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Unheilbar kranke und sterbende Patientinnen und Patienten menschenwürdig und schmerzlindernd zu betreuen, dieses Ziel der Palliative Care hat im Gesundheitswesen stark an Bedeutung gewonnen. Dabei sollen auch die religiösen und spirituellen Bedürfnisse berücksichtigt werden – dies die Idee des jungen Fachgebietes der «Spiritual Care».
In ihrer Dissertation im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms Lebensende untersucht die Religionswissenschaftlerin Mirjam Mezger am Beispiel von zwei Spitälern, welchen Stellenwert religiöse Praktiken, Glaubensvorstellungen und «Spiritual Care» in der Palliative Care haben. Insbesondere interessieren sie die Wechselwirkungen zwischen christlichen und alternativen Formen von Religiosität.
Was aber zählt genau zu «Spiritual Care»? «Dazu herrscht weder in der Wissenschaft noch in der Praxis im Gesundheitswesen Einigkeit», sagt Mezger. In der Palliative Care wird darunter meistens Sinnsuche und der Aufbau menschlicher Beziehungen verstanden, was aus der Perspektive der Religionswissenschaftlerin nur teilweise dem Begriff «Spiritualität» zugeordnet werden kann.
Zur Datenerhebung war Mezger in zwei Spitälern je einen Monat als Pflegepraktikantin tätig – an einem Akutspital, das über einen Beratungsdienst für Palliativ Care verfügt, und an einem Spital mit einer separaten Palliativstation. Sie führte Interviews mit Ärztinnen, dem Pflegepersonal, Seelsorgern, Freiwilligen – die beispielsweise nächtliche Sitzwachen an den Patientenbetten machen – und Sterbenden.
An säkularen Spitälern herrscht grundsätzlich die Devise, dass Patientinnen und Patienten ihre religiösen Bedürfnisse von sich aus äussern sollen. So besuchen auf Wunsch christliche Seelsorgende und Vertreterinnen und Vertreter anderer Religionsgemeinschaften die Patientinnen und Patienten.
Alternative Glaubensvorstellungen werden beispielsweise im Zusammenhang mit Komplementärmedizin geäussert, wie die Doktorandin feststellte: So hat sie erlebt, dass Rosenöl im Rahmen von Aromatherapien dafür eingesetzt wird, dass die Sterbenden sich leichter von ihrem Körper lösen können. Vor diesem Hintergrund handelt es sich für die Forscherin um eine religiöse Handlung. Von den Beteiligten wird dies dagegen nur selten so wahrgenommen.
Alternative Religiosität wird gemäss Mezger zudem insbesondere dann praktiziert, wenn die Patientinnen und Patienten nicht ansprechbar sind und weder Angehörige noch eine Patientenverfügung über ihre religiösen Wünsche Auskunft geben können. In einer solchen Situation bleibe nur die Möglichkeit, einfach «da zu sein». Pflegende, Seelsorgende und Freiwillige vertrauen dann vor allem ihrer Intuition, hat Mezger beobachtet.
Dabei greifen sie auch auf Rituale zurück, die nicht ihrer eigenen, institutionalisierten Religion zuzuordnen sind. So wird neben dem Bett der Sterbenden auf verschiedenste Arten meditiert oder innerlich mit ihnen kommuniziert – dies auch von Seiten christlicher Seelsorgerinnen und Seelsorger.
Wie Mezger feststellte, gibt es auf der untersuchten Palliativstation auch Raum für Rituale, die den Mitarbeitenden helfen, mit der psychischen Belastung durch die fast tägliche Konfrontation mit dem Sterben umzugehen. So werden dort Zimmer mit Gongschlägen «gereinigt», nachdem jemand gestorben ist, und ein kleiner Altar mit Salzkristallen, Engeln und Kerzen erinnert an die Verstorbenen. Auch hier scheinen alternative und christliche Religiosität also miteinander einher zu gehen.
Die Datenerhebung hat die Nachwuchsforscherin abgeschlossen, bis Ende 2015 will sie ihre Arbeit einreichen. Mezgers bisherige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass trotz des neuen Fachgebietes «Spiritual Care» Religiosität eher eine marginale Rolle spielt in der Pflege von unheilbar Kranken an Spitälern. In «Nischen» der Institution findet sich jedoch durchaus Raum, um sowohl institutionalisierte als auch alternative Glaubenskonzepte zu leben.