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Broadcasting Swissness

Klingende Schweiz

Sie sollte eine klingende Visitenkarte der Schweiz sein: Die Volksmusiksammlung, die der Musikwissenschaftler Fritz Dür in den 1950er- und 1960er-Jahren für das Schweizer Auslandradio anlegte. Der UZH-Kulturanthropologe Johannes Müske erforscht mit Kollegen aus Basel und Luzern den musikalischen Schatz. 
Roger Nickl
Geht der Frage nach, wie mit Hilfe von Volksmusik ein bestimmtes Image der Schweiz konstruiert wurde: Kulturanthropologe Johannes Müske.

Die sanft fauchende Hammondorgel legt den Teppich, darüber dudeln munter Schweizerörgeli und Klarinetten. Ganz aufgeräumt ist die Stimmung in Walter Wilds «Trotzköpfchen». (Dirket-Link zum SRF-Audioplayer)

Das Stück ist Teil einer aus 8000 Tonbändern bestehenden Volksmusik-Sammlung, die der Musikwissenschaftler Fritz Dür in den 1950er- und 1960er-Jahren im Auftrag des damaligen Schweizerischen Kurzwellendienstes (KWD, später Schweizer Radio International) angelegt hat. Die Sammlung sollte in Zeiten des Kalten Krieges eine klingende Visitenkarte der Schweiz sein. Noch bis 1987 gingen Stücke der Sammlung über den Äther dann verschwand sie in den Archiven und ging allmählich vergessen. Bis sie schliesslich vor kurzem im 7. Untergeschoss der Berner Nationalbibliothek wiederentdeckt wurde.

Nun untersucht der UZH-Kulturanthropologe Johannes Müske den volksmusikalischen Schatz. «Broadcasting Swissness: Musikalische Praktiken, institutionelle Kontexte und Rezeption von ‹Volksmusik› – zur klingenden Konstruktion von ‹Swissness› im Radio» heisst das Projekt, das er gemeinsam mit Forschenden der Hochschule Luzern und der Universität Basel aufgegleist hat, und das vom Schweizerischen Nationalfonds und dem Verein Memoriav, der sich der Erhaltung von audiovisuellen Kulturgütern widmet, unterstützt wird. Geleitet wird es von Thomas Hengartner, Professor am Institut für Populäre Kulturen der UZH.

Mit Ländlern Propaganda machen

«Broadcasting Swissness» untersucht die Frage, wie mit Hilfe von Volksmusik ein bestimmtes Image der Schweiz konstruiert und vermittelt wurde. Und das Projekt beleuchtet, wie sich dieses Schweizbild im Laufe der Zeit wandelt. Müskes Kollegen in Luzern tasten sich dazu musikwissenschaftlich an die damalige Volksmusikszene der Schweiz und an das Repertoire der Sammlung Dür heran. Und die Basler Forscher untersuchen, wie dieses Repertoire im Sender, der sich als «Stimme der Schweiz» verstand, programmiert und von den Hörerinnen und Hörern rezipiert wurde.

Johannes Müske selbst beschäftigt sich mit Fragen der Überlieferung und dem Problem, wie und vor welchen politischen und institutionellen Hintergründen die Sammlung entstanden ist. Gerade in dieser Hinsicht zeigt sich eine enge Verflechtung von Musiksammlern, Radio und Kulturpolitik.

Manifestiert hat sich diese Verflechtung bereits früher, in den 1930er-Jahren. Denn das Programm der 1931 gegründeten Schweizer Rundspruchgesellschaft (SRG) stand zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs ganz im Zeichen der «geistigen Landesverteidigung». Die SRG-Radiostudios in allen Landesteilen begannen in den späten 1930er- und den 1940er-Jahren damit, Lieder und Ländler aufzunehmen und zu senden. Auch die Musik sollte dazu beitragen, die Schweizerinnen und Schweizer zu einen und in ihrem Widerstandswillen zu stärken; der Kurzwellendienst, der ab 1940 regelmässig sendete, war Teil der Propaganda.

Kalter Wellenkrieg

Fritz Dür war in den 1950er- und in den 1960er-Jahren Leiter der Sonothek des Schweizerischen Kurzwellendienstes. In dieser Funktion erhielt er den Auftrag, eine grosse Auswahl an Schweizer Musik zusammenzustellen. Er verfügte dazu über eine ganz neue Technologie: das Tonband. Dür sammelte bestehende Aufnahmen der SRG-Studios in den Landesteilen zusammen und kopierte sie auf Band.

Dabei schien er gewisse Freiheiten zu haben, denn neben den stereotypischen Jodel- oder Schwyzerörgeli-Stücken finden sich auch klassische Musik und Bearbeitungen für Unterhaltungsorchester in seiner Sammlung. Zudem konnte er – mit mobiler Tonbandtechnik – Musik, die in Wirtshäusern und an Festen selbst in den abgelegensten Bergtälern gespielt wurde, für seine Sammlung live aufnehmen.

Dür schuf so einen eigentlichen Kanon der Schweizer Volks- und Unterhaltungsmusik, der schliesslich über den Äther in die Welt ging. Der kulturpolitische Hintergrund dieser Volksmusik-Sendungen war im Vergleich zur Zeit der «geistigen Landesverteidigung» jedoch ein ganz anderer: Im «Kalten Krieg» ging es nicht mehr nur darum, sich nach innen zu einen, sondern sich nach aussen darzustellen. «Die SRG wollte mit Sendungen in die ‹Dritte Welt› – sozusagen auf einem Schauplatz des kalten Wellenkriegs – präsent sein», sagt Johannes Müske. Bemerkenswert sei, dass der Bund die Arbeit des KWD als so wichtig erachtete, dass er ab 1964 den Sender finanziell unterstützte.

Ausstellung mit Hörproben

Was aber waren – neben einem attraktiven Musikprogramm für das In- und Ausland – die genauen Motive für das Radio, in den 1950er-Jahren ein grosses volksmusikalisches Repertoire anzulegen? Und nach welchen Kriterien haben Fritz Dür und seine Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter den Kanon zusammengestellt? Viele Fragen im Zusammenhang mit der Sammlung Dür sind offen. Auf sie möchten Johannes Müske und seine Forschungspartner in den nächsten drei Jahren, in denen ihr Projekt «Broadcasting Swissness» läuft, über Archivstudien, Interviews mit KWD-Mitarbeitern und die Auswertung der Sammlung, Antworten finden.

Eines ist für Müske allerdings jetzt bereits klar: Neben den gängigen wissenschaftlichen Aufsätzen und Tagungen, an denen die Forschungsergebnisse präsentiert werden, soll die Musik der Sammlung Dür auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Geplant ist etwa eine Ausstellung mit Hörproben.