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Filmwissenschaft

Digitale Tools für analoge Farben

Bisher hat sich die Filmwissenschaft erstaunlich wenig für Farbe interessiert. Das Forschungsprojekt FilmColors soll dies nun ändern – und erschliesst dem Fach damit zugleich neue Werkzeuge.
Simon Spiegel
VIAN Farbpaletten des Spielfilms «One from the Heart» (USA 1981, Francis Ford Coppola)


Film ist heute mit wenigen Ausnahmen vom Dreh über den Schnitt bis zur Vorführung vollständig digital. Die digitale Technik bringt gegenüber der herkömmlichen analogen zwar zahlreiche Vorteile, aus filmhistorischer Sicht bereitet sie aber auch Probleme. Nur ein Bruchteil des weltweiten Filmerbes liegt heute in digitaler Form vor, auf die Dauer wird kein Weg an umfassenden Digitalisierungsprojekten vorbeiführen.

Das Digitalisieren von historischem Filmmaterial ist dabei weit mehr als ein simpler technischer Vorgang – insbesondere, wenn Farbe im Spiel ist. Im Laufe der Filmgeschichte wurden zahlreiche Farbfilm-Verfahren entwickelt, wobei vielen kein Erfolg beschieden war. Entsprechend ist heute wenig über sie bekannt. Das hat Folgen für den Transfer in die digitale Welt. Denn ein Scanner liefert lediglich Rohdaten, er weiss nicht, ob die Farben auf dem Filmstreifen verblasst sind oder ob für die Vorführung Filter vor die Linse des Projektors gelegt werden müssen. Dieses Wissen kann nur historische Forschung liefern.

Computergestützte Ansätze seien für das Fach Filmwissenschaft ungewohnt, betont Barbara Flückiger.

Ein vernachlässigtes Thema

An diesem Punkt setzt das von Barbara Flückiger geleitete Forschungsprojekt FilmColors an. Flückiger ist Professorin am Seminar für Filmwissenschaft und Autorin zweier Standardwerke zu Sound Design und digitaler Tricktechnik. Ihre Spezialität ist die Verbindung von technischem Know-how mit geisteswissenschaftlicher Reflexion. Dieser Ansatz prägt auch FilmColors, das zum Ziel hat, das von der Wissenschaft bisher vernachlässigte Thema Farbe umfassend zu erforschen. Zu diesem Zweck untersucht ein Teil des Teams neue Scan-Verfahren, während eine andere Gruppe daran arbeitet, die Entwicklung des Farbfilms möglichst lückenlos zu rekonstruieren.

Konkret bedeutet das, dass die ERC-Forscherinnen Filme von 1895 bis 1995 detailliert analysieren und in eine grosse Datenbank füttern. Diese umfasst mittlerweile über 400 Filme, von denen rund 17’000 Einzel-Segmente und mehr als 170’000 Screenshots abgelegt wurden. Um das erfasste Material mit Kommentaren und Schlagworten zu versehen, ist eine spezielle Software nötig. Allerdings stellte sich bald heraus, dass die verfügbaren Lösungen den Anforderungen des Projekts nicht genügen. Deshalb wandte sich Flückiger an das von Renato Pajarola geleitete Visualization and MultiMedia Lab (VMML) am Institut für Informatik; gemeinsam entwickelte man die Software VIAN (Visual Video Annotation and Analysis), eine umfassende Plattform für die Analyse und Visualisierung von Film und Video mit Unterstützung der Digital Society Initiative sowie dem Team für Digitale Lehre und Forschung. 

Kommentieren und Ordnen von Filmsequenzen

Das massgeblich vom wisssenschaftlichen Mitarbeiter Gaudenz Halter programmierte VIAN ermöglicht nicht nur das Kommentieren von Sequenzen, es kann auch komplexe Auswertungen durchführen. Welche Farben dominieren beispielsweise in Nachtszenen zwischen 1895 und 1930, wenn man Szenen mit Feuer ausschliesst? Dank der detaillierten Erfassung kann VIAN die Sequenzen entsprechend ordnen und in verschiedenen Graphen visualisieren.

Computergestützte Ansätze seien für ihr Fach ungewohnt, betont Flückiger. «Traditionell herrschen hermeneutische Ansätze der Farbanalyse vor. Ein kleines Sample wird untersucht und ausführlich interpretiert.» Dieser Zugang kann im Einzelfall sehr aufschlussreich sein, er lässt aber kaum allgemeine Aussagen zu. «Man liest in solchen Analysen dann, dass Rot für Leidenschaft oder Grün für Neid steht, aber ob solche Konventionen auch für ein grösseres Korpus gelten, hat niemand überprüft.»

VIAN Figur-Grund-Trennung mit Deep-Learning-Tools für den Spielfilm «Jigokumon» (JAP 1953, Teinosuke Kinugasa)

Automatische Figuren-Erkennung

Die Wirkung von Farben hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem vom Verhältnis zwischen Figur und Hintergrund. Dieses für jeden Film von Hand zu erfassen, wäre freilich äusserst mühsam. Hier kommt VIAN ins Spiel, das dank Deep Learning in der Lage ist, zwischen Figuren und Umgebung zu unterscheiden. Dieser Ansatz ist erstaunlich präzise, VIAN kann mittlerweile sogar Haare und Kleider korrekt identifizieren.

Für Flückiger tritt FilmColors nicht nur den Beweis an, welches Potenzial in den viel beschworenen Digital Humanities steckt, in ihren Augen ist es auch ein  Parabeispiel für disziplinenübergreifende Kooperation. «Die Zusammenarbeit mit dem VMML ist schlicht grossartig. Es ist ein Paradebeispiel für das Potenzial interdisziplinärer Vernetzung im Rahmen der Digital Society Initiative der UZH.»

Online-Plattform für weltweite Zusammenarbeit

Kooperation ist auch ein wichtiges Stichwort für die Zukunft. VIAN soll nicht das exklusive Werkzeug des FilmColors-Projekts bleiben, sondern zu einer Online-Plattform werden, an der Forschende aus der ganzen Welt mitarbeiten können. Die entsprechende Web-App wird in den kommenden Monaten aufgeschaltet, später wird dann auch der gesamte Quellcode von VIAN als Open Source veröffentlicht. Flückiger ist überzeugt, dass auch Wissenschaftler, die in anderen Bereichen Video einsetzen – Historiker, Psychologen, Ethnologen – an der Software interessiert sein werden. «VIAN eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten, und ich bin gespannt, was andere damit machen.»

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