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Landesrecht vor Völkerrecht? Erhöhung der Anzahl Unterschriften für Volksinitiativen? Die Schweizerische Demokratie wird immer wieder kontrovers diskutiert. Auch rund 60 Forschende von 11 Hochschulen fühlen der Demokratie den Puls – im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunktes «Herausforderungen für die Demokratie im 21. Jahrhundert» (NCCR Democracy). Der 2005 gestartete Schwerpunkt ist an der Universität Zürich beheimatet. Er befindet sich in der dritten und letzten Phase, die noch bis 2017 dauert. Zeit für eine Standortbestimmung.
Die Politik- und Kommunikationswissenschaftler sehen die Demokratie vor allem vor zwei grosse Herausforderungen gestellt: Die Globalisierung und die «Mediatisierung» – die verstärkte Ausrichtung der Politik an der Medienlogik.
Das Konzept der Demokratie ist traditionell auf Nationalstaaten ausgerichtet. In Folge der Globalisierung werden politische Entscheidungen aber zunehmend auf anderen Ebenen getroffen: Internationale Gremien wie die EU, transnationale Gremien der Finanzmarktaufsicht und regionale Gremien erhalten mehr Kompetenzen. Ein Beispiel für ein regionales Gremium ist die Metropolitankonferenz Zürich, in der Kantone und Gemeinden aus dem Grossraum Zürich zu übergreifenden Themen wie dem öffentlichen Verkehr debattieren und auch Beschlüsse fassen.
Das Problem: Nicht all diese Gremien sind vom Volk gewählt. Entsprechend können sie von den Bürgerinnen und Bürgern auch nicht direkt zur Rechenschaft gezogen werden – sie haben keine demokratische Legitimation.
Wie die Legimitation von internationalen Gremien erhöht werden könnte, untersuchte ein Projekt unter der Co-Leitung von Francis Cheneval, Professor für Politische Philosophie an der UZH.
Die Forschenden argumentieren, dass politische Prozesse, Regeln und Institutionen auf internationaler Ebene so ausgestaltet sein sollten, dass der Existenz vieler Völker – etwa in der EU – Rechnung getragen wird. Nicht ein «demos», sondern viele «demoi» seien zu berücksichtigen.
Die Untersuchungen zeigen, dass die EU-Institutionen das Prinzip der «Demoikratie» gut umsetzen: Sowohl Bürger wie Staatsvölker sind in der Europäischen Union repräsentiert. Die Bürgerinnen und Bürger haben Anspruch auf den Schutz der Menschenrechte und besitzen politische Rechte sowohl als Mitglieder der Staaten wie auch als Unionsbürger. Als solche sind sie auch im Europäischen Parlament repräsentiert. Die Staatsvölker sind als Kollektive im Europäischen Rat vertreten.
Hingegen kontrollieren die Mitgliedstaaten ihre Regierungschefs und Minister zum Teil ungenügend, wenn diese auf der EU-Ebene ihr Land vertreten und Entscheidungen treffen.
Die beste Möglichkeit, das Demokratiedefizit der EU zu beheben, ist gemäss den Forschenden, die auf der EU-Ebene getroffenen Entscheidungen stärker in den demokratischen Institutionen der Mitgliedsstaaten zu verankern. Die nationalen Parlamente beispielsweise sollten mehr mitbestimmen können, wenn es darum geht, gesamteuropäische Regeln zu entwickeln.
Eine weitere wichtige Voraussetzung für die Schaffung von demokratischen Strukturen in der EU ist gemäss den NCCR-Forschenden die Herausbildung einer europäischen Identität und einer europäischen Öffentlichkeit. Das Projekt Konzepte europäischer Identität zeigt, dass dies bisher noch nicht der Fall ist beziehungsweise eine europäische Öffentlichkeit sich nur in ihrer gemeinsamen Anti-EU-Haltung äussert.
Wenn Entscheidungen von der nationalen auf andere Ebenen verlagert werden, kommt den Medien eine umso wichtigere Rolle zu, die fehlende demokratische Kontrolle zu kompensieren. Die Medien bieten ein Forum, über das politische Akteure von der Öffentlichkeit zur Rechenschaft gezogen werden können. Dieses Ergebnis bestätigen gleich drei NCCR-Projekte – zu internationalen Klimaverhandlungen, Netzwerken von Regulierungsbehörden und Governance-Netzwerken in Agglomerationen.
Die Medien nehmen in allen Demokratien eine immer bedeutendere Rolle in der Politik ein. Sie sind zu einem unabhängigen Akteur geworden, der in Eigenregie und mit einer eigenen Logik agiert. Im NCCR Democracy wurde untersucht, wie sich die politische Berichterstattung verändert hat.
Die Ergebnisse sind ambivalent, wie das Projekt Mediatisierung der politischen Realität zeigt: Einerseits ist ein Trend zu objektiver, analytischer und gut fundierter Berichterstattung auszumachen, was für die Demokratie sehr wünschenswert ist. Andererseits besteht ein Trend zu mehr Emotionalität, Sensation und Personalisierung.
Interessanterweise nehmen beide Trends im Zeitverlauf zu, allerdings mit grossen Unterschieden zwischen den Ländern: In Italien etwa sei die Objektivität der Medienberichterstattung gering und der Sensationalismus stark ausgeprägt. Dies widerspiegle die polarisierte und emotionale politische Kultur Italiens. In den Schweizer Medien demgegenüber sei die Objektivität hoch (jedoch tiefer als bei amerikanischen und deutschen Medien) und der Sensationalismus vergleichsweise tief – Abbild einer rationaleren und konsensualen politischen Kommunikationskultur.
Generell aber passen sich Politikerinnen und Politiker den Zielen und Anforderungen der Medien zunehmend an – insbesondere den privaten und kommerziell orientierten Medien. In der Schweiz, so stellen die Forschenden eines Projektes fest, bedienen sich Politikerinnen und Politiker am Rande des Parteienspektrums deutlich häufiger publikumswirksamer Strategien als solche von Mitteparteien.
Das könnte zu einer stärker populistisch ausgerichteten politischen Kommunikation und Medienberichterstattung führen. Es sei deshalb wichtig, die Vertreter von Politik und Medien an ihre Verantwortung zu erinnern, den Erfordernissen der Demokratie zu dienen – wozu eine gut und sachlich informierte Öffentlichkeit gehört.
In der jetzt laufenden dritten und letzten Forschungsphase baut der NCCR Democracy auf die bisherigen Forschungserkenntnisse auf. Untersucht wird, wie zwei Entwicklungen miteinander in Verbindung stehen: Die Verlagerung der Entscheidungsfindung weg vom Nationalstaat und der zunehmende Populismus in etablierten Demokratien.