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Das «Zürcher Projekt zur sozialen Entwicklung von der Kindheit ins Erwachsenenalter», startete im Jahr 2004. Es nahmen etwa 1'400 Kinder aus allen Stadtkreisen Zürichs bei ihrem Eintritt in die Primarschule teil, darunter viele Kinder mit Migrationshintergrund. Befragt wurden auch Eltern und Lehrpersonen. Seither finden regelmässig Befragungen mit derselben Kohorte statt.
Die neuste Datenerhebungswelle war im Jahr 2018. Die Studienteilnehmenden, die mittlerweile zwischen 21 und 22 Jahre alt sind, sollen weiterhin befragt werden. «Die Teilnahmebereitschaft ist hervorragend, das gegenseitige Vertrauen ist gefestigt, das ist einzigartig», sagt Denis Ribeaud, Co-Studienleiter z-proso. Als leitender Projektmanager begleitet er seit Beginn die Langzeitstudie, die er zusammen mit UZH- und Cambridge-Professor Manuel Eisner betreut. Weltweit gibt es nur wenige vergleichbare Projekte. Die inzwischen umfangreiche Datensammlung ist für Forschende verschiedener Fachrichtungen von grossem Interesse, weil sie einen vertieften Einblick in das Leben von Kindern und Jugendlichen gewährt.
Die Daten aus Zürich sind begehrt: Bis heute gibt es über 70 wissenschaftliche Publikationen, die auf der Zürcher Untersuchung basieren. So auch die jüngste Untersuchung der UZH-Kriminologin Margit Averdijk, Mitarbeiterin im z-proso-Team. Sie hat anhand der Daten untersucht, ob bestimmte Verhaltensmuster von 7-Jährigen darauf hindeuten, dass sie in der Pubertät Opfer von Gewalt werden. Averdijks Studie steht ganz in der Tradition des Zürcher Projekts, denn es geht letztlich um die Frage, wie Gewalt eingedämmt werden kann.
Margit Averdijk wertete Daten der z-proso-Studie in Bezug auf frühes Verhalten und spätere Gewalterfahrung aus. Dazu erfasste sie die Angaben von 1'138 Jugendlichen, jeweils im Alter von 7, 11, 13, 15 und 17 Jahren. Interessant für die Forscherin waren bestimmte Verhaltensmuster der 7-Jährigen: War das Kind bei Schuleintritt besonders extrovertiert, war es einsam und eher ein Aussenseiter, war es besonders risikofreudig oder eher ängstlich?
Die Forscherin stellte fest, dass jeder Dritte der 1'138 Probanden mit 17 Jahren Opfer von Gewalt wurde; verzeichnet wurden körperliche Angriffe – mit und ohne Waffe –, Raub, sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe. Jungen werden häufiger beraubt als Mädchen. «Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind gross», sagt Averdijk. Junge Frauen waren vermehrt sexuellen Übergriffen ausgesetzt, während junge Männer eher in gewalttätige körperliche Auseinandersetzungen gerieten.
«Mehrere soziale Verhaltenstendenzen in der Kindheit deuten auf das Risiko einer späteren Viktimisierung hin», sagt Averdijk zusammenfassend. Als Risikofaktoren bei den Jungen und Mädchen konnte die Forscherin riskantes und antisoziales Verhalten, Impulsivität, Aggressivität, aber interessanterweise auch ausgeprägte Hilfsbereitschaft identifizieren. «Auch Einzelgänger haben ein grösseres Risiko, später zu einem Opfer zu werden», sagt Averdijk. Bei den Mädchen sind es vor allem die dominanten, und nach aussen gerichteten, die Opfer von Gewalt werden. Interessanterweise hat der sozioökonomische Status oder die Nationalität der Eltern keinen Einfluss.
Averdijk vermutet, dass in der Pubertät die Vorgaben der jeweiligen Peergruppe für die Pubertierenden ausschlaggebend sind. In manchen dieser Gruppen werden vermeintlich geschlechtstypische Verhaltensmuster wichtig. So können dominante, laute Mädchen nicht dem Peer-Gruppen-Bild entsprechen, sie fallen auf und werden so eher zu Opfern. Jungen, die nicht zu einer Gruppe gehören, werden ebenfalls eher angegriffen, als Gruppenmitglieder. Aber wie kann man frühzeitig etwas gegen jugendliche Gewalt unternehmen und Betroffenen helfen?
«Präventionsprogramme wirken – aber nur, wenn sie langfristig ausgelegt sind», sagt Denis Ribeaud, Co-Studienleiter z-proso. Er spricht aus Erfahrung, so wurde zum Beispiel in der Anfangsphase von z-proso ein Präventionsprogramm gegen Gewalt und Mobbing in Zürcher Schulen ein Jahr lang umgesetzt und evaluiert. «Ein Jahr ist zu wenig». Es habe sich gezeigt, dass Prävention nur dann wirklich wirksam ist, wenn man soziale Kompetenzen und den Umgang mit Gewalt über einen langen Zeitraum, und wiederholt zum Thema an den Schulen macht, sagt Ribeaud.