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Es war eine lange Reise. Am 23. März 1866 schiffte sich Arnold Dumelin in Marseille ein. Nach Zwischenhalten in Sumatra, Hong Kong und Shanghai kam er 52 Tage später in Yokohama an. Die Seiden-Export-Firma Thorel, Ziegler & Co. hatte den 22-jährigen Kaufmann aus Frauenfeld hierher geschickt. Er wusste bei seiner Ankunft noch nicht, dass er ganze 32 Jahre in der Hafenstadt südlich von Tokyo bleiben würde.
Die ersten Jahre war er als Seideninspektor und Händler für Thorel, Ziegler & Co und später für das konkurrierende Ostschweizer Textilunternehmen Siber, Brennwald & Co tätig.
Japan befand sich in der Meji-Periode, einer Zeit des Umbruchs: Das Feudalsystem wurde abgeschafft, das Land öffnete sich zunehmend für den Handeln mit anderen Staaten. Die Schweiz konnte 1864 ein Handels- und Freundschaftsabkommen mit Japan abschliessen – zu sehr vorteilhaften Bedingungen für die Schweizer Wirtschaft. In der Folge siedelten zahlreiche Schweizer Bürger nach Yokohama. Sie waren insbesondere im Handel mit Seide und Textilien, aber auch im Uhrengeschäft tätig.
Arnold Dumelin wurde bald Teilinhaber bei Siber, Brennwald & Co. Er erwies sich aber nicht nur als cleverer Geschäftsmann, sondern auch als geschickter Verhandler und Vermittler. So wurde auch der Bundesrat auf ihn aufmerksam und ernannte ihn erst zum Vizekonsul, dann zum Generalkonsul der Schweiz in Japan. Letzteres Amt hatte er von 1888 bis 1893 inne. Er war als Vermittler zwischen Bürger und Staat wie auch zwischen Geschäftsleuten tätig – etwa als Eintreiber von Geschäftsschulden oder Vollstrecker von Testamenten.
Als Arnold Dumelin 1898 nach Frauenfeld zurückkehrte, nahm er auch Dokumente im Umfang von rund 1000 Seiten mit. Sie lagerten seither im Keller des Hauses von Dumelin beziehungsweise bei seinen Nachkommen. Anfang 2015 entdeckte Hans Bjarne Thomsen, Professor für Ostasiatische Kunstgeschichte an der UZH, die Dokumente im Keller von Max Müller, dem Enkel von Arnold Dumelin.
«Seit 100 Jahren hat diese Papiere wahrscheinlich niemand mehr angeschaut», sagt Hans Thomsen, der sich seit mehreren Jahren der Erforschung der Beziehung zwischen der Schweiz und Japan widmet. Für ihn sind die Dokumente ein seltener Glücksfall. Im Gegensatz zu den Dokumenten von Botschaften gelangten die Papiere der Konsulate früher nicht automatisch ins Schweizerische Bundesarchiv. «Üblicherweise entsorgten die Nachkommen der Konsule diese Dokumente irgendwann», sagt Thomsen.
Er verspricht sich von den Dokumenten ein besseres Verständnis der Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Japan im 19. Jahrhundert. Zudem soll der Nachlass von Dumelin helfen, die Leben der schweizerischen wie auch japanischen Geschäftsmänner im damaligen Yokohama nachzuzeichnen.
Der Nachlass von Arnold Dumelin sei umso wichtiger, als vergleichbare Dokumente aus anderen europäischen Konsulaten im Japan des 19. Jahrhundert wie auch aus anderen Schweizer Konsulaten bisher nicht aufgetaucht sind.
Thomsen ist deshalb überzeugt, dass sich nicht nur Schweizer, sondern auch andere europäische sowie japanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon bald mit dem Nachlass von Dumelin beschäftigen werden. Er selber wird sich mit mehreren Doktorierenden an die Auswertung machen.
Die Grundlage für die wissenschaftliche Aufarbeitung wurde gestern Donnerstag in Bern gelegt, als Dumelin-Enkel Max Müller die Dokumente dem Schweizerischen Bundesarchiv übergab. Dort sollen die 1000 Seiten jetzt digitalisiert, der Forschung zur Verfügung gestellt und teilweise auf der Datenbank Dodis (Diplomatische Dokumente der Schweiz) online zugänglich gemacht werden.