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Wie werden unsere Kinder leben, wenn sie erwachsen sind? Wie entwickeln sich die Kurse unserer Aktien? Wie wird das Wetter in den Ferien? Wir wüssten es allzu gern. Doch wer in die Zukunft blicken will, kann nur spekulieren. «Die Zukunft ist der Raum, in dem die Fiktion herrscht», sagte der Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn im Talk im Turm. Da die Zukunft noch im Dunkeln liegt, müssen wir sie uns erzählen. In der Science-Fiction-Literatur werden die Erzählmuster, die unterschwellig unsere Zukunftserwartungen formen, erkennbar. Das ist einer der Gründe, weshalb sich Philipp Theisohn wissenschaftlich mit Science-Fiction-Literatur auseinandersetzt.
Theisohns Konterpart auf dem Podium im Restaurant Uniturm war die Neuroinformatikerin Yulia Sandamirskaya. Ihr Ziel ist es, lernfähige Roboter zu entwickeln, die sich selbständig in einer ihnen unbekannten Umgebung bewegen und zurechtzufinden können. Grundlage dafür sind künstliche neuronale Netzwerke, die in ihrer Funktionsweise dem menschlichen Hirn nachgebildet sind. Wovon die Science-Fiction-Literatur seit langem träumt, soll in Sandamirskayas Labor Realität werden.
Was haben wir als Menschen zu gewinnen und zu verlieren, wenn Maschinen immer intelligenter werden? Das war die strittigste Frage in der lebendigen und phasenweise recht kontroversen Diskussion zwischen dem Literaturwissenschaftler und der Neuroinformatikerin.
Yulia Sandamirskaya übernahm dabei den Part der Optimistin: Die Neuroinformatikerin zeigte sich überzeugt davon, dass smarte Technik das Leben lebenswerter macht und die Vorteile der Automatisierung die Nachteile mehr als aufwiegen: «Bis heute müssen viele Menschen Arbeiten verrichten, die nicht menschenwürdig sind und besser durch Maschinen erledigt würden», sagte sie. Roboter würden die Menschen nicht verdrängen. Stattdessen laufe die Automatisierung auf eine Arbeitsteilung hinaus, die den Menschen ermögliche, sich auf interessante und befriedigende Tätigkeiten zu spezialisieren. Als Beispiel führte sie die Pflege in Spitälern an. «Würden Roboter die physisch belastenden Routinearbeiten übernehmen, hätte das Pflegepersonal mehr Kapazitäten, um sich den zwischenmenschlichen Aspekten ihres Berufs zu widmen», sagte Sandamirskaya.
Theisohn gab zu bedenken, dass die Automatisierung zur Verkümmerung vieler Fertigkeiten und Kulturtechniken führe. Auch das Gedächtnis werde nicht mehr trainiert, wenn Informationen jederzeit vom Smartphone abgerufen werden könnten.
Sandamirskaya konterte, dass viele Handwerksdisziplinen auch dann noch ausgeübt würden, wenn sie kommerziell nicht mehr lohnend seinen – als Hobby. Und der Wegfall schwerer körperlicher Arbeit werde durch Sport kompensiert. Es sei Sache einer guten Erziehung, Kindern sinnliche Erfahrungen in der analogen Welt jenseits der Displays digitaler Geräte zu vermitteln.
Den Einwand, dass die Automatisierung der Arbeitswelt die gesellschaftliche Ungleichheit verstärke, liess Sandamirskaya ebenfalls nicht gelten. Es sei eine Frage des politischen Willens, Ungerechtigkeiten auszugleichen.
Theisohn wies darauf hin, dass die über künstliche Intelligenz gesteuerten Datenströme ein Eigenleben entfalteten, das für die Menschen, die sich davon abhängig machten, nicht mehr zu durchschauen sei. Yulia Sandamirskaya bemühte sich, die künstliche Intelligenz zu entmystifizieren und die hohen Erwartungen in den technischen Fortschritt zu dämpfen: Es seien noch viele Hürden zu nehmen, bis Roboter gebaut werden könnten, die wie Menschen Dinge erkennen, ihre eigenen Bewegungen im Raum koordinieren und gleichzeitig auch noch selbständig lernen könnten. Ob jemals Maschinen mit einem Selbstbewusstsein entwickelt werden könnten, stehe in den Sternen.
Einig waren sich Sandamirskaya und Theisohn, dass es eine politische und gesellschaftliche Aufgabe sei, Antworten auf die durch die technische Entwicklung ausgelösten Veränderungen zu finden. Die Gesellschaft, sagten beide, müsse neu gedacht werden. «Unser heutiges Bild der Gesellschaft ist unzeitgemäss, es stammt noch aus dem 19. Jahrhundert», sagte Sandamirskaya. Auch Theisohn plädierte für eine Neubestimmung der Werte und des Menschenbildes: In einer von Automaten dominierten Arbeitswelt ziehe der Mensch den Kürzeren, wenn er sich weiterhin hauptsächlich über seine Arbeitsleistungen definiere. Er könne auf diesem Feld auf die Dauer mit Robotern nicht konkurrieren. Deshalb, schlug Theisohn vor, sollten vermehrt menschliche Eigenschaften kultiviert werden, die Robotern fremd seien. Zum Beispiel die Gabe zum zweckfreien Müssiggang.