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Psychologie

Virtuelles Flirten

Ein heimlicher Kontakt, geschriebene Küsse, ein Seitensprung – wann endet Treue, wann beginnt Untreue? Wie sich Paarbeziehungen durch die neuen Medien verändern, erläuterte Professor Guy Bodenmann an einer Fachtagung für Psychologen und Psychiater an der UZH.
Marita Fuchs
Unterwegs im Netz: Die intensive Nutzung des Internets geht auf Kosten der Partnerschaft, sagt Psychologe Guy Bodenmann.

Immer mehr Menschen suchen nach Freundschaft, Sex und Liebe im Internet. Allein in der Schweiz haben 5,1 Millionen Menschen einen Internetanschluss. Bei einer Nutzungsdauer von einer Stunde wird ein Drittel dieser Zeit damit verbracht, soziale Kontakte zu knüpfen, ein Teil davon ist erotischer Art. «Diese interaktiven Möglichkeiten des Netzes erlauben neuartige Möglichkeiten der Partnerwahl und Paarbildung», sagte UZH-Psychologieprofessor Guy Bodenmann am 22. August an einer Tagung zum Thema Familien und neue Medien.

Guy Bodenmann ist Professor für Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien. In diesem Zusammenhang untersucht er die Auswirkungen der Internetnutzung auf Partnerschaft und Familie.

In Rollen schlüpfen

«Tatsache ist, dass die intensive Nutzung des Internets auf Kosten der Partnerschaft geht», sagt Bodenmann. Das zeigen die Nutzungszahlen: 10 Prozent ihrer Freizeit sind Schweizer Männer online, 6,5 Prozent die Frauen. Oft weiss der Partner oder die Partnerin nicht, was der andere im Internet macht: Besucht er oder sie eine Pornoseite oder eine Dating-Plattform? Der Reiz des Internets besteht darin, dass jeder in eine Rolle schlüpfen kann, die er im realen Leben gar nicht spielt. So kann der treusorgende Ehemann bei einer Internetbekanntschaft den abenteuerlustigen Lebemann mimen, ohne dass seine Frau etwas davon mitbekommt.

Verlockende Courtship-Kommunikation

In diesem Zusammenhang sei auch die sprachliche Seite der Partnerwerbung interessant, sagt Bodenmann. UZH-Linguistikprofessorin Christa Dürscheid untersuche zurzeit in einer Studie das Sprachverhalten von Paaren bei Partnerbörsen. Sie habe festgestellt, dass Kontakt im Internet schneller hergestellt werde als im «realen» Leben, rasch werden intime Details ausgetauscht, man spreche sich mit Du an, mache sich Komplimente und verabschiede sich zum Beispiel mit: «Küsschen, Deine Inge», obwohl man sich noch nie gesehen habe.

Diese «Nähesprachlichkeit» verführe auch dazu, von sich selbst ein positives und realitätsfernes Bild zu zeichnen, vor allem, wenn noch kein Foto aufgeschaltet wurde: «Ich bin attraktiv, lebenslustig und mit mir kann man Pferde stehlen», schreibt der biedere Büromensch. Schnell wird auch eine Gemeinsamkeit herbeigeredet: «Du spürst, was ich denke…»

Das Flirten im Internet wird also leicht gemacht. Plattformen wie «Trueflirt.de» oder «Ashley Madison» rufen explizit zum schnellen sexuellen Abenteuer auf. Besucht werden diese Plattformen hauptsächlich von Männern. 85 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen nutzen das Internet für sexuelle Aktivitäten.

Wann fängt Untreue an?

Will man herausfinden, wie sich diese Möglichkeiten auf die Partnerschaft auswirken, müsse man sich mit dem Begriff der Treue auseinandersetzen, sagt Bodenmann. Ist der lockere, sexuell angehauchte Chat mit einer fremden Frau oder einem Mann schon Untreue? Wann fängt Untreue überhaupt an? In Befragungen wird Treue von 90 Prozent der Paare als Grundvoraussetzung für eine gelingende Partnerschaft angesehen. Im Gegensatz dazu geben aber laut internationalen Studien etwa 40 bis 76 Prozent der Befragten an, im Laufe ihres Lebens ihrem Partner einmal untreu gewesen zu sein. Männer und Frauen sind heute in etwa gleich häufig untreu.

Auf Distanz zum Partner

Das Internet bietet neue Möglichkeiten zur Untreue, deshalb spricht Bodenmann auch von Online-Untreue. Eine Affäre sei durch das Internet sehr viel leichter zu organisieren. Untreue im Freundeskreis oder unter Kollegen kann sehr leicht auffliegen, in Chatrooms, in Partnerbörsen oder in Sexportalen hingegen kann man virtuelle Affären haben, ohne dass jemand es bemerkt. Neben der rein virtuellen Affäre im Netz gibt es die Variante, wonach man sich im Internet kennenlernt, näher kommt und schliesslich zu einem realen Treffen verabredet. Beide Szenarien bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Partnerschaft.

Schleichende Veränderungen

Mit der Online-Untreue einher gehe eine emotionale Untreue zum Partner, es folge eine innere Distanzierung zu ihm, die Geheimhaltung verstosse zudem gegen die Vereinbarungen und generell gültigen Konventionen einer Zweierbeziehung, sagt Bodenmann. Auch werde weniger Zeit mit dem eigentlichen Partner verbracht, es gebe eine geringere sexuelle Intimität, und es finde eine schleichende persönliche Veränderung statt. Fazit: 20 Prozent der Paare trennen sich nach Bekanntwerden einer Online-Affäre.

Das Internet und sein Einfluss auf Familie und Partnerschaft sei auch für die Forschung eine neue Herausforderung, bilanziert Bodenmann. Die Online-Untreue sei ein neues Phänomen, das die bisherigen Definitionen von Treue revolutioniere.