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Das Verhältnis zur Natur neu denken

Sollen wir die Natur schützen, weil sie uns mit Ressourcen versorgt, oder einfach um ihrer selbst willen? Dieser Frage will die Philosophin und Biologin Anna Deplazes Zemp eine eigene umweltethische Argumentation entgegenstellen. Die NOMIS Foundation unterstützt ihr Forschungsprojekt mit einer halben Million Franken.
Nathalie Huber
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Sollen wir die Natur schützen, weil sie uns nützlich ist? Oder hat sie einen Wert an sich? (Bild: iStockphoto/Claudiad)

 

Bio- und Umweltethik ist das Forschungsgebiet von Anna Deplazes Zemp. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Arbeits- und Forschungsstelle für Ethik der UZH forscht sie seit vier Jahren in diesen Bereichen. Ihrem neuen Forschungsprojekt «People’s Place in Nature» legt die Philosophin die Frage zugrunde, warum wir unsere Umwelt schützen sollen.

Dazu wird sie die gängigen Positionen in der Naturschutzdebatte aus umweltethischer Perspektive analysieren. In Kombination mit einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung ergründet sie, wie Menschen ihr Verhältnis zur Natur tatsächlich bewerten. Anna Deplazes Ziel: Eine eigene umweltethische Argumentation zu entwickeln, die alltägliche Argumente einbindet und diese kritisch hinterfragt.

Nutzenorientierter Ansatz überzeugt viele

Warum sollen wir die Umwelt schützen? Eine Frage, die polarisiert. In Politik und Gesellschaft kommen zwei Ansätze ins Spiel, um für einen verantwortlichen Umgang mit der Natur zu argumentieren. Stark verbreitet ist die Begründung, dass die Natur für den Menschen wichtig und nützlich sei. Wir sind auf ein gesundes Klima angewiesen und auf funktionierende Ökosysteme, die uns etwa vor Lawinen schützen, uns mit Trinkwasser oder fruchtbarer Erde versorgen. Ökosysteme dienen auch zur Erholung, und sie inspirieren uns.

«Diese nutzenorientierten Argumente haben vermutlich die stärkste Überzeugungskraft in unserer Gesellschaft», sagt Deplazes Zemp. Den Wert und die Bedeutung der Natur aber auf die Dienstleistungen, die sie für Menschen erbringt, zu reduzieren, ist für die Umweltethikerin nicht befriedigend. Daraus würde folgen, dass es unproblematisch wäre, Ökosysteme, die nicht direkt nützlich erschienen, zu zerstören.

Eigenwerte zu unterschiedlich interpretiert

Der andere traditionelle Ansatz in der Naturschutzdebatte bezieht sich auf intrinsische Werte. Es wird argumentiert, dass Tiere, Lebewesen, Ökosysteme oder die Natur als Ganzes einen Eigenwert hätten und um ihrer selbst schützenswert seien. Das Problem daran: Intrinsische Werte können sehr unterschiedlich interpretiert werden. «Ist jede Blume wertvoll oder nur die Natur als Ganzes, und woher stammen diese Werte? Im umweltethischen Diskurs ist man sich da nicht einig, das Konstrukt ist voraussetzungsreich und kontrovers», erklärt Deplazes Zemp.

Mensch ist Teil der Natur

Die ambitionierte Umweltethikerin will die Dichotomie zwischen Nutzen und Eigenwert oder Mensch und Natur auflösen. «Mein Ansatz geht von einem Naturverständnis aus, das den Menschen als Teil der Natur und nicht als Gegenpol versteht.» Der Mensch gestalte die Natur mit, deshalb stehe er in einer direkten Beziehung zur Natur, ist Anna Deplazes überzeugt. Und sobald man sich in einer Beziehung zur Natur sehe, orientiere sich das eigene Handeln an gewissen Werten.

Die Bedeutung dieser Beziehung des Menschen zur Natur untersucht Anna Deplazes Zemp zum einen in der umweltethischen Literatur. Zum andern – um diese Beziehung noch besser zu verstehen – ergänzt die UZH-Forscherin ihre umweltethische Analyse mit einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung. Diese stützt sich auf sogenannte relationale Werte ab. Darunter fallen unterschiedliche Prinzipien, Tugenden und Vorlieben, die sich aus Beziehungen ergeben.

Will die Dichotomie zwischen Nutzen und Eigenwert auflösen: Umweltethikerin Anna Deplazes Zemp. (Bild: Fabio Schönholzer)

Relationale Werte in die Umweltethik einbringen

Doch: «Aus umweltethischer Perspektive ist das Konzept der relationalen Werte noch zu unscharf. Um es für eine ethische Argumentation anwenden zu können, muss klar werden, was genau gewertet wird und weshalb daraus eine Verantwortung folgen soll», fordert Deplazes Zemp. Deshalb wird die am Forschungsprojekt beteiligte Humangeografin Mollie Chapman ausgewählte Berufsgruppen wie Jäger oder Landwirte befragen. «Wir wollen verstehen, weshalb ihnen die Natur wichtig ist, was genau sie an ihr schätzen, und wie sie ihre Rolle und Verantwortung gegenüber der Natur sehen», fasst Deplazes Zemp zusammen.

Interdisziplinären Austausch anregen

Die enge Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Sozialwissenschaften wird die ethische Argumentation mit praktischen Beispielen bereichern und das sozialwissenschaftliche Konzept der relationalen Werte schärfen. Deplazes’ Forschungsprojekt ist Teil des Universitären Forschungsschwerpunkts «Globaler Wandel und Biodiversität» – ihre Ergebnisse sollen den interdisziplinären Austausch befruchten. «Auch ökologische und geographische Erkenntnisse sind für das Verständnis des Mensch-Natur-Verhältnisses wichtig, und umgekehrt kann die Reflexion dieser Beziehung für naturwissenschaftliche Projekte interessant sein», resumiert Deplazes Zemp.