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Lehrkredit

Kriemhild chattet

Das Lehrkredit-Projekt «Siegfried goes YouTube – Alte Mären in neuen Medien» zielt darauf ab, moderne Medien wie Videos oder Podcasts für die literaturwissenschaftliche Analyse zu nutzen. Im ersten des auf vier Semester angelegten Projekts wurde das Nibelungenlied als Textgrundlage verwendet.
Marita Fuchs
Anschaulich vermittelt: Die Bedeutung von Wasser, Wein und Blut im Nibelungenlied. (Video von Eliya Livas)

 

Uns ist in alten mæren wunders vil geseit...: In diesen ersten Versen des Nibelungenlieds, das im Mittelalter vermutlich gesungen vorgetragen wurde, eröffnet sich eine ganze literarische Welt. Sie hat in den Auseinandersetzungen der Völkerwanderungszeit und internen Machtkämpfen im Merowingerreich ihren Ursprung. Machttrieb, Ehrgeiz, Verrat und Tod bestimmen das Geschehen der politischen Szene.

Das Nibelungenlied gehört zum Lesekanon angehender Germanistinnen und Germanisten, die sich während des Studiums auch mit alt- und mittelhochdeutschen Texten befassen. In der Regel werden am Ende des Semesters Seminararbeiten über Teilaspekte des Werkes verfasst und benotet. Oberassistentin Daniela Fuhrmann und Assistent Thomas Müller vom Deutschen Seminar haben einen anderen Weg gewählt. «Wir wollen moderne Medien wie Videos oder Podcasts und die ihnen eigenen Ausdrucksmittel für die literaturwissenschaftliche Analyse nutzen», sagt Thomas Müller. «Damit sollen für das Fach neue Zugänge und im Bestfall auch Ergebnisse zu literaturwissenschaftlich relevanten Aspekten kanonischer Literatur der Vormoderne befördert werden,» ergänzt Daniela Fuhrmann.

Der Vorteil? «Die Studierenden lernen, in anderen Formaten zu denken und nicht dem vorgegebenen Schema einer schriftlichen Seminararbeit zu folgen», sagt Daniela Fuhrmann. Wichtig sei es zudem, dass die Studierenden nicht den Inhalt des literarischen Werkes wiedergeben, sondern literaturwissenschaftlich an das jeweilige Werk herangehen und neue analytische Zugriffe finden. Das innovative Projekt steht im Rahmen des kompetitiven Lehrkredits, der von der UZH unterstützt wird.

Nicht für die Schublade

Nach dem ersten des auf vier Semester ausgerichteten Projekts ziehen Fuhrmann und Müller eine positive Bilanz. Die Aufgabe sei für die Studierenden anspruchsvoll, müssen sie doch zusätzlich zur literaturwissenschaftlichen Leistung antizipieren, wie ihre Arbeit aufgenommen wird, denn das Video oder der Podcast soll anderen Studierenden oder auch Schülerinnen und Schülern als Kenntnisquelle dienen. Auch im Hinblick auf berufliche Kompetenzen bietet das Projekt einiges: «Unsere Studierenden erarbeiten sich zusätzlich zur literarischen Arbeit mediale Fähigkeiten», sagt Müller.

Daniela Fuhrmann und Thomas Müller im Lichthof der Universität Zürich.

Fuhrmann und Müller unterrichten im Team. Für die Studierenden entsteht dadurch eine andere Dynamik während des Seminars. «Wir sind uns nicht immer einig, je nach Betrachtungsweise gibt es unterschiedliche Interpretationen», sagt Fuhrmann. Das sei für die Studierenden interessant, belebe die Diskussion im Seminar und biete die Möglichkeit, sich kontrovers mit den literaturwissenschaftlichen Methoden auseinanderzusetzen.

Wasser, Wein und Blut

Am Ende dieses Frühjahrssemesters sind spannende Projekte entstanden. Eine Gruppe zum Beispiel erstellte eine Facebook-Seite. Es ist die burgundische Königstochter Kriemhild, die hier postet, chattet, Likes verteilt. Folgt man ihrer Facebook- und WhatsApp-Kommunikation, wird deutlich, wie geschickt Kriemhild Rache übt, nachdem ihr Ehemann Siegfried von Hagen ermordet wurde.

Eine andere Arbeit setzte sich mit der Bedeutung von Wasser, Wein und Blut im Nibelungenlied auseinander. Die Zusammenhänge werden im Video (siehe oben) anschaulich in ästhetischen Bildern erzählt. Das Video wurde von Eliya Livas produziert.

Die Studentin betont die Vorteile der Videoproduktion: Das Video könne auf individuelle Bedürfnisse abgestimmt werden; je nach Thema könne man entscheiden, ob man jetzt zum Beispiel allein oder in der Gruppe arbeiten möchte, einen Real- oder einen Animationsfilm produziere, oder ob man selbst vor oder lieber hinter der Kamera stehe.

«Es bleibt aber essenziell, den wissenschaftlichen Standard zu halten – das Video soll eine Bereicherung sein und nichts an Qualität und Inhalt missen lassen», sagt Eliya Livas. Im ersten Schritt hätte sie deshalb – genau wie in der Seminararbeit auch – Thesen formuliert. «Diese Thesen konnte ich während der Videoproduktion selbstredend wie in einer Seminararbeit überarbeiten.»

Das Material wirken lassen

Und Eliya Livas gibt einen Tipp: Im Nachhinein würde sie empfehlen, nicht zu fest beim ursprünglichen Konzept zu verbleiben, sondern auch das Material selbst wirken zu lassen – durch die ungewohnte Konstellation in einem Video, in dem sehr viele verschiedene Dinge zusammenkommen wie Audio, visueller Text, Filmbilder, Farb- und Bildkonzepte, Motive, Gegenstände, vielleicht auch Musik, gingen diese Dinge Verbindungen ein, an die man von vornherein so nicht gedacht hätte. «Das Konzept in Form der Filmbilder wirkt sich schliesslich wieder auf den Inhalt und die Aussage des Videos selbst aus», sagt Eliya Livas.

Doch nicht nur für die Studierenden, auch für Fuhrmann und Müller war dieses Semester eine Premiere. Dank des Lehrkredits war es überhaupt erst möglich, diese neue Herangehensweise zu planen und umzusetzen. Darüber hinaus bietet das Projekt für Fuhrmann und Müller auch eine vielfältige Grundlage für eine weiterführende hochschuldidaktische Reflexion.