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Gigantische Spiele

Ungenutzte Stadien, überdimensionierte Flughäfen und Schulden in der Staatskasse: Olympische Spiele und andere Grossveranstaltungen hinterlassen oft unschöne Spuren. Förderungsprofessor Martin Müller untersucht, wie solche «Mega-Events» nachhaltiger gestaltet werden können.
Adrian Ritter
«Bewerbungen für Olympiaden und Fussball-Weltmeisterschaften sind oft sehr unrealistisch formuliert»: Geographieprofessor Martin Müller.

Es werden voraussichtlich die teuersten Olympischen Spiele aller Zeiten. Rund 45 Milliarden Franken verschlingen die Winterspiele im russischen Sotschi, die im Februar 2014 eröffnet werden. Sotschi ist derzeit die grösste Baustelle der Welt, allein 14 Sportstätten müssen neu erbaut werden.

Eigentlich sollten es auch die nachhaltigsten Spiele aller Zeiten werden, hatten die russischen Organisatoren versprochen. Sotschi sollte in Sachen Umweltverträglichkeit sogar die bisher «grünsten Spiele» von Vancouver 2010 übertrumpfen.

Hehre Absichten

«Von der hehren Absicht ist nicht viel übrig geblieben», stellt Martin Müller fest. Der Geograph ist seit 2013 Förderungsprofessor des Schweizerischen Nationalfonds an der UZH. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören sportliche Grossveranstaltungen wie Olympische Spiele und Fussball-Weltmeisterschaften.

Ein zerstörtes Naturschutzgebiet, veruntreute Gelder und kaum rentable Pläne für die Nachnutzung der erbauten Infrastruktur: Sotschi ist für Martin Müller ein abschreckendes Beispiel: «Die Stadt war von Anfang an ungeeignet als Austragungsort, da die nötige Infrastruktur komplett fehlte.»

Zeitdruck, der mangelnde Einfluss von Nichtregierungsorganisationen und fehlende staatliche Kontrollen trugen mit dazu bei, dass von den hochgesteckten Nachhaltigkeitszielen in der Praxis nicht viel übrig blieb. «Der Anspruch, die Spiele von Vancouver punkto Nachhaltigkeit übertreffen zu wollen, hat es verhindert, realistische Ziele zu formulieren», so Müller.

Die sieben Todsünden

An diesem Scheitern wird auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) keine Freude haben. Nach gravierenden Umweltschäden im französischen Albertville 1992 setzte das IOC nämlich vermehrt auf die grüne Karte. Dass nachhaltigere Olympiaden durchaus möglich sind, bewiesen für Müller die Winterspiele 2010 in Vancouver und die Sommerspiele in London 2012.

Und jetzt also der Rückschritt. In Sotschi begehen die Veranstalter wieder alle «Sieben Todsünden bei Grossveranstaltungen», wie sie Müller für sportliche Grossveranstaltungen definiert hat.

Dazu gehört, dass (1) die Erwartungen an die Spiele übertrieben sind, (2) die Kosten unterschätzt werden und (3) die öffentlichen Finanzen zu stark belastet werden. Gleichzeitig dienen die Veranstaltungen (4) eher den Interessen einer Elite und werden von dieser auch genutzt, um (5) von der Unfähigkeit abzulenken, andere Probleme zu lösen. Zu den Todsünden gehört zudem, dass (6) reguläre Gesetze wie etwa Genehmigungsverfahren ausser Kraft gesetzt und (7) die Prioritäten des Events plötzlich zu allgemeinen Prioritäten der Stadt- oder Regionalplanung umdefiniert werden.

Immer gigantischer: Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele in Vancouver 2010.

Ungebremstes Wachstum

Oft treibt eine Koalition von Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Sport die Bewerbung voran, ungeachtet der Frage, ob der Ort überhaupt geeignet ist für einen solchen Grossanlass.

Seit den 1980er Jahren, so stellt Müller fest, werden die Spiele immer gigantischer: mehr Teilnehmer, mehr und bessere Infrastruktur und entsprechend höhere Kosten. Ging es früher in erster Linie darum, als Unterkunft für die Athleten ein «Olympisches Dorf» zu bauen, verschlingt heute der Ausbau von Flughäfen und Autobahnen und der Bau neuer Hotels bis zu 90 Prozent der Kosten. Mit dem Gigantismus nahmen auch die negativen Auswirkungen der Veranstaltungen zu.

Begierde vor Vernunft

Umso erstaunlicher ist es, dass sich immer mehr Länder als Austragungsorte bewerben. Zwar haben im Nachgang der Finanzkrise einige westliche Länder ihre Kandidaturen zurückgezogen – Rom und Toronto etwa verzichteten aus Kostengründen auf eine Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2020.

Umgekehrt melden immer mehr Schwellenländer ihr Interesse an. Sowohl Russland wie Brasilien werden in den kommenden Jahren sowohl die Olympischen Spiele als auch die Fussball-Weltmeisterschaft beherbergen.

Für Martin Müller ist klar, dass Emotionen beim Entscheid, sportliche Grossanlässe ins Land zu holen, eine dominante Rolle spielen: «Es ist die Begierde, die Spiele ins eigene Land zu holen, um sich einmal im internationalen Rampenlicht sonnen zu können.» 

Stimmbürgerinnen und Stimmbürger erweisen sie sich oft als rationaler. Sie haben zwar nur selten ein Mitspracherecht. Wenn sie aber gefragt werden, dann erteilen sie der Kandidatur meist eine Abfuhr, wie kürzlich zum Beispiel in München und im Kanton Graubünden. Müller geht davon aus, dass entsprechende Abstimmungen zunehmen werden, weil die Politiker den immer grösseren Finanzaufwand absegnen lassen wollen.

Weniger ist mehr

Für den Geographen ist klar, dass FIFA und IOC Aspekte der nachhaltigen Stadtplanung bei der Vergabe der Spiele stärker berücksichtigen und die sportlichen Grossanlässe kleiner aufziehen müssen: weniger Athleten, weniger Medien, geringere Anforderungen an die Infrastruktur. Schon vor zehn Jahren hat das IOC die Devise kleinerer Spiele ausgegeben, geändert hat sich nichts. Dabei wäre es aus der Sicht von Müller durchaus möglich: «Die heutigen medialen Möglichkeiten erlauben es den Zuschauern, die Spiele auch zuhause hautnah mitzuerleben.»

Was von den Olympischen Spielen in Peking 2008 bleibt: Das «Vogelnest» dient heute Touristen für Schnappschüsse. Sportlich genutzt wird es kaum mehr.

Unabhängiger entscheiden

Vor allem aber plädiert Müller dafür, bei der Auswahl der Spielorte anzusetzen: Grossveranstaltungen sollten an Orten stattfinden, die bereits über eine gute Infrastruktur und eine funktionierende Stadtplanung verfügen. Den Event nutzen zu wollen, um eine Stadtplanung erst entstehen zu lassen, funktioniert gemäss Müller nicht: «Die Idee, ein Mega-Event zu veranstalten, sollte sich aus der Stadtplanung ergeben, nicht umgekehrt.» 

Statt einer Koalition von Interessenvertretern sollte ein unabhängiges Expertengremium eine mögliche Bewerbung evaluieren und später auch für die Planung des Events zuständig sein. In diesem Gremium sollten einerseits örtliche Stadtplaner Einsitz nehmen, andererseits sollten darin Personen vertreten sein, die vorgängige Spiele organisiert haben und für den Know-how-Transfer sorgen können, so Müller. Organisationen wie dem IOC und der FIFA fehle es derzeit an stadtplanerischer Expertise.

Zudem müssten diese Organisationen während der Vorbereitung auf den Event besser kontrollieren, inwiefern die Städte ihre Versprechen erfüllen. «Oft werden bei der Bewerbung Dinge in Aussicht gestellt, die komplett unrealistisch sind und Makulatur werden, sobald eine Stadt den Zuschlag erhält», stellt Müller fest.

Dezentrale Spiele

Entscheidend für nachhaltigere Spiele ist für Müller auch der Zeitraum vom Entscheid bis zur Durchführung von Spielen. Die sieben Jahre im Falle der Olympischen Spiele seien zu kurz, um nachhaltig bauen und dabei die üblichen Genehmigungsverfahren einhalten zu können.

Die radikale Idee, die Olympischen Spiele immer am selben Ort stattfinden zu lassen, wäre gemäss Müller aus Sicht der Nachhaltigkeit zwar sinnvoll, würde allerdings dem olympischen Gedanken widersprechen, dass verschiedene Länder eine Chance zur Austragung haben sollen.

Als Alternative schlägt Müller vor: Erstens sollten vermehrt modulartige Bauten erstellt werden, die sich bei Nichtbedarf nach den Spielen wieder abbauen und allenfalls sogar an nächsten Spielen wiederverwenden lassen.

Zweitens sollten Olympiaden ihre Spiele auf mehrere, möglichst benachbarte Städte verteilen. So lasse sich eine massive Überlastung der Infrastruktur vermeiden. Die Fussball-WM 2014 in Brasilien wird auf elf Städte verteilt sein. «In diesem Punkt ist die Weltmeisterschaft vorbildhaft. Mit Blick auf Aspekte wie die Veruntreuung öffentlicher Gelder und Zwangsumsiedlungen sieht die Situation in Brasilien anders aus», so Müller. Dem Förderungsprofessor wird die Forschungsarbeit noch nicht so schnell ausgehen.