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Zürich zählt nur gerade 7000 Einwohner, als Gessner 1516 in ärmlichen Verhältnissen geboren wird. Aber die kleine Stadt an der Limmat hat dank der Reformation und der Person Huldrych Zwinglis eine Ausstrahlung, die über die Landesgrenzen hinausreicht. Zwingli, der neben der Theologie und dem humanistischen Erbe der Renaissance auch die Naturwissenschaften hochhält, wird theologisch und moralisch zu einer prägenden Figur für den wissbegierigen Konrad Gessner, erläuterte der Historiker Urs Leu am vergangenen Samstag in seinem Referat anlässlich des Orelli-Tages (vgl. Kasten).
Gessner begibt sich 1533 auf Bildungswanderschaft, studiert in der Schweiz, Deutschland und Frankreich Griechisch, Latein und Hebräisch, später auch Medizin. Er ist im Laufe seines Lebens unter anderem als Professor für Griechisch und für Naturwissenschaften sowie als Stadtarzt von Zürich tätig.
Bekanntheit erlangt Gessner vor allem mit seinen Publikationen. Mit der «Bibliotheca universalis» publiziert er 1545 erstmals eine Übersicht aller bis zu diesem Zeitpunkt bekannten hebräischen, griechischen und lateinischen Werke. Er legt damit die Grundlage für das moderne Bibliografieren.
Zu einem Mitbegründer der modernen Zoologie wird Gessner mit der «Historia animalium». Darin bemüht er sich um eine einheitliche Namensgebung der Tiere und legt eine Vielzahl zum Teil selbst erstellter Tierzeichnungen vor. Das Werk ist umfassend und das Zeichentalent von Gessner aussergewöhnlich. «Das Buch stellte alles bisher Bekannte an Tierdarstellungen in den Schatten», so Historiker Leu.
Das dritte der bedeutendsten Werke von Konrad Gessner widmet sich der Botanik. In der erst nach seiner Lebzeit publizierten «Historia plantarum» versammelt er über 1000 Zeichnungen – auch diese wieder von bisher ungekannter Genauigkeit. Der Naturbeobachter Gessner pflegt auch drei private Pflanzengärten. Sein Vorstoss zur Gründung eines Botanischen Gartens wird von der Stadt Zürich indes nicht realisiert.
Ganz im Geiste der Renaissance verehrt Konrad Gessner das Wissen der Antike. So studiert er intensiv die Werke von Aristoteles, den er als «Gott der Gelehrten» bezeichnet. Gessner will sich aber nicht nur auf die tradierten Erkenntnisse verlassen, sondern selber die Natur erkunden. Mit diesem empirischen Vorgehen gelingt es ihm auch, die Natur zu entmythologisieren und den Menschen die Angst vor ihr zu nehmen. So erklärt er etwa die alte Sage, wonach sich der Geist von Pontius Pilatus in dem kleinen See auf dem Pilatusberg bei Luzern versteckt halte, nach eigener Inspektion für ein Märchen.
Gessner ist aber nicht nur Wissenschaftler, sondern auch gläubiger Christ und überzeugt: Die prächtige, den Menschen erfreuende Natur legt Zeugnis ab von der Existenz des Schöpfers. Die höchste Wissenschaft ist für Gessner entsprechend die Theologie. Er studiert das Fach allerdings nicht, sondern konzentriert sich auf die Natur- und Kulturwissenschaften. Neben der Botanik, Zoologie und den klassischen Sprachen leistet er auch Beiträge zur Paläontologie, Geologie und Pharmazie.
1554 wird Gessner zudem Stadtarzt von Zürich. Er pflegt unter anderem den an Pest erkrankten Zwingli-Nachfolger Heinrich Bullinger. Dieser überlebt die Krankheit, Konrad Gessner aber erliegt ihr kurze Zeit später 49-jährig. Er ist inzwischen ein bekannter Gelehrter weit über die Grenzen der Schweiz hinaus.
«Heute droht Konrad Gessner, der Leonardo da Vinci der Schweiz, in Vergessenheit zu geraten», sagte Historiker Urs Leu in seinem Referat. Leu ist Leiter der Abteilung Alte Drucke an der Zentralbibliothek Zürich und beschäftigt sich in seiner Forschung seit Jahrzehnten mit Gessner. Der Name Konrad Gessner sei heute vielen nicht mehr geläufig. Auch von der 50-Franken-Banknote, die er bis ins Jahr 2000 zierte, ist er verschwunden.
Dem drohenden Vergessen sollen nicht zuletzt die in Zürich geplanten Aktivitäten zu Gessners 500. Geburtstag im kommenden Jahr entgegenwirken. Vorgesehen sind unter anderem Ausstellungen im Landesmuseum und im Zoologischen Museum, Führungen im Botanischen Garten und ein Kongress am Schweizerischen Institut für Reformationsgeschichte der UZH. Eine Website wird ab Sommer 2015 über die Aktivitäten informieren. Sinnvoll wäre zudem gemäss Urs Leu, Gessners Werke mindestens zum Teil aus dem Lateinischen in die deutsche Sprache zu übersetzen.