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Politikwissenschaft

«Der Medienschwund bedroht die Demokratie»

Je weniger die Medien über lokale Politik berichten, desto tiefer ist die Wahlbeteiligung in den Gemeinden. Dies zeigt eine Studie von Politikwissenschaftler Daniel Kübler. Er warnt: Die Krise des Lokaljournalismus bedroht die Demokratie.
Adrian Ritter
Je höher die Auflage der lokalen Zeitungen und je mehr die Medien über lokale Politik berichten, desto höher die Wahlbeteiligung, wie die Studie zeigt. (Bild: iStockphoto/Paperkites)

 

Gemeinden haben immer mehr Mühe, Kandidatinnen und Kandidaten für ihre Exekutiven zu finden. Aber nicht nur das: Auch die Beteiligung bei Wahlen in Gemeinde- und Stadträte nimmt in der Schweiz seit Jahrzehnten kontinuierlich ab. Sie sank beispielsweise in den Gemeinden des Kantons Zürich seit den 1970er-Jahren von rund 70 auf 37 Prozent (2014).

Gleichzeitig kämpfen die Gemeinden mit einem weiteren Phänomen – der Krise des Lokaljournalismus. Die Lokalzeitungen sind unter anderem wegen der Gratiszeitungen und neuer digitaler Medien unter Druck geraten. Die Zahl der eigenständigen Regional- und Lokalzeitungen nimmt laufend ab, die Konzentration und Kooperationen zwischen Medienverbünden nehmen zu. So hat gemäss Jahrbuch Qualität der Medien die Zahl der grösseren Regionalzeitungen in der Schweiz zwischen 2001 und 2016 von 36 auf 28 abgenommen. Auch im Internet finden Lokal- und Regionalzeitungen oft nur ein kleines Publikum. Weil weniger Geld für professionellen Lokaljournalismus zur Verfügung steht, wird auch die Berichterstattung über die lokale Politik reduziert oder weniger aufwändig betrieben.

Metropolitanräume untersucht

Besteht zwischen der Krise des Lokaljournalismus und der Abnahme der Wahlbeteiligung in den Gemeinden ein Zusammenhang? Dieser Frage gingen Daniel Kübler, UZH-Professor für Politikwissenschaft, und sein Assistent Christopher Goodman in einer Studie nach, die kürzlich im Journal of Elections, Public Opinion and Parties erschienen ist.

Die klare Antwort der beiden Politologen: Ja, es besteht ein Zusammenhang. Zeigen konnten die Politologen dies anhand von Daten aus sechs Metropolitanräumen (Zürich, Genf, Basel, Lausanne, Luzern, Lugano) mit insgesamt 408 Gemeinden und mehr als drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern.

Gemäss der Studie ist die lokale Wahlbeteiligung zwischen und innerhalb der untersuchten Metropolitanregionen sehr unterschiedlich. Es zeigt sich aber klar: Je höher die Auflage der lokalen Zeitungen und je mehr die Medien über lokale Politik berichten, desto höher die Wahlbeteiligung.

Dieser Zusammenhang zeigt sich auch, wenn andere relevante Einflussfaktoren auf die Wahlbeteiligung kontrolliert werden. So ist etwa bekannt: Je kleiner eine Gemeinde, je höher ihr Steuereinkommen oder je höher der Anteil der älteren Bevölkerung, desto höher die Wahlbeteiligung.

«Die Kommunikation über Lokalpolitik ist sehr wichtig, wenn man das politische Leben in den Gemeinden wieder beleben will»: Politikwissenschaftler Daniel Kübler. (Bild: Adrian Ritter)

Fehlende Kongruenz

Um den Inhalt der Berichterstattung der Medien zu bestimmen, haben die Forscher keine Inhaltsanalyse der Zeitungen vorgenommen, sondern die so genannte Kongruenz als Annäherungsmass für die lokale Relevanz der Medieninhalte verwendet. Kongruenz liegt dann vor, wenn der Markt einer Lokalzeitung einem politischen Raum entspricht – einer oder mehreren Wahlgemeinden.

Die Forscher gingen also von folgender Annahme aus: Je höher die Kongruenz, desto eher wird ein Medium über politische Geschehnisse in diesem Politikraum berichten. Oder umgekehrt: Wenn Zeitungen zusammengelegt werden und ihr Einzugsgebiet nicht mehr mit politischen Gemeinden und Regionen übereinstimmt, ist die Gefahr gross, dass sie weniger über Lokales berichten.

Insbesondere Fusionen von Zeitungen haben gemäss Kübler dazu geführt, dass Medien mehr über übergeordnete und weniger über lokale Themen berichten: «Es findet eine eigentliche De-Lokalisierung der Berichterstattung statt.»

Gefahr für die Demokratie

Für Daniel Kübler ist klar: Der lokale Zeitungsmarkt ist ein wesentlicher Einflussfaktor für die Wahlbeteiligung. Gleichzeitig ist der Politikwissenschaftler überzeugt: «Der Wandel im Mediensystem birgt Gefahren für die politische Partizipation auf lokaler Ebene und damit für die Demokratie.» Fehlt die lokale Berichterstattung, ergeben sich Defizite der Transparenz und Legitimation. Zudem: Je weniger die Menschen über das Geschehen in der lokalen Politik wissen, desto eher bleiben sie der Urne fern. Dies kann dazu führen, dass Gruppierungen mit extremen Positionen leichter mobilisieren und ihre Anliegen durchsetzen können.

Die Hoffnung, dass lokale Online-News den Platz der verschwindenden Lokalzeitungen übernehmen, hat sich bisher nicht erfüllt, sagt Kübler: «Es hat noch niemand die Lösung gefunden, wie man mit lokalen Online-News Geld verdienen kann.» Dabei spielt mit, dass lokale Nachrichten kein öffentliches Gut sind, nach dem ohnehin eine Nachfrage besteht, sondern ein so genannt meritorisches Gut: «Die Menschen realisieren gar nicht, dass sie mehr davon bräuchten», sagt Kübler.

Er plädiert deshalb zum Schutz der Demokratie für Massnahmen: Nicht-kommerzielle Akteure wie Stiftungen, Parteien oder lokale Behörden sollten vermehrt aktiv werden und neue, journalistische Nachrichtenangebote schaffen. «Die Kommunikation über Lokalpolitik ist sehr wichtig, wenn man das politische Leben in den Gemeinden wieder beleben will», sagt Kübler. Die Gemeinde sei die Schule der Demokratie, wie es der französische Politiker Alexis de Tocqueville schon im 19. Jahrhundert formuliert habe. «Es ist der Ort, an dem man am besten Einfluss nehmen kann. Ist die lokale Demokratie in der Krise, wird sich das später auch auf der Ebene der Kantone und des Bundes negativ auswirken», sagt Kübler.  

 

Die Studie entstand im Rahmen des kürzlich beendeten Nationalen Forschungsschwerpunktes «Herausforderungen für die Demokratie im 21. Jahrhundert» (NCCR Democracy)