Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Veterinärmedizin

Infektiöse Touristen

Chlamydien können von Schweinen, Ziegen und Schafen auf Menschen übertragen werden und Infektionen auslösen. Die Tierärztin Nicole Borel ist den vielseitigen und rätselhaften Krankheitserregern auf der Spur.
Roland Fischer

Kategorien

Veterinärmedizinerin Nicole Borel erforscht bei Schweinen, wie Chlamydien gegen Antibiotika resistent werden.

 

Aufrechter Gang, Sprache, Technologie – Krankheitserreger kümmert der Sonderfall Mensch herzlich wenig. Wenn man es sich in einem Schweinedarm gemütlich machen kann, dann funktioniert das in menschlichen Eingeweiden womöglich ähnlich gut. Können Krankheitserreger von Tieren auf Menschen übertragen werden, spricht man von ihrem «zoonotischen Potenzial».

Tatsächlich bedeutet Zoonose in den allermeisten Fällen einfach, dass ein Erreger bei der Suche nach einem Wirtsorganismus nicht besonders wählerisch ist, die anthropozentrische Perspektive macht da wenig Sinn. Es ist noch keineswegs geklärt, welche Erreger dieses Herumspringen zwischen verschiedenen Spezies ganz selbstverständlich praktizieren. Die Zoonose ist als Forschungsgebiet noch ziemlich jung, auch wenn man einzelne Fälle wie die Tollwut schon seit den Anfängen der Medizin kennt. Aktuelle Schätzungen gehen von etwa 200 Krankheiten aus, die sowohl bei einem Tier wie auch beim Menschen vorkommen und in beide Richtungen übertragen werden können. In Frage kommt die ganze Palette der Erreger, seien es Prionen, Viren, Bakterien oder Pilze.

Papageien, Schlangen, Koalas

Besonders vielseitige Vertreter dieser infektiösen Touristen werden am Veterinärpathologischen Institut der Universität Zürich erforscht: so genannte Chlamydien. Es handelt sich um sehr kleine Bakterien, die sich bei der Vermehrung ein wenig wie Viren verhalten, sich also nur innerhalb einer Wirtszelle vermehren können. Manche Chlamydienarten fühlen sich in Tauben und Papageien wohl, andere in Schlangen, Fröschen und Koalas. Und nicht wenige eben auch im Menschen, wo sie so etwas wie die grosse Unbekannte unter den Geschlechtskrankheiten sind. Denn Chlamydien werden durch sexuellen Kontakt von Mensch zu Mensch übertragen.

Die UZH-Forscher haben sich mit ihrer Expertise international einen so guten Ruf erarbeitet, dass Zürich seit gut zehn Jahren das internationale Referenzlabor für Chlamydien ist. Solche Referenzlabore sind so etwas wie Erkenntnissammelstellen für spezifische Erreger – hier versucht man sich ein übergreifendes Bild zu verschaffen, was Verbreitung und Krankheitsmechanismen angeht. Im Fall der Chlamydien ist das eine besonders herausfordernde Aufgabe, denn sie überraschen die Experten immer wieder. «Je genauer wir hinschauen, desto mehr finden wir», sagt die Leiterin des Referenzlabors, Nicole Borel. Eben erst habe man zwei neue Chlamydienarten in Schlangen entdeckt.

Rätselhafte Organismen

Man könnte auch sagen: Je mehr die Wissenschaft herausfindet, desto rätselhafter werden diese kleinen Organismen. Nachdem man sie lange für Viren hielt, wurden sie schliesslich den Bakterien zugeteilt – und vor einigen Jahren zeigten Studien, dass die Chlamydien nah mit den Cyanobakterien verwandt sind, uralten Einzellern, die Sauerstoff produzieren können. Man könnte Chlamydien deshalb auch ein wenig als Pflanzen ansehen – jedenfalls besitzen sie einige ungewöhnliche pflanzenähnliche Relikte, sowohl auf der genetischen wie auf der physiologischen Ebene.

Sind Chlamydien also infektiöse Pflanzenwesen? Oder eher stille Pflänzchen, die nicht besonders wählerisch sind bei der Suche ihres Wirts? Wenn man mit Nicole Borel redet, geraten Kategorien ziemlich rasch ziemlich gründlich durcheinander.

Da wären zum Beispiel die von Borel und ihrem Team erhobenen Zahlen in Schweinemast-Betrieben – in über 90 Prozent der untersuchten Schweine fand sich Chlamydien-DNA. Das lässt an andere, ebenfalls sexuell übertragbare Krankheiten denken, die eine weitgehende «Durchseuchung» der Gesellschaft geschafft haben. Beispielsweise die Herpes-simplex-Viren, die die meisten von uns in sich tragen, auch wenn es nur bei einem Teil der Bevölkerung zu Ausbrüchen der Krankheit kommt.

Gemütliches Nest in den Eingeweiden

Borel hält das auch bei Chlamydien durchaus für denkbar. Denn sie haben die Fähigkeit, sich in «Re-servoirs», zum Beispiel im Darm, zurückzuziehen, und sich da weitgehend still zu verhalten. Könnte es sogar sein, dass dieser Rückzug der Normalfall ist – dass sie einfach ein gemütliches Nest in unseren Eingeweiden suchen, als normaler Teil der Darmflora? Und dass Infekte beim Wirt einen Ausnahmezustand bedeuten, auf den Chlamydien gar nicht unbedingt aus sind? Die Zoonose-Detektivgeschichte wäre dann eine Frage der Perspektive: Veterinärmediziner lernen Bakterien zwingend als Krankheitserreger kennen, im Fall der Chlamydien ursprünglich bei Schafen und Ziegen, denn da sind sie auch heute noch für viele Aborte verantwortlich. «Chlamydien sind in Europa die häufigste infektiöse Ursache für Aborte», sagt Tierärztin Nicole Borel.

Könnte es sogar sein, dass dieser Rückzug der Normalfall ist – dass sie einfach ein gemütliches Nest in unseren Eingeweiden suchen, als normaler Teil der Darmflora? Und dass Infekte beim Wirt einen Ausnahmezustand bedeuten, auf den Chlamydien gar nicht unbedingt aus sind? Die Zoonose-Detektivgeschichte wäre dann eine Frage der Perspektive: Veterinärmediziner lernen Bakterien zwingend als Krankheitserreger kennen, im Fall der Chlamydien ursprünglich bei Schafen und Ziegen, denn da sind sie auch heute noch für viele Aborte verantwortlich. «Chlamydien sind in Europa die häufigste infektiöse Ursache für Aborte», sagt Tierärztin Nicole Borel.

Für Schwangere gefährlich

Auch der Mensch kann sich mit demselben Erreger anstecken. Für Schwangere kann das gefährlich sein, es gibt immer wieder dokumentierte Fälle von Fehlgeburten infolge von Chlamydien-Ansteckung bei Schafen oder Ziegen. Humanmediziner interessieren sich verstärkt für Chlamydien, weil diese als Geschlechtskrankheit in den letzten Jahren einen Boom erleben und inzwischen oft in einem Atemzug mit HIV und Syphilis genannt werden. Vor allem bei Frauen kann die Infektion zu Komplikationen wie Entzündungen im Beckenbereich, Eileiterschwangerschaft und zuweilen sogar zu Unfruchtbarkeit führen.

Statistiken zeigen seit ungefähr zwanzig Jahren einen deutlichen Anstieg von Chlamydien-Infektionen beim Menschen – in der Schweiz haben sich Chlamydien unter den meldepflichtigen Krankheiten sogar zur am häufigsten diagnostizierten sexuell übertragbaren Infektion aufgeschwungen. Der Grund dafür ist nicht klar, viele Experten glauben, dass es sich um eine Pseudozunahme handelt: Vermutlich flogen die Chlamydien einfach lange unter dem Radar der medizinischen Diagnostik.

Unangenehme Störenfriede

Für das Referenzlabor in Zürich ist es über die Jahre selbstverständlich geworden, eng mit Humanmedizinern zusammenzuarbeiten. Die Veterinäre haben einigen Vorsprung, was das Chlamydien-Wissen angeht. Kein humanmedizinisches Labor könne mit dem Methodenspektrum aufwarten, mit dem das Team an der UZH Chlamydien auf der Spur ist, sagt Borel. Und so darf man davon ausgehen, dass die eigenartigen Bakterien noch für einige Überraschungen gut sind, dass wir womöglich erst zu verstehen beginnen, welche Rolle sie in der Gemeinschaft von Menschen und Mikroorganismen sowie in der grossen Grauzone zwischen Krank- und Gesundheit einnehmen.

Eines von Borels aktuellen Forschungsprojekten will herausfinden, wie Chlamydien krank machen, wenn sie gemeinsam mit anderen Infektionserregern auftreten – könnten solche Multi-Infekte vielleicht der Grund dafür sein, dass aus diskreten Darmbewohnern plötzlich sehr unangenehme Störenfriede werden? Die Antwort dürfte auch für Humanmediziner von Interesse sein.

Weiterführende Informationen

Weitere Informationen