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Die akute myeloische Leukämie ist ein gefährlicher Blutkrebs. Mutationen in den blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks führen zur Entartung und unkontrollierten Bildung krankhafter Zellen. Abhilfe schafft in vielen Fällen nur noch eine Knochenmarkstransplantation – wenn überhaupt.
Nun macht sich ein interdisziplinäres Team der UZH von Chemikern, Biochemikern, Genetikern und Molekularbiologen auf die Suche nach neuen Behandlungsansätzen. «Das Projekt ist in der Grundlagenforschung verankert und dementsprechend risikoreich», sagt Christian Mosimann, Assistenzprofessor am IMLS (Institute of Molecular Life Sciences) und einer der vier Projektleiter. Doch wenn es klappt, könnte es die Behandlung akuter Leukämien revolutionieren.
Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) ist auf alle Fälle vom Projekt überzeugt und finanziert die UZH-Forschenden mit 3.2 Millionen Franken. Massgeblich mitgeholfen hat der fachübergreifende Ansatz, das heisst die Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen aus den Bereichen Chemie und Molekularbiologie.
Beteiligt sind die beiden Forschungsgruppen von Cristina Nevado aus der Chemie und Amedeo Caflisch aus der Biochemie. Dazu kommen die Epigenetiker aus der Gruppe von Tuncay Baubec (Department of Molecular Mechanisms of Disease) und Entwicklungsbiologen von Christian Mosimanns Team. Gemeinsam arbeiten sie am Thema, wie bestimmte Enzyme die Gene in den Chromosomen an- und abschalten.
«Mit dieser fachlichen Konstellation können wir unsere Fragen von der Ebene einzelner Molekülstrukturen bis hin zum ganzen Organismus untersuchen», sagt Cristina Nevado, Professorin für Organische Chemie. Sie betont, dass das Projekt nur dank der einzigartigen Kombination ausgewiesener Fachspezialisten realisierbar sei. Die Gruppenleiter arbeiten an vier verschiedenen Instituten aus der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät, der Medizinischen Fakultät und Vetsuisse Fakultät.
Im Detail geht es in dem Projekt um eine Klasse von Enzymen, die spezielle Strukturen namens Bromodomänen aufweisen. Dank diesen Domänen können sie die in den Chromosomen verpackte DNA chemisch markieren oder bestehende Markierungen entfernen. Mit diesen epigenetischen Modifikationen aktivieren oder deaktivieren sie die betroffenen Gene und regulieren damit die vielfältigen Zellaktivitäten.
Fehlerhafte De- und Aktivierungen sind mit ein Grund, wieso sich im Fall der akuten myeloischen Leukämie (AML) blutbildende Stammzellen unkontrolliert zu vermehren beginnen und Krebszellen bilden. Auch bei weiteren Krebskrankheiten sind epigenetische Modifikationen involviert. Die Bromodomänen bilden deshalb einen Ansatzpunkt zu neuartigen Therapien: Werden sie mit kleinen, synthetischen Molekülen blockiert, kann die ungewünschte Genregulierung gestoppt werden.
Dazu werden die Chemikerinnen und Chemiker geeignete Inhibitoren synthetisieren. Ihre strukturellen Eigenschaften und Fähigkeiten zur Blockade der Bromodomänen können im Computer und Reagenzglas durch die Biochemiker getestet und optimiert werden. Danach folgen funktionelle Tests an embryonalen Stammzellen von Mäusen durch die Epigenetiker. Sie zeigen mittels genomweiten Analysen, wie die Inhibitoren die epigenetische Kontrolle der Gene verändern.
Schliesslich untersuchen die Entwicklungsbiologen geeignete Leitsubstanzen hinsichtlich ihrer Wirkung auf das blutbildende System im Zebrafisch, einem wichtigen Modellorganismus. In diesem Tier kann jeder Zelltyp nach Wunsch markiert und von aussen mikroskopisch verfolgt werden. Am Schluss sollten aussichtsreiche Wirkstoffe vorliegen, die in weitergehenden klinischen Versuchen am Menschen getestet werden können.
Mindestens so wichtig wie die Entwicklung neuer Wirkstoffe sind die erwarteten Einblicke in die Genregulation durch chemische Modifikationen spezieller Eiweissstoffe in den Chromosomen. Dieses Gebiet der epigenetischen DNA-Kontrolle ist ein noch relativ junges Gebiet und ein absolutes Hot-Topic.
Denn die Epigenetik moduliert die Genaktivitäten und bestimmt auf einer zweiten Ebene, zusätzlich zur Vererbung, die Effekte unserer Gene. Die Aufklärung ihrer Mechanismen ist gleichbedeutend zur Erforschung der primären Genwirkungen, an denen die Molekularbiologen seit Jahrzehnten arbeiten.
Nach einer zweijährigen Planung durch die Gruppenleiter ist der Startschuss für das Projekt kürzlich gefallen: Anfang Juni hat der SNF das Projekt bewilligt. Vor kurzem trafen sich rund 20 Forscherinnen und Forscher der beteiligten Gruppen zu einem Austausch und zur Diskussion der geplanten Experimente. Die Stimmung bei den Beteiligten ist bestens, nach den aufwendigen Planungsarbeiten können nun die Experimente beginnen. Man darf gespannt sein, was das einzigartige Projekt hervorbringen wird.