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Daniel Kübler, als Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Demokratie machen Sie Demokratieforschung. Steckt die Demokratie in der Krise?
Ich bin nicht sicher, ob man das so sagen kann. Es gibt aber sicher ein verbreitetes Misstrauen gegenüber den etablierten Eliten. Das zeigt sich an der steigenden Wählerschaft von populistischen Parteien, die gegenüber den herrschenden Eliten kritisch eingestellt sind. Ich würde dann von einer Krise sprechen, wenn diese Entwicklung tatsächlich die Grundfesten der Demokratie gefährden würde.
Tut sie das?
Das wissen wir noch nicht. Doch es gibt Anzeichen dafür.
Welche?
Etwa wenn die verfassungsmässige Ordnung eines Staates so umgebaut würde, dass die demokratischen Grundrechte eingeschränkt werden.
Genau das passiert momentan etwa in Ungarn, Polen oder der Türkei.
Das ist richtig. Aber es gibt andere Staaten, die gegen solche populistischen Umbauversuche resistent zu sein scheinen, etwa die USA, wo Trump lernen muss, dass die Gewaltentrennung seine Macht begrenzt.
Was macht denn eine Demokratie widerstandsfähig?
Etablierte Demokratien wie die USA scheinen mit solchen Entwicklungen besser umgehen zu können. Die Checks und Balances in den USA funktionieren – die entsprechenden Institutionen sind mit Leuten besetzt, die bereit sind, korrigierend einzugreifen. In anderen Ländern ist das offensichtlich nicht der Fall. Wie es scheint, sind junge Demokratien anfälliger gegenüber solchen populistischen Angriffen. Es gibt auch Hinweise, dass Mehrheitsdemokratien anfälliger sind als Konsensdemokratien. Die Schweiz und Österreich sind relativ gut umgegangen mit den Populisten – sie wurden in die Regierung eingebunden und haben sich so etwas beruhigt. Die rechtsstaatlichen Prinzipien wurden nicht aufgehoben. In Polen ist das anders. Dort stellt die populistische national-konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Mehrheit und ist nun dabei, den Staat nach ihrem Gutdünken umzubauen. Ähnliche Entwicklungen sehen wir in der Türkei und in Ungarn.
Zu den Kräften, die die Demokratie herausfordern, gehört die Globalisierung. In welcher Weise bedroht diese die demokratische Ordnung?
Demokratie bedeutet einerseits die Herrschaft des Volks. Das heisst, die Bürgerinnen und Bürger sollten ihre Regierung kontrollieren können, sie ist ihnen Rechenschaft schuldig. Andererseits ist Demokratie auch eine Regierungsform. Eine Regierung muss in der Lage sein, Probleme zu lösen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten nun beides: Bürgernähe und die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Beiden Ansprüchen gerecht zu werden, kann schwierig sein.
Woran liegt das?
Die Globalisierung führt dazu, dass die Abhängigkeiten zwischen den Staaten zunehmen. So müssen sich Regierungen an Verträge mit anderen Staaten und Organisationen halten, von denen es immer mehr gibt. Das heisst, die Regierungen sind zunehmend nicht mehr nur gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern verpflichtet, sondern auch gegenüber anderen Staaten und überstaatlichen Institutionen. Sie können deshalb nicht mehr in jedem Fall nach eigenem Gutdünken entscheiden, auch wenn die Bürger das gerne möchten. Das schafft Probleme im Hinblick auf die andere Dimension des demokratischen Regierens, nämlich dass die Regierung tun soll, was die Bürgerinnen und Bürger von ihr verlangen.
Wächst dieser Graben zwischen den Anliegen der Bevölkerung und dem, was die Regierung tatsächlich tun kann?
Ja, dieser Graben wächst, weil die Entscheidungsgewalt immer stärker von den nationalen Regierungen an supranationale Organisationen delegiert wird. Neben diesen gibt es auch Regulierungsbehörden, die staatliche Aufgaben übernehmen, wie etwa die Finanzmarktaufsicht, Wettbewerbsbehörden oder andere unabhängige Regulatoren. Das sind Institutionen, die die Politik stark beeinflussen, aber nicht den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger verpflichtet und demokratisch legitimiert sind.
Wird es deshalb immer schwieriger, den «Volkswillen» politisch umzusetzen?
Es ist eine Zwickmühle zwischen globalem Handeln und den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. Beides ist leider nicht immer deckungsgleich. Nehmen sie die Umweltverschmutzung: Es ist es sonnenklar, dass dieses Problem auf globaler Ebene angegangen werden muss. Trump ist deshalb mit dem Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen jetzt vielleicht nahe an den Anliegen der Menschen in den Gebieten, wo Kohle abgebaut wird. Aber es liegt auf der Hand, dass das dem Kampf gegen den Klimawandel abträglich ist. Und viele Menschen in den USA haben gegenläufige Anliegen, beispielsweise in Gebieten wie Kalifornien, die wegen des Klimawandels von Dürren heimgesucht werden.Dieser Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit hat disruptive Folgen.
Eine davon ist die Wahl von Donald Trump, eine andere ist der Brexit.
Offensichtlich findet ein Teil der Bürgerinnen und Bürger gewisse Aspekte der Globalisierung kritikwürdig. Dies drücken sie in ihrem Wahl- und Stimmverhalten aus. Letztlich ist Demokratie dazu da, dass solche Differenzen ausgetragen werden können. Wenn das zu einer Korrektur der negativen Folgen der Globalisierung führt, ist dagegen nichts einzuwenden.
Die Globalisierung ist einer der Stressoren der Demokratie. Ein anderer ist, wie Sie am NFS festgestellt haben, die Mediatisierung. Was verstehen Sie darunter?
Die Medien spielen in unserem Alltag eine immer stärkere Rolle. In den heutigen Massengesellschaften, in denen die Bevölkerung die Politiker nicht persönlich kennt, ist sie auf Medien angewiesen, um sich eine politische Meinung zu bilden. Die Medien fungieren aber nicht nur als neutrale Vermittler von Informationen, sondern sie haben eine eigene journalistische und kommerzielle Logik, nach der sie funktionieren. Wenn Medien unter Druck sind, müssen sie noch stärker darauf achten, dass ihr Produkt unter die Leute kommt und gelesen wird. Solche Überlegungen führen dazu, dass Informationen auf eine bestimmte Weise präsentiert werden. Mit Mediatisierung meinen wir, dass diese Eigenlogik der Medien einen zunehmenden Einfluss auf die politische Kommunikation hat. Das kann für die Demokratie ein Problem sein. Die Presse hat auch früher auf Grund ihrer eigenen Logik entschieden, was sie publiziert.
Was hat sich denn verändert?
Das Ausmass des Phänomens hat sich verändert. Die Parteipresse ist Geschichte. Was die Medien heute unter Druck setzt, ist die Digitalisierung, die Verlagerung der Kommunikation ins Internet. Sie untergräbt das Geschäftsmodell vieler Medien, die über Werbung ihre Produkte finanziert haben. Das führt dazu, dass viele kommerziell stärker unter Druck stehen. Medien werden anders genutzt. Deshalb müssen sie vermehrt um Aufmerksamkeit kämpfen. Die Folge davon ist, dass sie stärker skandalisieren, personalisieren und negativ berichten, weil das mehr Aufmerksamkeit generiert – nichts ist so langweilig wie ein Bericht über etwas Positives.
Was hat das für Konsequenzen?
Die Medien nehmen immer stärker die Position der Bürgerinnen und Bürger ein, die den Eliten kritisch gegenüberstehen. Die Journalisten sehen sich in ihrer Berufsethik als Hinterfrager dessen, was als gegeben hingenommen wird. Das führt dazu, dass in der veröffentlichten Meinung der Eindruck entsteht, die Regierenden würden zu wenig für die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger tun.
Können Sie diesen Trend nachweisen?
Ja, etwa anhand der Anzahl negativer Schlagzeilen, die über die Jahre zugenommen haben. Dies konnte eines der NFS-Projekte belegen, das die Presse in zehn europäischen Ländern zwischen 1960 und 2010 analysiert hat. Das Fazit: Es gibt mehr negative Schlagzeilen, es wird stärker skandalisiert und mehr personalisiert.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in diesem Prozess?
Die Online-Medien haben dazu geführt, dass die traditionellen Medien ihre Pförtnerfunktion eingebüsst haben. Heute hat jeder Zugang zur Öffentlichkeit. Auch das bringt die Perspektive des Einzelnen im öffentlichen Diskurs stärker zur Geltung.
Wirkt sich das negativ auf die Qualität aus?
Das muss nicht sein. Zumindest in Westeuropa sind auch in der Online-Welt die traditionellen Medien die stärksten Anbieter. Doch diese funktionieren nach einer anderen Logik, wenn sie online publizieren. Dort gilt: Was angeklickt wird, kommt nach oben, Aufmerksamkeit kann direkt gemessen werden. Diese Klick-Logik verändert die Präsentation und die Nutzung von Informationen.
In welcher Weise verstärkt die Klick-Logik den Populismus?
Medien, die nach Aufmerksamkeit suchen, geben den Populisten mehr Raum und die Akteure an den Rändern des politischen Spektrums kommen stärker zu Wort als Kräfte im Zentrum. Heute ist die populistische Kommunikation im Mediendiskurs stärker präsent als früher.
Was bedeutet das für die Politik?
Die Globalisierung setzt die Regierenden von der einen Seite unter Druck – sie können sich nicht nur an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger orientieren, sondern müssen sich auch an internationale Abmachungen halten. Die Mediatisierung übt Druck von der anderen Seite aus, indem die Medien zunehmend hinterfragen, ob die Regierenden wirklich noch die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger vertreten.
Wie wirkt sich das auf die Medienkonsumenten aus?
Das ist nicht so klar. Die Medienwirkung ist komplex. Wenn man dauernd über Trump liest, bedeutet das nicht, dass man ihn auch wählt. Doch die Medienlogik führt dazu, dass Diskurse emotionaler werden. Zudem nimmt der Populismus in der politischen Kommunikation zu. Das wird sehr bewusst gemacht. Politiker haben gelernt, dass sie auf Emotionen setzen müssen. Deshalb wird mit weinenden Kindern gegen Harmos geworben. Das ist an sich nichts Neues, doch das Ausmass solcher emotionalisierender Negativ-Botschaften im Journalismus und in der politischen Kommunikation hat deutlich zugenommen.
Sie sagen, der Populismus könne als Korrektiv wichtig sein. Sie haben aber auch herausgefunden, dass populistische Parteien antidemokratische Tendenzen aufweisen. Inwiefern sind Populisten, die sich auf den Volkswillen berufen, antidemokratisch?
Der Populismus weist drei Merkmale auf: Populisten bauen einen Gegensatz zwischen einer Elite und dem Volk auf, sie wollen dem Volk alle Macht geben und sie denken in Blöcken. Sowohl das Volk wie auch die Elite sind im Denken der Populisten homogene Blöcke. Darin liegt die Gefahr für die Demokratie. Denn es wird ein Wir aufgebaut, das andere ausschliesst. So wird etwa behauptet, wer mit der EU Verträge abschliessen wolle, sei kein rechter Schweizer. Oder wer bei einer Bank arbeite, sei ein globaler Kapitalist, der alle ausbeute.
Was ist daran antidemokratisch?
Solches Blockdenken verneint den Pluralismus. Das ist antidemokratisch. Damit werden auch individuelle Freiheiten und bürgerliche Rechte negiert. Denn wer nicht dazugehört, hat auch keine Rechte – etwa auf Religionsfreiheit. Denken Sie an die Muslime, die in der Schweiz keine Minarette mehr bauen dürfen. Da wird Populismus antidemokratisch.
Werden diese Auseinandersetzungen weiter eskalieren?
Ich denke schon. Wenn man den Populismus als Korrektiv versteht, muss er dazu führen, dass die Anliegen der Bügerinnen und Bürger gehört und kanalisiert werden. Die etablierten Parteien müssten diese Anliegen aufgreifen und ihre Regierungspolitik danach ausrichten. So müsste in Südeuropa etwas gegen die Wirtschaftskrise getan werden und in Nordeuropa gegen die zunehmende Kluft zwischen Globalisierungsverlierern und -gewinnern. Die EU wird sich auch überlegen müssen, wie sie mit der Personenfreizügigkeit umgehen will, die in vielen Ländern polarisiert.
Was geschieht, wenn die Politik nicht auf diese Anliegen reagieren will oder kann?
Wenn die Politik etwa bei den Themen Personenfreizügigkeit und Migration keine vernünftigen und konstruktiven Strategien findet und diese mit den Anliegen der Bürger in Einklang bringt, sieht es nicht gut aus. Doch wie gesagt: Der Populismus muss als Korrektiv wirken. Wenn die etablierten Parteien das Erstarken der Populisten zum Anlass nehmen, um ihre Politik den Bedürfnissen der Bürger anzupassen, ist das eine gute Entwicklung. Das ist das Ziel der Demokratie: dass die Regierenden die Anliegen der Regierten aufnehmen und dann vernünftige politische Lösungen suchen.
Sie haben in den letzten fünf Jahren den NFS Demokratie geleitet: Was nehmen Sie persönlich an Erkenntnissen mit?
Winston Churchill hat festgestellt, Demokratie sei die schlechteste Regierungsform, abgesehen von allen anderen, die ausprobiert worden seien. Das trifft zu. Demokratie hat viele Schwächen, ist aber tatsächlich das einzig vernünftige Regierungssystem. Die zweite Erkenntnis: Die Qualität von Demokratie hängt stark vom Engagement der Akteure ab. Demokratie ist kein Selbstläufer, sie braucht Herzblut und Bürgersinn.