten sind nicht mehr so relevant, welche werden es vermehrt sein? Entsprechend müssen wir unsere Bildung anpassen. Wir müssen jetzt herausfinden, wie die KI die Arbeitswelt verändert und wie wir darauf reagieren können.

Eine Befürchtung, die mit den neuen digitalen Jobs verbunden wird, ist, dass hier ein neues schlecht bezahltes, wenig qualifiziertes und geschütztes Proletariat entstehen könnte.

Bernstein: Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Früher war es der Fabrik­arbeiter, heute sind es Personen, die Inhalte für Algorithmen vorbereiten. Der Punkt ist: Wenn man eine Arbeit macht, die jeder überall auf der Welt erledigen kann, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass diese für hiesige Verhältnisse nicht gut bezahlt ist. Das gilt in der digitalen Industrie genauso wie im übrigen Erwerbsleben. Ein wichtiger Aspekt des Problems ist, dass viele in ungeregelten Verhältnissen arbeiten, etwa als Freelancer. 

Wie schützt man diese?

Bernstein: Das ist unklar. Und das sind die Diskussionen, die wir mit Uber und anderen digitalen Plattformen haben. Das gehört zu den Risiken der neuen Techno­logie, dass neue Arbeitsmärkte entstehen, für die noch keine Regeln geschaffen wurden. Das wird sich und muss sich ändern. Wir können allerdings nur Dinge regu­lieren, die wir kennen. Die Regulierungen hinken deshalb den neuen Entwicklungen etwas hinterher. Genau solchen Fragen zur Veränderung des Arbeitsmarktes möchte der Schweizerische Nationalfonds nun mit dem Nationalen Forschungsschwerpunkt 77 «Digitale Transformation» auf den Grund gehen.