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Kulturwissenschaft

Wolfsterritorien

Der Wolf ist da und macht Politik: Seine Anwesenheit führt zu wilden Debatten über unterschiedliche Wertvorstellungen und verschiebt sogar Kantonsgrenzen. Dies zeigen Forschende des Instituts für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der UZH.
Fabio Schönholzer
Der Wolf ist zurück. (Bild: Fabien Bruggmann)

 

Nur die wenigsten von uns haben den Wolf in freier Wildbahn gesehen. Nachdem 1995 im Val d'Entremont (VS) erste Belege für seine Rückkehr gefunden wurden, gab es 2012 im Calanda-Gebiet (GR/SG) den ersten Wolfnachwuchs. Heute, so schätzt man, gibt es in der Schweiz rund 40 Wölfe.

Innerhalb der Schweiz sind die Tiere stark umstritten: Medien berichten ausgiebig über gerissene Schafe, weshalb politische Vorstösse Massnahmen gegen die Wölfe verlangen – Wiederum setzen sich Tierschutzgruppen für die Raubtiere ein. «Die vom Menschen gedachte Grenze zwischen Naturraum und Zivilisation ist dabei einer der Hintergründe der gegenwärtigen Konflikte», erklärt Elisa Frank vom Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der UZH. Denn diese und andere Grenzen werden von den Wölfen mit ihrer raumgreifenden Lebensweise durchdrungen und damit in Verhandlung gebracht. So werden sie zu den Wesen, welche in der hiesigen Gesellschaft, der Politik und den Medien für Furore sorgen. Dies zeigt die gemeinsame Forschung von Elisa Frank und Nikolaus Heinzer im SNF-Forschungsprojekt «Wölfe: Wissen und Praxis» unter der Leitung von Bernhard Tschofen, Professor am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der UZH.

Stadt und Land, Wolf und Schaf

«In städtischen Regionen wird der Wolf als Symbol einer von Menschen losgelösten Natur wahrgenommen», sagt Nikolaus Heinzer. Diese Natur sei daran, sich ihr ehemaliges Terrain zurückzuerobern und verdichtet in sich Wünsche, Hoffnungen und Vorstellungen der Stadtbevölkerung. Betrachte man den Wolf in diesem Kontext, so fühle man sich auch sehr von seiner Rückkehr betroffen und setze sich darum auch für ihn ein.

«In ländlichen Gebieten werden Wölfe jedoch von vielen als Eindringlinge in Alpen und Weidegebiete wahrgenommen, welche die Nutztierhaltung erschweren oder gar verunmöglichen», sagt Heinzer. Alleine für das Jahr 2016 meldet die hiesige Koordinationsstelle für Raubtiere KORA fast 400 gerissene Nutztiere.

Zu politischen Konflikten führt dies insbesondere im Kanton Wallis. Dort gibt es mit der Schwarznasenschafzucht eine kantonale Tradition, die seit mehreren Generationen von Bauern und Hobbyschäfern nebenberuflich aufrechterhalten wird. Die Angst vor dem Wolf bürdet den Schafhaltern jedoch einen erheblichen Mehraufwand auf, insbesondere bei Weidegängen. Um ihre Schafe zu schützen, setzen manche Züchter auf kosten- und arbeitsintensive Herdenschutzmassnahmen. Weiterhin klagen aber viele über gerissene Tiere. «In den Augen vieler Schäferinnen und Schäfer gibt es darum für den Wolf klar keinen Platz», sagt Heinzer. Die Rufe nach stärkeren Wildtierregulierungen fallen entsprechend laut aus.

Frank und Heizer
Untersuchen, was der Wolf mit uns macht – und wir mit ihm: Elisa Frank und Nikolaus Heizer vom Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der UZH.

 

Die Möglichkeiten der Walliser Jagd- und Forstbehörden sind aber begrenzt: Durch seinen geschützten Status wird der Umgang mit dem Raubtier vom Bund im eidgenössischen Jagdgesetz geregelt. Ein Abschuss wird nur in Ausnahmefällen, wie beispielsweise bei sehr grossen Rissschäden, bewilligt – Zum Ärger mancher Schäferinnen und Schäfer. Die Tierhalter wollen sich wehren, sind durch die nationalen Gesetze und Verordnungen aber machtlos. «So wird der Wolf oft als ein vom Bund aufgezwungenes Problem betrachtet, das den Kanton entmündigt und so lokale Lebensweisen bedroht.» Dadurch stellen die Wölfe das Verhältnis zwischen kantonaler Selbstbestimmung und Zentralismus in Frage: «Schnell geht es nicht mehr ausschliesslich um Konflikte zwischen Naturschutz und Weidewirtschaft, sondern um politische Auseinandersetzungen», sagt Heinzer. Diese führen zu hitzigen Debatten über den hiesigen Föderalismus und zu parlamentarischen Vorstössen, die mehr Handlungsspielraum für die Kantone fordern.

Grossraubtierkompartimente

Durch ihre raumgreifende Lebensweise bringen die Tiere auch bestehende Kantonsgrenzen zur Diskussion: «Die weitreichenden Territorien der Wölfe können Biologen zufolge nicht sinnvoll einzelnen Kantonen zugeordnet werden», erklärt Frank. Dies erkennt auch der Bund im «Konzept Wolf Schweiz», einer Vollzugshilfe zuhanden der kantonalen Behörden. Darin verbindet das Bundesamt für Umwelt die Kantone zu fünf Grossraubtierkompartimenten. Bei einem Wolfsnachweis innerhalb eines Kompartiments bildet sich dort eine Kommission mit Vertretern der beteiligten Kantone und des Bundes, welche die Wildtierregulierung verbessern und den Informationsfluss erleichtern soll. «Für die Wölfe werden somit auf dem Papier einzelne Kantone zusammengeschlossen und eine komplett neue Landkarte ausgehandelt», führt Frank aus.

Mit ihrem Projekt wollen die Forschenden Verständnis dafür schaffen, dass der Wolf nicht nur ein umherziehendes wildes Tier ist, sondern auch ein bedeutungsgeladenes Wesen, das viele unterschiedliche Naturvorstellungen und Konflikte der Gesellschaft in sich verbindet. «Sprechen wir über den Wolf, sprechen wir gleichzeitig noch über viele weitere Dinge», sagt Frank.