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Beispiel 1: Palast, Harem und Gärten. Die Miniatur, die um 1765 in Nordindien entstand, präsentiert in einer Panoramasicht nicht nur prächtige Gebäude, sondern erlaubt auch einen Blick in die Innenhöfe und stellt zugleich das ganze Umland mit seinen Flüssen und Hügeln in aussergewöhnlichem Detailreichtum dar. Monica Juneja sieht das Bild als eine Antwort auf die flämische europäische Malerei – mit einem auffälligen Unterschied: «Perspektivisch ist es komplett anders organisiert, es ist nicht von einem Beobachtungspunkt her angelegt, sondern kombiniert verschiedene Blickwinkel, Szenen, Innen- und Aussenansichten.»
Beispiel 2: Nächtliche Antilopenjagd. Fast wie eine Collage kombiniert auch dieses Bild Mir Kalan Khans von 1734/35 ganz unterschiedliche Ebenen und Szenen: links die eigentliche Antilopenjagd mit Pfeil und Bogen, rechts eine Personengruppe, die sich zur Falkenjagd versammelt, und hinter den Hügeln eine Prozession mit Standarten. Beim Betrachten kann das Auge frei über das Bild wandern. Das Gemälde lässt sich nicht sofort erfassen, es fordert Zeit ein, um verstanden zu werden. «Diese Darstellungsweise entsprach dem visuellen Verständnis der regionalen Kultur», so Juneja. Denn das visuelle Verstehen funktioniere je nach Kultur unterschiedlich. Die europäische kunstgeschichtliche Literatur aber habe das Bild als «irrational» und «eigenartig» bewertet.
Solche kulturellen Vorurteile meint die gebürtige Inderin, die heute in Deutschland lebt, wenn sie von wissenschaftlichem Kolonialismus spricht – auf den als Reaktion viele Länder mit einem antikolonialistischen Nationalismus reagierten. Juneja stellt diese eurozentrischen Werturteile zur Disposition. Ein Werk, das nicht auf einem einzigen Perspektivpunkt aufbaue, könne denselben Wert haben wie eines, das dieser Konvention entspreche. Als Kronzeuge dient ihr die Entwicklung in Europa selbst, wo anfangs des 20. Jahrhunderts der Kubismus und der Surrealismus die Bedeutung der Perspektive und andere althergebrachten Werte der Renaissance aus den Angeln hoben.
Die Beispiele zeigen, wie anschaulich Monica Juneja dank ihrer Verankerung in ganz unterschiedlichen Kulturräumen in ihren Vorträgen argumentieren kann. Sie studierte in Delhi Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft und an der Sorbonne Kunstgeschichte, promovierte 1985 in Paris, lehrte in Indien, den USA, Österreich und Deutschland, seit 2009 ist sie Professorin für globale Kunstgeschichte am Exzellenzcluster «Asien und Europa im globalen Kontext» an der Universität Heidelberg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Praktiken der visuellen Repräsentation, Aspekte vergleichender und transkultureller Geschichte, religiöse Konversion sowie geschlechterspezifische und politische Ikonographie.
«Wenn man akzeptiert, dass sich Kulturen durch ihre Unterschiede auszeichnen, sollte man sie nicht hierarchisch ordnen», argumentiert sie, «es lässt sich nicht rechtfertigen, eine Kultur zur Norm zu erheben und alle anderen als unzulängliche Deviation abzuwerten.» Die Unterschiede selbst müssten zunächst historisiert werden. Der transkulturelle Ansatz sucht nach den Verbindungen zu anderen Kulturen. Er erkennt, dass Räume nicht geschlossen sind, dass sich eine Kultur nur durch den Austausch mit anderen formt und weiterentwickelt. Im Rahmen dieser Beziehungsgeschichte werden Differenzen stets ausgehandelt und neu definiert. Dabei braucht es sich nicht durchwegs um Assimilation zu handeln, es kann auch um Ablehnung oder Abschottung gehen. Da gebe es eine ganze Palette von Möglichkeiten, resümiert Juneja, für die in der Kunstgeschichte bislang noch keine Begrifflichkeiten gefunden worden seien.
Monica Junejas transkultureller Ansatz betrachtet die Kunst nicht mehr als einen Gegenstand, sondern schliesst die Forschungsgeschichte mit ihren Deutungen von Kulturen stets mit ein. Und da grenzt sich die Professorin auch entschieden von einer World Art History nach US-amerikanischem Muster ab. Ihr Ansatz ist nicht enzyklopädisch, will nicht die ganze Welt abdecken und sie fein säuberlich nach Ländern geordnet etikettieren.
Wie Junejas erste Heinrich Wölfflin Lectures (siehe Kasten) zeigen, eröffnen sich damit neue Blickwinkel für die Forschung. Ein Ansatzpunkt gilt den Museen («wo kann man denn Kunstwerke nebeneinander sehen, die aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt stammen, aber im Austausch untereinander entstanden sind?»). Ein weiterer den institutionellen Hürden an den Universitäten. In der Lehre brauche es viel mehr Zusammenarbeit, postuliert Juneja. Sie arbeite in ihren Veranstaltungen jeweils mit den Kolleginnen und Kollegen der japanischen Kunstgeschichte zusammen, was neue Erkenntnisse ermögliche. Sie schliesst das Gespräch mit einer etwas provokativen Frage: «Wieso ermöglicht man es nicht, dass zwei Personen zusammen eine kunsthistorische Dissertation schreiben?»