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Seit 2008 lebt eine Mehrheit der Weltbevölkerung nicht mehr auf dem Land, sondern in Städten. Diese wachsen immer mehr zu Metropolitanräumen zusammen – über die Grenzen bestehender Gemeinden, Regionen und Länder hinweg. Der Metropolitanraum Zürich etwa umfasst nicht weniger als 236 Gemeinden und Städte in acht Kantonen. Metropolitanräume rufen eigene, neue politische Gremien ins Leben. Diese widmen sich Themen wie dem öffentlichen Verkehr oder der Standortförderung.
Daniel Kübler, Professor für Politikwissenschaft an der UZH, untersucht diese neuartigen Gebilde seit Jahren. Er stellt fest, dass sich zwei Modelle herausgebildet haben. Im ersten Modell schaffen Metropolitanräume eigene Exekutivbehörden und Parlamente – so geschehen etwa in London mit der «Greater London Authority». Im zweiten Modell organisieren sich Metropolitanräume als Netzwerke – etwa in der Region Zürich.
Vom Volk gewählte neue Parlamente und Regierungen sind demokratisch legitimiert. Anders die Netzwerke: In ihnen reden sowohl Vertreterinnen und Vertreter gewählter Gremien der Gemeinden und Städte – zum Beispiel Einwohnerräte oder Stadträtinnen – wie auch Interessenvertreter und Expertinnen mit. Gleichzeitig sind die Prozesse der Entscheidungsfindung in Netzwerken weniger reglementiert und transparent als in gewählten Gremien. Gemäss Daniel Kübler stehen sie damit vor einem Dilemma: «Entweder haben die Netzwerke nur geringe Kompetenzen – oft zu gering, um die Herausforderungen anzugehen, vor denen sie stehen. Oder sie haben weitergehende Kompetenzen und dafür ein Demokratiedefizit.»
Die Netzwerke im Metropolitanraum Zürich zeichnen sich gemäss Kübler durch geringe Kompetenzen aus. So werden Themen des öffentlichen Verkehrs vorrangig im Rahmen des Zürcher Verkehrsverbunds behandelt – ein Gremium, in dem hauptsächlich der Kanton Zürich Entscheidungsbefugnisse hat. Anders in der Region Lausanne, wo das Netzwerk zum Thema öffentlicher Verkehr die Form einer Aktiengesellschaft hat. In diesem Rahmen bestimmen auch Delegierte von Unternehmen und Gewerkschaften über die Ausgestaltung des öffentlichen Verkehrs in der Region mit. «Solche Entscheidungen sind demokratisch weniger legitimiert», sagt Daniel Kübler.
«In Metropolitanräumen, die sich in Netzwerken organisieren, käme den Medien umso mehr die wichtige Aufgabe zu, die dort getroffenen Entscheidungen transparent zu machen», sagt Daniel Kübler. In einer kürzlich veröffentlichten Studie im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunktes Demokratie (NCCR Democracy) hat er mit seinem Team am Beispiel von acht europäischen Städten untersucht, ob die Medien diese Aufgabe wahrnehmen. Fazit: nur beschränkt. Die Medien machen die gewählten wie die nicht-gewählten Akteure innerhalb des Netzwerks zwar angemessen sichtbar. Sie machen aber demokratisch gewählte Vertreterinnen und Vertreter viel stärker für den Erfolg oder das Scheitern politischer Entscheidungen verantwortlich als nicht gewählte Personen. Dies trifft vor allem auf stark kommerziell ausgerichtete Medien zu. «Gewählte und somit öffentlich bekannte Personen scheinen für sie einen höheren Nachrichtenwert zu haben als andere Akteure. Damit entsteht aber ein verzerrtes Bild der Verantwortung. Die Medien können das Demokratiedefizit solcher Netzwerke somit nur beschränkt ausgleichen», sagt Kübler.
In einer nächsten Studie untersucht er derzeit, wie Bürgerinnen und Bürger das Demokratiedefizit wahrnehmen und inwiefern die Medien mit ihrer Berichterstattung die Ansichten der Leserinnen und Leser zu prägen vermögen.
«Metropolitanräume demokratischer zu gestalten ist eine der grossen Herausforderungen der 21. Jahrhunderts», ist Daniel Kübler überzeugt. Er ist zuversichtlich, dass die weltweit voranschreitende Urbanisierung die Demokratie stärken wird: «In Städten entwickeln sich meist starke Mittelschichten. Diese werden sich für mehr Mitsprache einsetzen.»
Kübler rechnet damit, dass sich in den Metropolitanräumen vor allem das Netzwerk-Modell durchsetzen wird: «Bei diesem demokratisch weniger legitimierten Modell ist es umso wichtiger, eine Debatte darüber zu führen, wie solche Metropolitanräume regiert werden können und sollen.»
Metropolitanräume bieten aber auch grosse Chancen, wie der Politikwissenschaftler betont. In seiner Forschung hat er festgestellt, dass sowohl in den gewählten Gremien wie auch in den Netzwerken die Gespräche oft weniger parteipolitisch verlaufen als in Gemeinden, Kantonen und dem Bund. Insofern bieten Metropolitanräume gute Voraussetzungen für eine lösungsorientierte Politik.
Um die demokratische Legitimation von Metropolitanräumen zu stärken, schlägt Kübler unter anderem vor, bei den Parlamenten anzusetzen. Metropolitan-Parlamente sind dabei nur eine Möglichkeit. «Noch wichtiger scheint mir, dass die Parlamente von Gemeinden und Kantonen sich mehr mit den Themen der Metropolitanräume beschäftigen und auch Einfluss darauf nehmen», so der Politikwissenschaftler. Gerade in der Schweiz mit ihrer direktdemokratischen Tradition würden sich weitere Lösungen anbieten. Als interessant erachtet Daniel Kübler etwa das Beispiel der Regionalkonferenz Bern-Mittelland. Dort unterliegen gewisse Beschlüsse der Regionalversammlung dem fakultativen Referendum.