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Abschliessende Antworten auf diese Frage könne er nicht liefern, stellte Martin Meyer, ZUNIV-Assistenzprofessor für Plastizitäts- und Lernforschung des alternden Gehirns an der Universität Zürich, gleich zu Beginn klar. Zu sehr stecke die Erforschung der Veränderungen des Gehirns über die Lebensspanne noch in den Kinderschuhen. Neben dem Aufbau und der Funktion des Gehirns gelte es noch zahlreiche andere Faktoren – vom kulturellen Hintergrund über die Lebenserfahrung bis hin zu genetischen Einflüssen und der Ernährung – zu beachten.
Lange hielt sich die Vorstellung, dass der Mensch den Höhepunkt der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit im mittleren Erwachsenenalter erreiche und ab dann ein steiler Abbau von Gehirnstruktur und -funktion stattfände. «Der Grund warum wir hier sind, ist doch, dass wir alle das nicht glauben!», leitete Meyer seinen ebenso unterhaltsamen wie informativen Vortrag ein.
Dass jedoch auch im gesunden Gehirn mit dem Alter Veränderungen stattfinden, ist unbestritten. Dies muss jedoch längst nicht notwendigerweise mit einer Verringerung der Leistung einhergehen. Meyer berichtete von eindrücklichen Gehirnaufnahmen, die massive strukturelle Veränderungen zeigten wie beispielsweise Infarkte oder einen starken Rückgang der Dichte an Nervenzellen. Die entsprechenden Personen beherrschten jedoch mehrere Sprachen, spielten Musikinstrumente und hatten eine generelle, sehr gute kognitive Fitness. Das Gehirn beginnt vermutlich sich im Alter neu zu organisieren und neue Netzwerke zu knüpfen, um quasi mit weniger verfügbarer «Rechenkapazität» dennoch ein ähnlich gutes Ergebnis wie in jüngeren Jahren zu erzielen.
Wir lernen von Geburt an über die ganze Lebensspanne hinweg. Lernen ist immer mit unmittelbaren Rückwirkungen auf die Struktur des Gehirns verbunden. «Wenn Sie heute Abend nach Hause gehen, wird sich Ihr Gehirn aufgrund des Vortrags verändert haben», erklärte Meyer. Die langfristigen Anpassungen könne man beispielsweise sehr gut beim Erlernen eines Musikinstruments beobachten.
Die Formbarkeit des Gehirns hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Suchtverhalten oder ein Tinnitus könnten nicht entstehen, wenn das Gehirn nicht plastisch wäre. Zugrunde liegt das Prinzip, dass Nervenzellen, die gleichzeitig aktiviert werden, sich miteinander vernetzen: «fire together – wire together». So funktioniert jegliches Lernen. Alles, was wir wissen und was wir sind, beruht auf der Art und Weise der Nervenverbindungen in unserem Gehirn.
Beispielsweise zeigte sich bei jungen Erwachsenen, dass nach dreimonatigem Jongliertraining die Dichte der synaptischen Verbindungen zwischen Nervenzellen zunimmt. Die Studie wurde mit älteren Personen wiederholt. Auch sie waren in der Lage, in diesem Zeitraum Jonglieren zu lernen und ihre Gehirnmasse zu vergrössern.
Ein anderes, besonders in Zürich beliebtes Forschungsmodell sind Profimusiker. Sie benutzen ihr Gehirn sehr ganzheitlich, da für das Musizieren Einflüsse der Bewegung, des Hörens und des Sehens gleichzeitig relevant sind. Es zeigte sich, dass der Abbau von Nervenzellen im Alter bei Profimusikern verlangsamt war. Nervenverbindungen, die benützt werden, bleiben erhalten. Andernfalls werden sie gekappt. Oder salopp formuliert: «Use your brain or it will drain!»
Im Alter lernt das Gehirn anders. Das verdanken wir dem Stirnhirn, dem sogenannten Frontalkortex. Dort sind Funktionen wie Impulskontrolle, Selbstdisziplin und Motivation verankert. Diese Struktur reift erst spät im Erwachsenenalter aus. «In der Pubertät ist dort die grosse Baustelle», erläutert Meyer. Im Alter jedoch kann das Gehirn den Frontalkortex stärker nutzen und so die verringerte Aktivierung in anderen Regionen kompensieren.
Ausserdem schalten ältere Personen die analogen Regionen in der anderen Hirnhälfte automatisch dazu. Ältere Gehirne arbeiten also ganzheitlicher und unter Einbezug der linken wie auch der rechten Gehirnhälfte.
Kann man nun dennoch sein Gehirn trainieren? Der Markt ist überschwemmt von Angeboten, die von Kreuzworträtseln über Sudoku bis zu Computerspielen reichen. Ernüchternd deutlich zeigen Studien, dass dies zu keinen Verbesserungen im logischen Schlussfolgern oder bei universellen Gedächtnisleistungen führt. «Wenn Sie Kreuzworträtsel lösen, trainieren Sie Ihre Fähigkeit, Kreuzworträtsel zu lösen. Aber es hat nicht den Transfereffekt auf die generelle geistige Fitness, den man sich wünschen würde», erklärte Meyer.
Körperliche Bewegung scheint einen übergreifenden Effekt zu haben. Per Zufall machte der Neuropsychologe Donald Hebb bei Laborratten, die sich in seiner Privatwohnung frei bewegen konnten, eine überraschende Entdeckung. Jener Teil des Gehirns, der für die Verarbeitung von Bewegungen zuständig ist, war bei diesen Tieren wesentlich komplexer gebaut und verfügte über mehr Synapsen als bei Ratten, die in einem Laborkäfig lebten. Die abwechslungsreiche und reizvolle Umgebung, in der sich die Tiere bewegen konnten, konnte tatsächlich das Gehirn in positiver Weise verändern.
«Es reicht nicht, dass Sie jetzt ins Möbelhaus gehen und sich eine neue Wohnungseinrichtung kaufen», brachte es Meyer pointiert auf den Punkt, «Sie müssen auch selbst aktiv etwas tun». Studien zeigen eindrücklich, dass körperliche Betätigung in einem sehr hohen Mass ausschlaggebend für die generelle kognitive Fitness im Alter ist: Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper.
Ob Nordic Walking, Tanzen oder Spaziergang mit dem Hund: Wichtig sei, dass es einem Spass mache, antwortete Meyer auf eine der vielen Fragen aus dem Publikum. Denn das Stirnhirn, wo Motivation und Selbstdisziplin verankert sind, spiele eine grosse Rolle. Und gestand abschliessend, dass dies der Grund sei, weshalb er auch in Zukunft nicht zum Jogger würde und kein Musikinstrument lernen wird.