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Ausgelöst durch ein schweres Erdbeben ereignete sich am 11. März 2011 in einem Atomkraftwerk im japanischen Fukushima eine Reihe von Unfällen. In der Folge wurde das umliegende Gebiet verstahlt, ungefähr 120'000 Menschen verliessen es permanent oder zeitweilig.
Wie sich diese Katastrophe auf die japanische Zivilgesellschaft ausgewirkt hat, ist Gegenstand eines Forschungsprojektes von Ayaka Löschke, Doktorandin am Universitären Forschungsschwerpunkt (UFSP) Asien und Europa. Zusammen mit zwei weiteren Doktorierenden gab sie an einer Festveranstaltung Einblicke in ihr Forschungsprojekt. Gastgeber des Abends waren die beiden Direktoren des UFSP, der Japanologe David Chiavacci und die Ethnologin Mareile Flitsch.
Seit den 1970er Jahren sind in Japan Bürgerbewegungen primär auf lokaler und regionaler Ebene aktiv. Auf die Entscheidungsprozesse der nationalen Politik nehmen sie dagegen kaum Einfluss. Löschke wollte herausfinden, ob dies nach Fukushima immer noch so ist. Dazu untersuchte sie im Rahmen einer Fallstudie eine der Bürgerbewegungen, die sich für Belange der Opfer der Atomkatastrophe einsetzen.
An die 50'000 Menschen verliessen nach dem Reaktorunfall ohne staatliche Hilfe das verstrahlte Gebiet. Die Regierung hatte nämlich kurzerhand den Grenzwert der radioaktiven Strahlung, der ein Mensch während eines Jahres ausgesetzt werden darf, um das Zwanzigfache erhöht. Der neue Grenzwert galt nun als Kriterium dafür, wer evakuiert werden muss und wer Anspruch auf eine Entschädigung hat.
Das rief die Bürgerbewegung auf den Plan: Durch intensive Lobbyarbeit versuchte sie, die Regierung dazu zu bewegen, Kompensationszahlungen auch an Einwohner zu leisten, die das Gebiet selbstständig verlassen hatten. Sie erzielte damit aber nur auf den ersten Blick einen vollen Erfolg, wie Löschke feststellte. Betrachtet man die Implementierung des Gesetzes, zeigt sich ein anderes Bild. Anstatt Kompensationszahlungen für die Geschädigten zu leisten, zahlte die Regierung nur jenen eine Prämie, die in die gemäss der neuen Kriterien «sichere» Region zurückkehrten. Die Bürgerbewegung, so Löschke, habe dadurch an Schwung und Rückhalt in der Bevölkerung verloren.
In ganz anderer Hinsicht beschäftigt sich Ulrich Brandenburg mit Japan. Der UFSP-Doktorand erforscht die Anfänge panasiatischer Kooperation zwischen Japanern und Muslimen und inwieweit diese im Bestreben wurzelt, sich gegen die imperialistischen Bedrohungen der westlichen Grossmächte zu behaupten.
Brandenburg zeichnet in seiner Arbeit nach, wie sich Anfang des 20. Jahrhunderts erste Beziehungen zwischen der panasiatischen Bewegung Japans und Muslimen des Nahen Ostens bildeten. Zu Beginn der Kontaktaufnahme zirkulierten vor allem in der nahöstlichen, aber auch in der europäischen Presse Meldungen, in Japan herrsche eine islamfreundliche Stimmung.
Es wurde sogar kolportiert, dass die japanische Regierung bereit sein könnte, den Islam als Staatsreligion einzuführen. In der Forschung hat sich die Ansicht etabliert, solche Spekulationen seien reines Wunschdenken gewesen, geboren aus der politischen Hilflosigkeit der Muslime. Ferner vermuten einige Forscher auch, Japan habe entsprechende Gerüchte gestreut, um die Unterstützung der Muslime zu gewinnen, führte Brandenburg aus.
Brandenburg konnte dagegen anhand vieler Quellen zeigen, wie muslimische Aktivisten das Bild eines islamfreundlichen Japans nutzten, um damit ganz unterschiedliche Ziele zu verfolgen. Gegenüber japanischen Gesprächspartnern etwa betonten sie explizit den Nutzen des Islams für die wirtschaftliche und politische Expansion Japans in Asien. Vielmehr als blosses Wunschdenken zu sein, so Brandenburg, wurde das Bild eines islamischen Japans strategisch eingesetzt.
Wie die Bewohner Hongkongs ihre kulturelle Identität konstruieren, war das dritte Thema des Abends. Die Entwicklung der Metropole, die bis 1997 eine britische Kolonie war, wird bis in die Gegenwart massgeblich von aussen bestimmt.
Die Doktorandin Helena Wu stellte heraus, dass gerade auch im Hinblick auf die als „Regenschirm-Revolution“ bekannt gewordene Protestbewegung, die sich 2014 gegen die Einflussnahme der chinesischen Zentralregierung formierte, die Frage nach der eigenen Identität eine besondere Relevanz gewinnt. Die Situation der Fremdbestimmung brachte Wu mit der Formulierung «no voice, no choice» auf den Punkt: die Bewohner Hongkongs hätten weder eine eigene Stimme noch eine Wahl. Ausgehend vom Befund einer solchen Sprachlosigkeit fokussiert Wu darauf, wie Gegenstände, Orte oder bestimmte historische Figuren zum Ausdruck einer genuin lokalen Eigenart Hongkongs werden können.
Als Beispiel nannte sie den Lion Rock, einen Hügel mit einer löwenähnlichen Felsformation – der Fels erinnert damit an das Wappen von Hongkong mit seinen zwei Löwen. Solche Dinge fasst Helena Wu als Träger «gedämpfter Stimmen» («muted voices») auf. In ihrer Forschungsarbeit geht sie der Frage nach, wie diese «gedämpften Stimmen» zu erklären seien. Dazu untersucht sie unter anderem, wie in der Literatur oder im Hong-Kong-Cinema Gegenstände, Orte und Personen zu Zeichen für Hongkong-typische Eigenheiten gemacht werden – und welche Rolle solche Zeichen im Streben nach einer eigenen kulturellen Identität und nach politischer Selbstbehauptung spielen.