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HANNAH SÜSS: Um die Lebensmitte kommt es zu körperlichen und sozialen Veränderungen. Einerseits wandelt sich unser Hormonhaushalt. Anderseits sind beispielsweise die Kinder vieler Paare schon etwas älter und die Beziehung rückt wieder in den Vordergrund. Die Eltern müssen sich in diesem Fall neu orientieren. Viele ziehen Bilanz und blicken zurück auf die erste Lebenshälfte. Sie überlegen, ob sie wie bis anhin weiterleben oder ob sie etwas ändern möchten. Das kann auch Krisen auslösen.
JASMINE WILLI: Das lässt sich nicht einfach bejahen. Jedoch wissen wir, dass die Summe der schwierigen Lebenssituationen mit zunehmendem Alter ansteigt – Beziehungen gehen in die Brüche, die Scheidungsrate steigt, Menschen, die einem nahestehen, sterben. Damit gilt es, im mittleren Lebensalter mit mehr stressreichen Situationen umzugehen.
WILLI: Es kommt zu einer starken Veränderung der Hormone bei Männern und Frauen, insbesondere der Sexualhormone. Das kann dazu führen, dass körperliche, aber auch psychische Symptome auftreten. Bei Frauen ist man lange davon ausgegangen, dass das Sinken von Östrogen zu menopausalen Beschwerden führt. Heute nimmt man aber an, dass vielmehr die starken Fluktuationen dafür verantwortlich sind.
SÜSS: Wir wissen heute zwar, dass es diese Hormonfluktuationen gibt und dass sie bei Frauen im Übergang zur Menopause am stärksten sind, aber wir wissen noch nicht so genau, wie stark die einzelnen Hormone schwanken. Wir wollen uns das in einer Studie nun genauer anschauen (siehe Kasten). Gewisse Hormone lassen sich gut über den Speichel bestimmen. Das hat den Vorteil, dass die Studienteilnehmerinnen die Proben bequem zu Hause sammeln können.
WILLI: Bei einem Teil der Frauen kommt es zu Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Ängstlichkeit, depressiven Verstimmungen oder Depressionen. Zudem gibt es auch viele körperliche Veränderungen, die mit den Hormonschwankungen einhergehen können, beispielsweise Schlafstörungen, Hitzewallungen oder nächtliches Schwitzen. Wichtig ist, dass nicht alle Frauen gleich stark auf hormonelle Veränderungen reagieren. Während gewisse Frauen sehr starke Beschwerden haben, entwickeln andere kaum Symptome. In unserer Studie wollen wir nicht darauf fokussieren, wie schlimm die Wechseljahre sind und was schlecht läuft, sondern erforschen und zeigen, wie Menschen in dieser heiklen Lebensphase gesund bleiben und die Herausforderungen erfolgreich bewältigen können.
WILLI: Zentral ist, dass man sich möglichst das ganze Bild anschaut. Sowohl hormonelle, medizinische als auch psychosoziale Faktoren sollten in eine psychotherapeutische Behandlung einfliessen. Deshalb ist es wichtig, dass Frauenärztinnen und -ärzte mit Psychiaterinnen und Psychologen zusammenarbeiten. Im richtigen Moment, etwa bei ersten starken Hormonschwankungen, eine Hormontherapie zu starten, kann in Kombination mit Psychotherapie ein wirkungsvolles Mittel sein. Jedoch sollte man den richtigen Moment nicht verpassen und sich bei anhaltenden Beschwerden früh Unterstützung holen.
SÜSS: Dazu gibt es deutlich weniger Forschung. Starke Hormonfluktuationen wie bei den Frauen gibt es bei den Männern aber nicht. Das Niveau der Sexualhormone im Körper sinkt bei ihnen kontinuierlich. Entsprechend reagieren Männer weniger stark auf hormonelle Veränderungen in dieser Lebensphase. Bei ihnen spielen psychosoziale Faktoren eine zentralere Rolle.
WILLI: Ja, es gibt Unterschiede. Frauen haben beispielsweise ein deutlich grösseres Risiko, an einer Depression zu erkranken – generell über das Leben hinweg, aber speziell in Lebensphasen, in denen es zu grossen hormonellen Veränderungen kommt.
SÜSS: Wichtig ist die Information und Schulung – nicht nur der betroffenen Frauen, sondern auch von Angehörigen. Sie sollten wissen, was es bedeutet, in die Wechseljahre zu kommen, welche Herausforderungen diese mit sich bringen und wie sie damit umgehen können. Das ist ein Thema, das noch ganz am Anfang steht. Wir haben zwar alle eine Vorstellung von den Wechseljahren, aber es gibt auch viel Halbwissen und viele Befürchtungen, die einfach zu widerlegen wären. Das heisst, mehr Informationen zum Thema sind notwendig.
WILLI: Wenige Frauen wissen beispielsweise, wie individuell sich die menopausalen Beschwerden zeigen – sowohl bezüglich der Art als auch der Dauer der Symptome. Das heisst, die Wechseljahre können sehr unterschiedlich verlaufen – die Bandbreite ist riesig. Vielen ist auch kaum bewusst, dass Depressionen oder Angststörungen mit hormonellen Veränderungen zusammenhängen können.
SÜSS: Wir klären einerseits über die Wechseljahre und damit zusammenhängende Veränderungen und Herausforderungen auf, andererseits entwickeln wir einen Behandlungsplan, der auf die individuellen Symptome abgestimmt ist. Dies kann zum Beispiel eine klassische Depressionstherapie sein. Häufig ist das Selbstwertgefühl, das in den Wechseljahren leidet, in der Therapie ein Thema.
SÜSS: Nicht unbedingt. Oftmals wenden wir Interventionen aus der kognitiven Verhaltenstherapie an. Ziel ist es hier, spezifische Gedanken und Verhaltensweisen zu erarbeiten, die einem helfen, Probleme zu lösen. Etwa wie gehe ich damit um, wenn ich nachts wegen einer Hitzewallung aufwache und nicht mehr einschlafen kann? Psychopharmaka können bei bestimmten Beschwerden aber durchaus sinnvoll sein.
SÜSS: Optimistisch zu sein, hilft, beispielsweise die Herausforderungen in der Lebensmitte besser zu bewältigen. Das hat die Forschung bei uns an der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie gezeigt.
SÜSS: Optimismus ist eine Charaktereigenschaft, die relativ stabil ist. Eine optimistischere Lebenseinstellung kann man sich aber bis zu einem gewissen Grad aneignen. Dazu muss man zuerst herausfinden, welche pessimistischen Einstellungen und Gedanken einem im Weg stehen. Danach kann man versuchen, diese angemessener umzuformulieren. In der Psychotherapie nennen wir dies auch kognitive Umstrukturierung.
SÜSS: Am Körpergefühl arbeiten. Wenn man merkt, dass sich der Körper in der Lebensmitte verändert, sollte man sich weiter körperlich aktiv betätigen und einen Ausgleich zum Stress suchen – beispielsweise durch Yoga.
WILLI: Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Sexualität, die sich im Laufe des Lebens verändert. Auch da versuchen wir, mehr Wissen über die natürlichen Vorgänge und Veränderungen zu vermitteln. Viele sexuelle Probleme wie zum Beispiel sexuelle Funktionsstörungen können auch behandelt werden. Ein häufiges Beispiel sind Luststörungen oder Erektionsstörungen. Je nachdem, um welche Probleme es sich handelt, können medizinische und/ oder sexualtherapeutische Interventionen eingesetzt werden.
WILLI: Wie bei vielen Beschwerdebildern spielen sowohl der Körper als auch die Psyche eine Rolle. Gerade bei Luststörungen weiss man, das psychische Faktoren wie das Selbstwertgefühl oder das eigene Körperbild zentral sind.
WILLI: Gewisse biologische Veränderungen lassen sich nicht aufhalten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Sexualität sich verschlechtern oder gar ausbleiben muss. Sie kann sich durchaus auch weiterentwickeln. Deshalb sollte man nicht zu stark mit «früher» vergleichen, sondern sich auf das Positive und Aktuelle fokussieren.
SÜSS: Ja, die Haltung ist generell sehr wichtig. Wir sollten uns realistische, dem Alter angemessene Ziele setzen. Das gilt auch für den Sport. Beim Joggen beispielsweise sollten wir nicht nur darauf schauen, welche Zeit wir für eine bestimmte Strecke brauchen, sondern uns auch fragen, wie es um die Ausdauer oder das Wohlbefinden steht.
WILLI: Das würde ich definitiv bejahen. Zuweilen wird ja gesagt, fünfzig sei das neue dreissig. Und mit der steigenden Lebenserwartung kommen tatsächlich auch neue Perspektiven auf. Gesellschaftliche Veränderungen, die das unterstützen, sind deshalb wichtig.