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UZH News: Sie sind Mitorganisator der 4. Nationalen Tagung zur Schuldenberatung. Dabei wird die Frage diskutiert, ob in der Schweiz eine «Restschuldbefreiung» nötig ist. Was ist die Idee dahinter?
Isaak Meier: Gemäss Bundesamt für Statistik lebt in der Schweiz jede zehnte Person in einem Haushalt, der in den vergangenen zwölf Monaten die Steuern nicht bezahlen konnte. Fünf Prozent der Bevölkerung leben in Haushalten, die im selben Zeitraum betrieben wurden. Vor allem Menschen in prekären Lebenssituationen wie Arbeitslose oder Sozialhilfe-Abhängige sind bisweilen sehr stark verschuldet. Sie befinden sich oft in einer Situation, in der sie ihre Schulden ein Leben lang nicht mehr loswerden.
Wie kommt es dazu?
Wer als Privatperson in der Schweiz hoch verschuldet ist, hat verschiedene Möglichkeiten. Er kann mit laufenden Pfändungen leben, einen Nachlassvertag abschliessen, sich aussergerichtlich mit den Gläubigern einigen oder Privatkonkurs anmelden. Alle diese Varianten haben aber gewichtige Nachteile und kommen für viele Verschuldete gar nicht in Frage – etwa weil sie zu stark verschuldet sind. Oft geht es bei den drei erwähnten Verfahren vor allem darum, die Forderungen der Gläubiger zu erfüllen.
Eine aussergerichtliche Einigung ist erfahrungsgemäss nur möglich, wenn der Schuldner einen substantiellen Teil seiner Forderungen erfüllen kann. Dazu muss er sich sehr oft neu verschulden. Auch der Privatkonkurs verleitet den Schuldner dazu, den Neuanfang nicht oder nur mit halber Kraft anzustreben – weil er weiss, dass er wieder betrieben werden kann, sobald er neues Vermögen anhäuft. Das führt dazu, dass Verschuldete nach einem Privatkonkurs oft schwarz arbeiten. Für Gläubiger besteht somit oft keine Aussicht mehr, ihre Forderungen noch eintreiben zu können.
Sie legen als Alternative dazu einen Gesetzesentwurf für eine «Restschuldbefreiung» vor. Wie sieht der Vorschlag aus?
Ein Schuldner sollte die Möglichkeit erhalten, sich finanziell zu erholen. Gleichzeitig soll ein Anreiz bestehen, wieder auf legalem Wege ein Einkommen zu erzielen und von der Sozialhilfe los zu kommen. Das erhöht auch für die Gläubiger die Chance, ihr Geld wieder zu erhalten. Viele Länder in Europa haben deshalb in den vergangenen Jahren Verfahren zur so genannten Restschuldbefreiung eingeführt. Mein Vorschlag für die Schweiz gleicht den Verfahren in anderen Ländern. Nötig wäre dazu eine Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs.
Das Verfahren zur Restschuldbefreiung kann gemäss meinem Vorschlag erst eingeleitet werden, wenn die Gläubiger erfolglos versucht haben, ihre Forderungen mittels einer Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Dann müssen die Schuldner den noch pfändbaren Teil ihres Einkommens und Vermögens während dreier Jahre den Gläubigern zukommen lassen. Erst danach werden die restlichen Schulden erlassen, nach insgesamt vier bis fünf Jahren.
Zu einem Zeitpunkt also, da es für die Gläubiger ohnehin nichts mehr zu holen gibt?
Genau. Darum ist die Restschuldbefreiung eine Win-win-Situation für Schulder und Gläubiger. Zudem entlastet sie die Sozialhilfe. Und es zeigt sich weltweit, dass diese Lösung dazu führt, dass Unternehmer nach einer gescheiterten Geschäftsidee eher wieder eine Neugründung wagen. Das ist auch im Interesse der Gesamtgesellschaft. In den USA ist die Restschuldbefreiung auch Ausdruck einer anderen Kultur des Umgangs mit dem Scheitern. Aus meiner Sicht ist es auch ein Gebot der Menschenwürde: Jeder Mensch verdient in seinem Leben eine zweite Chance.
Werden sich die Betroffenen nicht noch sorgloser verschulden, wenn sie wissen, dass ihnen die Schulden am Ende erlassen werden?
Diese Befürchtung hat sich in keinem Staat, der eine Restschuldbefreiung eingeführt hat, bestätigt. Vom Schuldner wird ja ein wesentlicher Beitrag verlangt, und das Verfahren soll an strenge Voraussetzungen gekoppelt sein. Wer etwa angesichts seiner Vermögensverhältnisse unangemessene Verbindlichkeiten eingegangen ist, durch falsche Angaben über seine finanzielle Lage Kredite erwirkt hat oder in den letzten zehn Jahren bereits von Restschulden befreit wurde, soll davon ausgeschlossen werden.
Sie sind Mitorganisator der 4. Nationalen Tagung zur Schuldenberatung. Dabei wird sich ein Podiumsgespräch der Frage widmen, inwiefern die Idee einer Restschuldbefreiung in der Schweiz politisch mehrheitsfähig ist. Wie schätzen Sie das ein?
National- und Ständerat haben es leider in der Revision des Nachlassverfahrensrechts 2013 verpasst, die Einführung einer Restschuldbefreiung zu prüfen – obwohl eine Expertengruppe dies vorgeschlagen hatte. Ich würde mir natürlich wünschen, dass mein Gesetzesvorschlag auf der politischen Ebene geprüft wird. Die Tagung ist ein erster Schritt zu einer öffentlichen Debatte des Themas.