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Zuhause arbeiten

«Ein riesiges Sozialexperiment»

Den Arbeitstag gut einteilen, virtuell zusammenarbeiten und Job und Privatleben vereinbaren – die Arbeit im Home-Office stellt viele vor neue Herausforderungen. Der Gesundheits- und Arbeitswissenschaftler Georg Bauer erklärt im Interview, wie wir sie meistern können.
Roger Nickl
Mann im Home Office
Es empfiehlt sich, die Arbeitszeit bewusst zu planen, um Beruf- und Privatleben zu trennen.

Georg Bauer, das Corona-Virus hat viele von uns zu Heimarbeiterinnen und -arbeitern gemacht. Wie gehen Sie persönlich mit dem unfreiwilligen Home-Office um?

Georg Bauer: Ich versuche, möglichst viel von der bisherigen Arbeitsroutine aufrecht zu erhalten – zum Beispiel die Arbeits- und Pausenzeiten. Ich mache eine klare Arbeitsplanung und achte darauf, dass ich zuverlässig erreichbar bin. Und vor allem suche ich den regelmässigen Kontakt zu meinem Team und zu Fachkolleginnen und
-kollegen.

Wie arbeiten Sie zurzeit mit Ihrem Team zusammen?

Bauer: Wir hatten schon vorher eine webbasierte Kommunikationssoftware im Team etabliert, in der wir uns regelmässig schriftlich zu verschiedenen Themen, Projekten und beispielsweise unsere Lehre austauschen. Als der Lock Down absehbar wurde, haben wir sofort eine Video-Konferenz Software ausgewählt, in der man verschiedene virtuelle Meeting-Räume einrichten kann. Wichtig ist es in der aktuellen Situation, neu zu priorisieren und klare Ziele mit dem Team zu vereinbaren.

Sie machen mit Ihrem Team auch virtuelle Kaffee-Pausen. Was bringt das? 

Bauer: Wir haben schnell erkannt, dass sich durch die neue Situation für uns als Experten für Arbeit und Gesundheit viele neue Fragen ergeben, auf die wir in der Forschung und Kommunikation nach aussen vorbereitet sein müssen. Bei unseren Video Meetings ist daher zunächst der informelle, persönliche Austausch in der Kaffee-Runde zu kurz gekommen. Daher haben wir diese wichtige soziale Ressource wieder aktiviert, um auch wieder über ganz alltägliche Dinge reden zu können. Das Leben geht ja weiter.

Viele von uns sind sich nicht gewohnt zuhause zu arbeiten. Worauf müssen sie achten, wenn sie ihren Heim-Arbeitsplatz einrichten? 

Bauer: In den meisten Fällen ist dies ja ein Computerarbeitsplatz. Aus ergonomischer Sicht ist wichtig, dass der Arbeitsplatz eine gute Sitzposition bietet, gut beleuchtet ist und vor allem Konzentration ermöglicht. Der Arbeitsplatz sollte nicht im Schlafzimmer sein, da das Abschalten und Einschlafen am Abend stören würde. Noch wichtiger erscheint mir aber, wie wir die Arbeit selbst organisieren. Hier empfehlen sich klare Absprachen mit der Führungsperson und dem Team bezüglich Prioritäten und Zielen in der veränderten Situation. Und vor allem braucht es regelmässige Video-Meetings mit einzelnen Kollegen und dem Team. Hier sollten neben den Sachfragen derzeit auch Fragen der Befindlichkeit und Bewältigung der neuen Situation genügend Platz haben. Wir haben dafür an unserem Institut und für unser Team zusätzlich informelle Chat-Räume eingerichtet.

Mit dem Laptop lässt sich de facto überall arbeiten – auf dem Sofa, am Küchentisch, auf dem Balkon. Was sollte man beim Arbeiten mit Laptop beachten?

Bauer: Potenziell haben wir nun alle ein Multi-Space Office – nur eben zuhause. Wie in solchen Büroumgebungen üblich, kann und muss ich mir aber je nach Tätigkeit bewusst die passende Umgebung wählen. Wenn ich beispielsweise konzentriert arbeiten will, mache ich das an einem Tisch. E-Mails etwa lassen sich aber auch vom Sofa aus beantworten. Gerade beim Arbeiten mit dem Laptop ist ein häufigerer Positionswechsel beispielsweise auch mal zum Arbeiten im Stehen ratsam, um Muskelverspannungen vorzubeugen. Wenn das Home-Office länger anhält, wären wegen der Haltung ein externer Bildschirm, Tastatur und Computermaus sehr ratsam.

Eine grosse Herausforderung ist es, Arbeit und Privatsphäre im Home-Office zu trennen. Wie gelingt dies? 

Bauer: Zunächst sollte man sich gut überlegen, ob man wirklich überall in der Wohnung arbeiten möchte, oder nur ein oder zwei Orte festlege, die man dann auch bewusst wieder verlassen kann. Und man muss sich darüber klar werden, wie man mit der maximalen Arbeitszeitflexibilität umgehen will. Für die zeitliche Trennung von Beruf- und Privatleben empfiehlt es sich, bewusst die eigene Arbeitszeit über den Tag verteilt zu planen – unter Berücksichtigung familiärer Verpflichtungen.  Dazu gehören auch genügend Kurz-Pausen, eine längere Mittagspause und rechtzeitig Feierabend machen, um dann noch gut genug abschalten und einschlafen zu können. Und man sollte – unter Einhaltung der Abstandsregeln gegenüber Mitmenschen – regelmässig die Wohnung verlassen. Das hilft in Bewegung zu bleiben, eine gesunde Distanz zum verdichteten Alltag zu schaffen und wieder mal ganz zu sich zu kommen, was wir momentan besonders brauchen.

Georg Bauer
«Der intensive virtuelle, auch informelle Austausch mit Arbeitskolleginnen empfiehlt sich, beispielsweise der kurze online-Chat in der Pause oder der virtuelle Apéro am Abend», sagt Georg Bauer, Leiter der Abteilung Gesundheitsforschung und Betriebliches Gesundheitsmanagement der UZH.

Wie können wir uns sonst noch bei Laune halten? 

Bauer: Zunächst einmal durchatmen. Die neue Situation verlangt von uns allen eine hohe Anpassungsleistung. Da sind am Anfang Unsicherheit, Ängste und ein erhöhtes Stressniveau ganz normal. Die neue Arbeits- und Lebensform bietet aber auch neue Gestaltungschancen. In jedem Fall braucht es Zeit, für sich und seine Umgebung die richtige Form zu finden. Und das gelingt nur im regelmässigen Austausch mit unseren Mitmenschen in unseren verschiedenen Lebensbereichen. Wir leben als soziale Wesen von diesem Austausch – und können diesen mit den digitalen Möglichkeiten zum Glück auch über Distanz pflegen. Zudem ist aktuell neben der Aufmerksamkeit für andere auch mehr Achtsamkeit für sich selbst gefragt. So habe ich beispielsweise selber zunächst gar nicht bemerkt, dass durch mein Home-Office neben wichtiger sozialer Kontakte eine andere wichtige persönliche Ressource weggefallen ist – meine 10000 Schritte auf dem Arbeitsweg. Es geht insgesamt also darum, die eigene Balance von Belastungen und Ressourcen in der veränderten Lebenssituation immer wieder zu bilanzieren und wieder herzustellen.

Die einen erleben zurzeit eine soziale Verdichtung – die Partner arbeiten auch zuhause, die Kinder machen Home-Schooling und müssen betreut werden. Wie lässt sich mit dieser Situation positiv und möglichst stressfrei umgehen? Was muss mit der Familie, was mit dem Arbeitgeber geklärt und ausgehandelt werden?

Bauer: Ich bin froh, dass Sie noch diesen zentralen Aspekt ansprechen. All das oben Gesagte funktioniert erst dann, wenn wir zunächst mit unseren Familien zusammensitzen und eine gemeinsame Planung machen, wie wir uns bezüglich Kinderbetreuung, Home-Schooling, und gegebenenfalls der Versorgung älterer Angehöriger und schliesslich der Erwerbsarbeit organisieren. Wer übernimmt wann wofür die Verantwortung? Hier sind jetzt auch die Arbeitgeber gefordert, ein grosses Verständnis für die Gesamtsituation ihrer Mitarbeitenden zu zeigen. Sie sollten mit diesen flexible Lösungen erarbeiten und die Anforderungen seitens des Betriebes auf ein realistisches Mass reduzieren. 

Für andere ist das krisenbedingte Home-Office ein einsames Geschäft. Was kann man gegen die Vereinsamung tun?

Bauer: Tatsächlich ist neben der Schwierigkeit von der Arbeit abzuschalten das Problem der Isolation immer ein Hauptproblem von Home-Office. Dies wird nun durch die allgemeine Einschränkung des öffentlichen Lebens verstärkt. Auch hier empfiehlt sich der intensive virtuelle, auch informelle Austausch mit Arbeitskolleginnen, beispielsweise der kurze online-Chat in der Pause oder der virtuelle Apéro am Abend. Und das gleiche gilt für den zumindest virtuellen Ausgang und Austausch am Abend mit Freunden und Bekannten, der wir alle nun besonders nötig haben.

In der aktuellen Situation müssen wir nicht nur unser Sozialleben und unseren Arbeitsalltag neu organisieren. Wir sind auch vielen psychischen Belastungen ausgesetzt – Angst vor Krankheit etwa, familiäre Konflikte oder wirtschaftlicher Unsicherheit. Wie lassen sie sich bewältigen?

Bauer: Wir können am besten mit solchen Belastungen umgehen, wenn wir das nicht alleine tun, sondern unsere Sorgen mit anderen teilen. Im Gespräch wird ja oftmals erst klar, was uns konkret belastet, was Ängste auslöst und welche Bedürfnisse momentan auf der Strecke bleiben. Angesichts der hohen Verdichtung und Veränderung des Familienlebens sind besonders dort Konflikte anfangs fast vorprogrammiert. Im Moment stehen Lösungen aber nicht gleich im Vordergrund. Wir müssen die Situation wie sie ist, erst einmal anerkennen. Wenn wir erkennen, dass es unserem Partner und unseren Arbeitskollegen ähnlich geht, können wir uns zumindest gegenseitig stützen. Ich bin aber auch optimistisch, dass wir in einem zweiten Schritt gute, neue Lösungen finden. Wir erleben momentan ein riesiges Sozialexperiment, bei dem ganz neue Formen der Kooperation, familiärer Rollenverteilungen und des Zusammenlebens ausprobiert werden. Wir können jetzt reflektieren, was uns dabei gut tut und was nicht. Und wir können uns überlegen, was wir davon längerfristig im Beruf und Privatleben übernehmen wollen. 

Wird die Krise die Art und Weise wie wir arbeiten und kooperieren nachhaltig verändern?

Bauer: Ganz sicher. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass künftig mehr Leute das Arbeiten im Home-Office einfordern – weil wir die Erfahrungen gemacht haben, dass es gut funktioniert. Aber jetzt liegt erst mal eine längere Phase der Anpassungen und der gemeinsamen Ausgestaltung der neuen, herausfordernden Situation vor uns. Wir können noch viel voneinander lernen.